Ein Besuch im Atelier No. 70 im PACT Zollverein

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Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Medienpartnerschaft mit: RuhrBühnen. Die RuhrBühnen haben keinen redaktionellen Einfluss auf die Rezension.

Am Freitag, dem 07.03., fand das Atelier No. 70 im PACT Zollverein in Essen statt – eine Plattform für junge Künstler*innen und ihre Werke. STROBO-Autor John Schmidt hat die Veranstaltung besucht und berichtet, wie er den Abend wahrgenommen hat.

Lesedauer: 5 Minuten

In der ehemaligen Waschkaue der riesigen Anlage der Zeche Zollverein ist seit 2002 der PACT Zollverein beheimatet. Hier stellen regelmäßig Künstler*innen aus allen Bereichen und Disziplinen ihre aktuellen Projekte vor: Ohne thematische oder mediale Vorgaben werden sowohl fertige als auch „work in progress“-Arbeiten bis spät in die Nacht präsentiert. Auch dieser Abend verspricht, ein wilder Mix aus Performance, Video, Musik und Tanz zu werden.

„Made in Europe“ von Zauri Matikashvili. Foto: Dirk Rose.

Atelier No 70: Ein wilder Mix aus Performance, Video, Musik und Tanz

In der Waschkaue angekommen, muss ich mich erstmal orientieren. Das große Gebäude besteht aus wirklich vielen Räumen auf zwei Ebenen, von denen einige für die Veranstaltung geöffnet sind. Die anfängliche Verwirrung weicht jedoch schnell, weil die Orientierung doch einfacher als gedacht ist. So gehe ich direkt in den ersten Raum, in dem entspannte Couches vor einem Beamer stehen: Es läuft „Made in Europe“ von Zauri Matikashvili, der seinen in Georgien lebenden Vater bei einer Reise nach Deutschland begleitet. In Deutschland kauft er Schrott, gebrauchte Autos, Fahrräder und Möbel und schickt diese per Container nach Georgien. Der größtenteils ruhige und auf der Kraft der Bilder vertrauende Film zeichnet eindrucksvoll das harte Leben eines Händlers, der durch diese Art des Geldverdienens gesundheitliche Belastung und Trennung von seiner Familie billigend in Kauf nimmt. Der Film schafft es, mir provokant den Spiegel vorzuhalten: Finde ich einen Film über die harte Arbeit des Vaters „schön“ oder „gelungen“? Oder ist es vermessen, die schwere und mühselige Arbeit eines anderen Menschen als Kunst zu bewerten?

Weiter geht’s direkt im angrenzenden Raum mit „Routine my ass [work in progress]“ von Rebecca de Toro, Melli Geldner & Maria Kobylenko. Hier werden ich und die anderen Gäst*innen dazu eingeladen, Ruhe und Produktivität zu überdenken. Die Performance hat einen immersiven und tatsächlich etwas beruhigenden Charakter, gebannt verweile ich ein paar Minuten und betrachte eine der beiden an diesem Abend stattfindenden performativen Interventionen.

„Routine my Ass [work in progress]“ von Rebecca de Toro, Melli Geldner & Maria Kobylenko. Foto: Dirk Rose.

Danach gehe ich mit einer Cola verstärkt in den Wintergarten und gucke „Blickwechsel – Publika und Politiken der darstellenden Künste“, ein 63-minütiger Film von Janina Möbius. Der Film (welchen ich aufgrund der Länge nicht komplett geguckt habe) lässt Künstler*innen und Akteure aus ganz Deutschland zu Wort kommen und beschreibt, wie sich die Persönlichkeiten gegen Angriffe von rechtsextremen Kräften zur Wehr setzen. Zu Wort kommt etwa Julia Wissert als Intendantin des Dortmunder Schauspielhauses, aber auch Theaterprojekte aus Hanau, Chemnitz und Jena werden vorgestellt. Dabei stellen sich die Akteure auch kluge, selbstreflektierende Fragen im Angesicht einer konkreten Bedrohung, die die Kunst aktiv bedrängt oder beschimpft, etwa: Ist es richtig, eindeutig antifaschistische Arbeit gegen die AfD zu leisten oder ist das zu plump? Auch wenn der Film ein klares Statement zur Stärkung von Demokratie und Kunst ist, bleibt bei mir ein bitterer Beigeschmack, denn so klar bekommt man die Bedrohung durch rechtsextreme Kräfte in Deutschland selten präsentiert.

