Anfang Januar 2025 schlug der „Tresor.West“ in Dortmund Alarm. Nach nur zwei Jahren durchgängiger Inbetriebnahme stand der Club finanziell kurz vor dem Aus. Freier Eintritt an ausgewählten Tagen sollte die Gäst*innen zurückbringen und den „Underground“ retten. Zeit eine Bilanz zu ziehen – auch zur Verfassung der Dortmunder Clubszene.
Lesedauer: 7 MinutenGegen 0 Uhr an einem Samstag im Industriegebiet von Dortmund. Auf dem Weg dorthin kein nennenswerter Gegenverkehr. Jetzt ist der Parkplatz vor mir und meiner Begleitung voll. Mehrere Taxis wenden in der Einbahnstraße, Türen öffnen sich und mehr oder weniger sicher auf den Beinen reihen sich neue Menschen in die Schlange ein, die um die Ecke des ehemaligen Heizkraftwerks führt. Uns wird klar: Wir sind bereits zu spät. Vor einer Stunde war Einlass im „Tresor.West“ und es wird uns nochmal eine Stunde kosten überhaupt reinzukommen.
For free in den Club
In den letzten Wochen – seit dem Start der „Community Saturdays“ – ist das eine typische Begleiterscheinung an Samstagabenden. Auf den Dancefloors im „Tresor.West“ steht es sich dicht an dicht. Die Kapazität von 750 Menschen in den Innenräumen – fast immer erreicht, teilt Leonard Raffel, der für den Dortmunder Club arbeitet. Auf diesem aktuellen High ist es schwer vorstellbar, dass bereits das Aus des Clubs im Raum stand: „Es gab bei uns Nächte, wo wir aufgrund der Anzahl der Menschen, die da waren, nicht unsere Kosten tragen konnten“, sagt Raffel ohne Umschweife. Nach einer Umfrage der „LiveInitiative NRW“ (LINA) geben 77 Prozent aller Clubs in NRW an, in finanziellen Schwierigkeiten zu stecken oder über die Schließung nachzudenken. „Tresor.West“ ist einer davon.

Im Team habe man sich deshalb dazu entschieden, den radikalen Schritt zu gehen. Anstatt in den Preisen höher zu gehen, wollte man mit den „Community Saturdays“ möglichst vielen Menschen ermöglichen, in den Club zu kommen: „Feiern gehen ist einfach extrem teuer geworden, gerade bei uns. So eine Clubnacht, da bist du auf jeden Fall über 100 € und das ist eben was, was nicht mit unseren eigenen Werten einhergeht“, meint Raffel. Um die Ausgaben etwas zu senken, spielen überwiegend DJ’s aus der lokalen Szene – musikalisch bedeutet das aber keine Einbußen. Die Hoffnung im Team: Die Menschen zum Wiederkommen zu überzeugen – selbst wenn die Eintrittspreise zurückkehren.
Schließungen in der Vergangenheit
In den letzten Jahren ist es in Dortmund immer mal wieder zu Clubschließungen gekommen. Während der Pandemie haben zum Beispiel die „Marlene Bar“, „Daddy Blatzheim“ und das „View“ dichtgemacht. Zu groß sei laut Betreiber*innen der Aufwand gewesen, Abstandsregelungen einzuhalten und Veranstaltungsausfälle auszugleichen. Stephan Benn von der „LINA“ vermutet hinter den Schließungen eher andere Probleme, die zeitlich mit der Pandemie zusammenfielen. Bei einem Club in Düsseldorf habe es zum Beispiel Renovierungen in der Nähe der Location gegeben, durch die ein Weiterbetrieb absehbar unmöglich wurde, erzählt Benn. Unerwartet kam wiederum das Ende des alternativen Veranstaltungsorts „Rekorder“ in der Dortmunder Nordstadt. Nach mehr als zehn Jahren wurde dem Betreiber*innen-Kollektiv tOnbande e.V. überraschend vom Eigentümer gekündigt. Seitdem schwebt das Gerücht im Raum, dass an gleicher Stelle ein Supermarkt entstehen soll.
Ob Dortmund mit seinen Schließungen unter, über oder genau dem bundesweiten Durchschnitt entspricht, lässt sich abschließend nicht klären. Vor Redaktionsschluss haben wir von der Stadt keine Auskunft zu Ab- und Anmeldungen von Clubbetrieben erhalten.
