STROBO-Autor David Lindner hat nach der Filmpremiere in Düsseldorf noch einmal mit dem Regisseur Moritz Terwesten über den Dokumentarfilm Sterben ohne Gott gesprochen und eingeordnet.
Kein Abtasten, kein vorsichtiges Erfühlen, keine Einleitung – der Film bricht wie eine Mauer über den Zuschauer*innen ein und konfrontiert diese mit abstrakten Gedankengängen, hoch gepegelter Musik und Animationen, die aus dem schwarz-weißen Bild klettern und in Windeseile wieder verschwinden. Der Film Sterben ohne Gott von Moritz Terwesten ist ein Opfer seiner medialen Umstände. Es passiert viel. Und das, obwohl man meinen könnte, dass das Thema Sterben ein schweres, schleppendes ist. Der Film versucht einen Spagat zwischen der kurzen Aufmerksamkeitsspanne junger und der Trägheit der Alten – im metaphorischen Sinne.

Persönlich und nicht religiös: Die Perspektive einer individualistischen säkularen Gesellschaft
Der Film Sterben ohne Gott ist in fünf Akte unterteilt. Die Unterteilung schafft einen Halt, eine thematische Einordnung der in dem Film gezeigten Interviews. Es sind viele Perspektiven, die der Film beleuchtet. Zu Wort kommen gleich zu Beginn des Films der amerikanische Sozialpsychologe Sheldon Salomon, der ein abstraktes Menschheitsbild skizziert mit der Frage, was den Menschen besonders macht: ist es die Ratio (Vernunft) oder das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit? Außerdem: der Physiker Lawrence Krauss, der Biologe und Forensiker Mark Benecke, der Bestatter und Buchautor Eric Wrede, der Kulturkritiker Wolfgang Schmitt, der Autor und Regisseur Jörg Buttgereit und zu guter Letzt der Philosoph Franz Josef Wetz. Schnell fällt auf, dass die Gesprächspartner durchweg männlich sind. Die Einordnungen und Perspektiven kommen aus den Köpfen weißer Männer, aufgewachsen in der westlichen Welt – eine westliche und männliche Perspektive also, die der Film aufzeigt? Jein.
Die Studien, auf die sich die Gesprächspartner beziehen, schließen Frauen mit ein und neben den Interviews ist der Film mit Straßenumfragen angereichert, in welchen auch Frauen zu Wort kommen und von ihrem Umgang mit dem Sterben erzählen. Die westliche Perspektive denkt Moritz Terwesten noch einen Schritt weiter und sagt, dass es sich um eine Perspektive aus individualistischen säkularen Gesellschaften handelt. Es sind Gesellschaften, in denen Staat und Religion voneinander getrennt sind. Hintergrund für diese bewusst gewählte Perspektive ist, dass wir nicht nur in einer individualistischen säkularen Gesellschaft leben, sondern auch, weil der Titel des Films immer noch lautet: Sterben ohne Gott. Und das Sterben ohne Gott ist etwas, was eben primär westliche Länder betrifft. Die Quote der Konfessionslosen in Deutschland beispielsweise liegt bei mittlerweile knapp fünfzig Prozent. In den USA liegt der Anteil bei knapp einem Drittel. Laut dem Regisseur fallen immer mehr Menschen vom Glauben ab. Und das ist der Punkt, wo der Film anfängt spannend zu werden:
Wie bewältigen Menschen den eigenen Tod? Wie gehen sie mit der Trauerbewältigung um? Welche Rituale und Traditionen erhalten sie aufrecht, wenn sie an keinen Gott glauben? Wie versuchen Menschen den Tod zu umgehen und was für Projekte schaffen sie, um ihren Namen in der Nachwelt zu erhalten?

Zwischen der Loslösung von Gott und dem Festhalten an seinen Ritualen
“Die Antwort, die der Film uns gibt, ist, ja, wir können uns von Gott lösen. Wir können uns auf jeden Fall von Religion lösen (hoffentlich), aber ob wir uns von Ritualen lösen können, das glaube ich in der Form nicht”, erklärt Moritz Terwesten. Und auch der Bestatter Eric Wrede hakt dort ein und erzählt von Beerdigungen. Sie sind etwas Religiöses. Ein Gottesdienst, ein Trauermarsch zum Grab, Abschied nehmen. Konfessionslose (oder wie Moritz Terwesten sagt, Konfessionsfreie), halten an vielen Ritualen fest, die durch die Kirche geschaffen wurden. Nicht aus Überzeugung zu Gott oder dem Glauben an die Institution Kirche, sondern weil sie es nicht anders kennen; Trost suchen und Abschied nehmen wollen, auf die Art und Weise, wie es ihnen vorgelebt wurde. Der Regisseur Jörg Buttgereit hingegen erzählt in einem sehr intimen und persönlichen Moment im Film von der Trauerbewältigung vom Tod seiner Mutter. Für einen Film hat Jörg Buttgereit einen Menschenkuchen aus Schweineinnereien gebacken, als Requisite, und kurz zuvor ist seine Mutter verstorben. Eine absurde kleine Anekdote, die den Film und seine Charaktere nahbar macht. Auf der anderen Seite wird von den Versuchen der Superreichen erzählt, wie sie sich einfrieren lassen, um durch fortschreitende Technik wieder zum Leben erweckt zu werden.
Der Interviewsequenzen werden aufgebrochen durch animierte Einschübe, Straßenumfragen und filmischen Sequenzen aus Städten wie New York, Toronto, Berlin und den Ruhrgebietsstädten Dortmund und Gelsenkirchen. Wenn der Philosoph Franz Josef Wetz über die voranschreitende Todesangst bei alten Menschen spricht, wird die starre Interviewszene durch filmische Einschübe gelockert, in welchen ein alter Mann im Krankenhaus gezeigt wird. Moritz Terwesten schreckt nicht davor zurück, ungeschönte und unästhetische Aufnahmen zu zeigen. Die Entscheidung den Film in schwarz-weiß zu zeigen, lässt alles noch trister wirken. Der Tod soll nicht aufgehübscht werden, der Sterbeprozess soll nicht kaschiert werden, er soll so ungeschönt gezeigt werden, wie er ist. Der Tod ist das unausweichliche Ende eines jeden. Aber wie wir damit umgehen, wie wir trauern oder uns unterbewusst auf den Tod vorbereiten, durch die Beeinflussung der Medien und unseres Umfeldes, dazu bietet der Film Sterben ohne Gott von Moritz Terwesten viele Gedanken und Ideen; Keine Antworten, zumindest keine endgültigen, aber interessante Perspektiven – versprochen.
Der Film läuft seit Mitte März in den Kinos vieler deutscher Städte. Mit einer Länge von 80 Minuten gelingt es dem Film, Grundlagen zu schaffen, Neues zu vermitteln und so viel Input zu geben, dass es gerade so nicht zu viel wird.
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