Threadkunst mit dem Publikum, ein Grilled Cheese in der Küche und ein Green Screen

Nun geht’s in die Residenzküche: Hier kocht uns Dasha Ilina ein „magisches“ Grilled Cheese und entwirft in diesem Film Screening drei verschiedene Persönlichkeiten, die verschiedene Anmerkungen bringen und aufeinander reagieren. So entsteht eine gewitzte Kritik an privaten Start-Ups und Technologieunternehmen, die anlässlich der Olympischen Spiele 2024 in Frankreich eine auf Machine Learning basierende Überwachungstechnologie eingeführt hatten. Schade, dass die Residenzküche – und dadurch eben auch das Video von Dasha – weit hinten im Obergeschoss beheimatet ist und damit etwas untergeht. Zum Glück gibt es das Video von Dasha auch hier auf ihrer Webseite online zu sehen.

In der Weltpremiere von „Threads“ stellen Elisabetta Solin und Alina Anufrienko ein in die Raummitte der großen Bühne gestelltes Cello und ihre Körper in den Mittelpunkt des nur dort beleuchteten Raumes. Sie beginnen am Cello zu zupfen und loopen die erzeugten Klänge für ein paar Minuten. Der Loop wird lauter, disharmonischer und erinnert mich gegen Ende an einzelne Sequenzen einiger Godspeed You! Black Emperor-Songs – zu schade, dass sie den Loop abrupt enden lassen. Ich hätte mich noch zehn Minuten länger davon begeistern lassen können. Nachdem sie den musikalischen Loop beenden, geben die beiden Künstlerinnen den Faden an Leute aus dem Publikum, die jeweils ein Stück halten und so ein Netz entstehen lassen. Unter diesem tanzt Elisabetta Solin für einige Zeit. Ein beeindruckendes Stück und ich bin nach den 15 Minuten Performance etwas enttäuscht, dass die beiden Künstlerinnen nicht noch eine Zugabe oder zweite Performance an diesem Abend geben.

Ein Faden spannt sich durch den Raum und verbindet die Gäst*innen. Foto: Dirk Rose.

Als letzte Veranstaltung des Abends gucke ich mir „Throwing Tomatoes at the Green Screen“ im Trafohaus an, auf das ich mich besonders gefreut hatte. Maru Mushtrieva benutzt hier einen Green Screen und ein Puppentheater, um anhand der Kindergeschichte „Cipollino“ Erzählungen aus Politik und Medien zu rezipieren und hinterfragt dabei Machtstrukturen und deren genutzte Narrative. Leider kann die Performance meinen vielleicht etwas zu hohen Erwartungen nicht gerecht werden: Ich verstehe das Stück tatsächlich nicht ganz und ich werde im Laufe der Vorführung aufgrund von zu vielen Puppenwechseln und langwierigen Monologen immer verwirrter. Aber gut, they can’t all be my favourites. Die Künstlerin schafft es trotzdem, mich mit ihrer sympathischen Art und einigen Satzfetzen („They speak of justice, but never practice it“) zum Nachdenken zu bringen.

Die Künstlerin Maru Mushtrieva nutzt für ihre Performance einen Green Screen. Foto: Dirk Rose.

Das Trafohaus verlassend, versuche ich ein Fazit zu formen. Der Abend war für mich eine schöne Gelegenheit mich mit verschiedenen Gedanken einiger Künstler:innen zu beschäftigen, quasi in ihre Köpfe hineinzugucken. Außerdem – und ich glaube, das wird in den nächsten Jahren noch öfter zu lesen sein – dürfen wir nie vergessen, wie wichtig nicht nur Veranstaltungen wie Atelier No. 70 sind, sondern Kunst insgesamt uns einen wichtigen Blick auf Miteinander, Technologie und unsere Gesellschaft bietet.


Elf Theater und zwei Festivals im Ruhrgebiet haben sich zu den RuhrBühnen zusammengeschlossen, um die Einheit in der Vielfalt erlebbar und sichtbar zu machen. Die STROBO-Redaktion hat jede von ihnen besucht, um euch zu zeigen, was jeder Ort auch für junge Menschen parat hält.

Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Muster und Mensch im Großformat – Eine Tour durch Fatma Özays Ausstellung „Erinnerungstexturen”.

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