Neues Publikum, neue Konzepte
Unverhofft kam es vor einem Monat zu einer „Wieder-Neueröffnung“. Ende 2022 hatten die Betreiber*innen des „Sinners“ aus familiären Gründen sich und ihren Club eigentlich auf Nimmerwiedersehen verabschiedet – zweieinhalb Jahre später wird jetzt von neuen Betreibern unter abgewandeltem Namen und Konzept weitergemacht. Das „SNRS“ soll zukünftig zum „kulturellen Wohnzimmer“ der Stadt werden, in dem 36-Stunden-Raves genauso stattfinden können wie eine Stand-Up-Comedy-Show oder Töpferkurse. Wer beim Töpfern dann vom Ort überzeugt werde, entscheide sich – so die Kalkulation vom Team um Keanu Centamore – vielleicht zum Feiern wiederzukommen. „Irgendein Laden, der wieder nur ein Genre bespielt, das braucht Dortmund auch einfach nicht“, meint Centamore.

Denn durch Corona habe sich vor allem das Club-Publikum verändert, erzählt Keanu im Gespräch. Beobachtet hat er das an zahlreichen Abenden, die er als externer Veranstalter im In- und Ausland mitorganisiert hat. „Die haben auf gut Deutsch die Sau rausgelassen“, erinnert er sich. Passend dazu sei auch Elektromusik immer härter geworden. Für Centamore eine Antwort auf die Einschränkungen, die junge Menschen in der Pandemie mitgetragen haben.
Verlässliches Publikum ist die aktuelle Partygeneration deshalb aber nicht zwangsläufig. Eine französische Werbeagentur hat herausgefunden, dass die Gen Z zwar exzessiver feiere, in der Tendenz aber weniger in Clubs unterwegs ist und sich dafür lieber im eigenen „Safe Space“ mit Freund*innen trifft – gerne auch ohne Alkohol. Dieser Ambivalenz versuchen Keanu Centamore und sein Team mit ihrem Club-Konzept gerecht zu werden. Vom „Clubsterben“ sei man laut ihm in Dortmund aber weit entfernt. Für die Anzahl an Studierenden und Menschen, die zum Feiern aus Unna, Kamen oder Castrop-Rauxel kommen würden, müsste es eher noch mehr Angebot geben, findet er. Das alte Programm weiterfahren gehe aber nicht mehr.
„Für mich stirbt hier gar nichts“, entgegnet Udo Lagatz auf die C-Frage. Vor fast zweieinhalb Jahren hat der Besitzer vom „Stollen134“ seinen Club eröffnet. Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt, so kurz nach der Pandemie. Aber „Alle machen zu, wir machen auf“, sei sein Motto gewesen. Auf den anfänglichen Hype folgte das Sommerloch. Seit letztem Jahr schließt er den September über, denn die Konkurrenz durch anstehende Festivals sei zu groß. Um am Ball zu bleiben, habe er 2023 sein Konzept angepasst und sich dazu entschieden, die Planung – anders als beim „Tresor.West“ – an externe Veranstalter*innen abzugeben. Die würden meistens schon eine Community mitbringen. „Du kannst das gleiche Line-Up eine Woche später machen und hast dann trotzdem nicht den Erfolg, den du mit der Veranstaltung hast“, erzählt Lagatz.
Was liegen bleibt
Was Lagatz nicht auslagern kann, sind Anträge auf Förderung. Sowohl auf Bundes– als auch auf Länderebene gibt es mittlerweile Förderprogramme, die sich gezielt an Clubbetreiber*innen richten. Auch in Dortmund wurde von der Wirtschaftsförderung der Stadt ein „Clubfond“ eingerichtet, von dem Lagatz sich die Unterlagen schon runtergeladen habe. „Weitergemacht“ habe er bisher aber noch nicht.
Für Stephan Benn sind solche Aussagen nicht neu: „Viele Clubs arbeiten mit Aushilfen und einem kleinen administrativen Stab. Da ist oft die zeitliche Möglichkeit nicht gegeben, sich angemessen mit solchen Förderprogrammen zu beschäftigen. Das führt dann dazu, dass solche Programme gar nicht in Anspruch genommen werden, weil man den administrativen Aufwand scheut“. Zusätzlich gebe es immer nur eine Teilfinanzierung – der Großteil des Geldes müsse immer noch vom Club selbst kommen. Auch beim „Clubfond“ ist das Geld limitiert: Maximal 20 % der Kosten von einem Projekt oder einer Veranstaltung können übernommen werden.
