„In die Divine Bar, sonst wirst du nie Star, sonst wirst du nie so groß wie Sky Du Mont.“ – Ein leidenschaftlich bunter Abend endet auf einem langen tiefen Ton der Hauptdarstellerin. Ekstatischer Applaus durchdringt den kleinen Saal. Niemand will hier zum Star werden, vielmehr geht es darum, man selbst zu sein. Vier Dragqueens, zwölf Songs, ein Versprechen: Kleine Bar, große Dragshow.
Essen City-Nord. Viehofer Straße. Es ist halb zwölf. Die Bar leuchtet und vibriert – bringt etwas Licht in eine kalte Januarnacht. Und der Geist eines längst verstorbenen Performancekünstlers zeitloser Popkultur schwebt durch den Ort, der in ihm Namen und Identität gefunden hat: Die Divine-Bar. „Sie war die erste Person, durch die mir klar wurde: Es gibt mehr als nur Frauen und Männer“, erinnert sich Boris Buchwald an seine Kindheit. Wir springen in die 1980er-Jahre. In einer Musikshow tritt eine Frau auf: „eine komische Frau, wie ich als Kind fand“, lächelt Buchwald. Die Dragqueen „Divine“. Glamouröse Kleider, kunstvolles Make-Up, blonde Perücke. Divine ist bunt, überzeichnet, extrem – eine der berühmtesten Dragqueens ihrer Zeit. Knapp 30 Jahre später erweckt Buchwald die Kultfigur wieder zum Leben – mit einem einzigartigen Konzept als Hommage an Divine.
Eine Mischung aus Bistro und Kabarett
Wo früher einmal die Kneipe „Zur kleinen Krone“ und ein Perückenladen waren, glitzert heute die Divine-Bar. Holzstühle und Tische säumen den Bistrobereich. Daneben erstreckt sich eine lange Bartheke durch den Raum. Stufen führen hinauf ins kleine Kabarett. Eine kleine Bühne offenbart typische Theaterrequisiten. Wände und Decke schimmern in Dunkelrot, Grün und Anthrazit. Zwölf Bilder des Essener Künstlers Maurizio Onano zeigen eine Dragqueen im Entstehungsprozess: Links von der Bühne zeichnet sie die letzten Lidstriche in ihr Gesicht. Vorhang auf – für eine besondere Kunstform.


„Kompromisslos gute Laune“
Seit fast einem Jahr betreibt Boris Buchwald die Divine-Bar. Das Konzept stand schnell fest: „Ich interessiere mich seit meiner Kindheit für die Kunstform Drag. Da war klar, wohin unser Weg führen sollte“, berichtet er. Mit einem kleinen Team von fünf Leuten organisiert er jeden Montag, Freitag und Samstag Programmabende. Weitere Shows und Barbetrieb an mindestens fünf Abenden in der Woche seien in Planung: „Wir haben ein paar spannende Bühnenideen und werden sie Stück für Stück ausprobieren“. Alles möglichst eintrittsfrei.
Neben der Organisation ist Buchwald vor allem eine Sache wichtig: „Bei uns ist kompromisslos gute Laune. Die Divine Bar ist bunt, lebendig und unterhaltsam. Der ganze alltägliche Mist, der sich anstaut, darf draußen bleiben“, beschreibt Buchwald seine Intention.
Die Dame des Hauses: Ms. Foxy Bless
Samstag ist das Highlight der Woche: Bei der Divine’s Drag Show treten jede Woche neue Dragqueens auf. Die künstlerische Leitung, Jan Kollenbach, organisiert jede Woche ein neues Programm. Dabei kümmert er sich um das Booking, die Show-Abläufe und ganz nebenbei den eigenen Auftritt. Wenn sich der Vorhang öffnet wird aus Kollenbach Ms. Foxy Bless, die das Publikum humorvoll durch den Abend führt und selbst performt – heute als Tina Turner mit “Proud Mary”. „Am wichtigsten ist, dass sich alle wohlfühlen. Von den Darstellenden bis zu den Zuschauenden“, betont er.

Der Moment auf der Bühne ist für den ausgebildeten Tänzer dann eher befreiend: „Da kann ich loslassen. Das habe ich gelernt. Hier bin ich zuhause.“
Ms. Foxy Bless wächst und verändert sich immer weiter. Ihr Name stamme von seiner Drag Mother Janne Bless: „Ich habe rote Haare und hatte zu wenig Geld für eine Perücke, daher Foxy. Am Ende habe ich dann noch ein „Ms.“ vorgeklatscht“, schmunzelt Kollenbach.
Bunt gemischtes Publikum
An diesem Samstagabend hat er drei weitere Dragqueens eingeladen: Gravitea, Misass Nostalgia und Pearlie. Als Tina Turner performt Foxy den Song „Proud Mary“. Das Publikum johlt, klatscht, interagiert begeistert. Sogar ein paar Australier hat die Drag-Show nach Essen gelockt: „The bar is so charming, authentic and we love the host“, sagt Branton, der selbst unter dem Namen Veta DQ regelmäßig als Dragqueen auftritt.
Das Publikum ist bunt gemischt. In der ersten Reihe sitzt eine junge internationale Freundesgruppe. Kennengelernt hätten sie sich bei Drag-Shows in ganz Europa. Daneben eine Gruppe älterer Männer. Pärchen, Freunde, Geschwister – bunt gemischt aus der queeren Community und interessierten Menschen, die zum ersten Mal hier sind. „Sowas gibt es im Ruhrgebiet viel zu wenig. Im Urlaub sind wir in Lissabon in eine Drag-Show gestolpert und wollten das unbedingt mal in Deutschland sehen“, sagt ein Ehepaar.
„Herzerwärmend, wenn sich die Leute mental nackig machen“
„Ich liebe es, wenn die Leute zum ersten Mal hier sind. Und vor allem liebe ich die einladende Atmosphäre, die das Divine ausstrahlt“, sagt Kollenbach.
Am Freitagabend findet jede Woche die Show „LipSync4YourShot“ statt. Jede Person darf auf die Bühne und frei performen: „Es ist herzerwärmend zu sehen, wenn die Leute sich mental nackig machen und sich selbst und die Bühne ausprobieren“, beschreibt der 27-Jährige die Bar-Atmosphäre.

Jan Kollenbach möchte über die Bar hinaus etwas bewegen: „Drag passiert an einer interessanten Grenze zwischen Theaterbühne und öffentlichem Raum. Diese sehr spezielle Kunstform hat es verdient, nahbarer und erfahrbarer zu werden.“ Sogenannte SaferSpaces gebe es im Ruhrgebiet immer weniger. Und mit dieser Entwicklung brächen auch queerfreundliche Orte weg. Umso wichtiger sei es, den Menschen eine regelmäßige Konstante zu geben – wie die Divine Bar.
Die Blicke des Publikums sind so vielfältig, wie die Kostüme der Dragqueens: Staunend, konzentriert, losgelöst, bewundernd. Der „Divine-Bar-Song“ beendet die Show. In einer letzten gemeinsamen Performance der vier Dragqueens flanieren sie tanzend durch die Zuschauerreihen mit Hüten in der Hand – auf der Suche nach klimpernder Anerkennung.
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