Dortmund zieht nach – Für den Tresor nicht schnell genug
Wenn heute Zeugnistag wäre, würde in dem von der Stadt Dortmund wohl so etwas wie „stets bemüht“ stehen. Ein Auszug aus den Leistungen: Dortmund war die sechste Stadt, die 2021 einen Nachtbürgermeister bekommen hat, der – anders als seine Kolleg*innen in Mainz oder Koblenz – Vollzeit bei der Stadt angestellt ist. Was Wertschätzung angeht, ist Dortmund unter den ersten: Neben Hamburg und Bochum vergibt die Stadt seit diesem Jahr den „Clubpreis“ in den Kategorien „bester Club“ und „beste Initiative“. 10.000 beziehungsweise 20.000 Euro gibt es als Preisgeld. On top müssen Clubbetreiber*innen seit einem Jahr keine Vergnügungssteuer mehr zahlen und eine Sperrstunde, die in NRW eigentlich gesetzlich vorgeschrieben ist, ist seit dem 1.1.2024 passé.

Ohne den Einsatz von Dimitri Hegemann hätten „Sperrstunde“ und „Vergnügungssteuer“ vielleicht nie zur Debatte gestanden. Der Besitzer vom „Tresor“ und „Tresor.West“ hat sich – auch im Interesse des eigenen Veranstaltungskonzepts – bei der Stadt für deren Abschaffung eingesetzt. Bevor er nach Dortmund kam, hatte Leonard Raffel noch nie von einer „Sperrstunde“ gehört: „Das bricht einer blühenden Subkultur in jeglicher Hinsicht einfach den Nacken“, sagt er kopfschüttelnd. Nun gehören diese Maßnahmen der Vergangenheit an. Was für den Club als Problem bleibt, ist die schlechte Verkehrsanbindung. Will man dort nach einer Partynacht nach Hause kommen, gibt es zwischen 0:30 und 4:30 ein Nachtbus-Angebot in die Innenstadt. Später muss man rund einen Kilometer durch das dunkle Industriegebiet zur nächsten U-Bahnstation laufen. In Verhandlungen mit der Stadt Dortmund sei man bisher nicht weitergekommen, teilt Raffel. Der letzte Ausweg (auch nach finanziellen Absagen von Seiten der Stadt): Die „Community Saturdays“.
Vorerst gerettet
Und: Was haben die jetzt gebracht? Auf jeden Fall etwas angesäuerte Reaktionen von anderen Clubbesitzer*innen. In einem Zeitungsartikel ist Leonard Raffel auf anonyme Aussagen gestoßen, die dem „Tresor.West“ mit ihrer Aktion „Marktverzerrung“ vorwarfen. Um wen es sich handle, wisse Raffel nicht. Ende Januar äußerte Stephan Benn schon die Sorge, dass Clubs im gleichen Einzugsbereich, die nach wie vor Eintrittspreise nehmen, unter Druck geraten könnten.
Aber auch so müsse man wieder back-to-normal, teilt „Tresor.West“ auf Instagram. Nach drei Monaten kommen die Preise an Samstagen zurück. Einen kleinen Sonderstatus behalten Samstage in dem Club aber weiterhin: Wer zwischen 23 und 24 Uhr kommt, kann immer noch kostenlos rein. Ab 24 Uhr müssen dann fünf Euro an der Tür gezahlt werden. Daneben versuche man, kleinere Communities und Interessen gezielter anzusprechen. Zum Beispiel mit den „Workout Sessions“, die einen geschützten Raum zum Feiern für FLINTA*-Personen und Queers bieten sollen. Auch wenn’s nur eine kleine Preisanhebung ist, sei er trotzdem nervös, meint Raffel. Letzten Sommer veranstaltete der Club im Freien die Reihe „After Hours“: „Bei null Euro sind die Leute uns die Türen eingerannt und bei fünf Euro standen wir teilweise mit ein paar versunkenen Seelen dort“, erinnert er sich – immer noch mit Unverständnis.
Die Clubkultur gerät auch in Dortmund unter Druck. Auch wenn die Ausgangsbedingungen unterschiedliche sind, reagieren die Clubs ähnlich: Auf’s Publikum zugehen. Und vielleicht – um unseren Beitrag zu leisten – können wir ihnen dabei entgegenkommen. Denn, genauso wie wir das kleine Kino mit den Nischenfilmen oder den Buchladen mit den liebevoll kuratierten Schaufenstern vermissen würden, wird’s deutlich leiser ohne Clubkultur. Dann gehen junge Menschen nämlich nach Berlin, Hamburg oder Köln, gibt Raffel zu Bedenken. Es liegt auch an uns. Noch ist hier nämlich nichts tot.
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