Seit Ende August ist die Dortmunder Künstlerin Fatma Özay in ihrer ersten Einzelausstellung „Erinnerungstexturen” im STADT_RAUM zu sehen. Der bauchige Raum mit den bodentiefen Fenstern ist im Museum für Kunst und Kulturgeschichte untergebracht und als Veranstaltungsort für alle Dortmunder*innen und ihre Ideen offen. Fatmas Großformate, die aktuell hier hängen, sind muster- und farbgeprägt und erzählen vom Leben der Gastarbeiter*innen und dem Alltag von Muslim*innen in Deutschland. STROBO hat eine private Tour durch die Ausstellung bekommen und mit Fatma Özay über ihren Malprozess, was sie inspiriert und ihre Erlebnisse im Kunst- und Ausstellungsbetrieb gesprochen.
Am Anfang steht die Farbe in Fatma Özays Werken. Blau, grün, gelb und rot sind kräftig aufgetragen, der Blickfang und die unausgesprochene Einladung näher zu treten. Es wäre ohnehin nicht ratsam in Fatma Özays Ausstellung auf Abstand zu bleiben. Erst dann eröffnen sich einem die Muster, die Fatma mit Tusche, Acryl und Ölpastell aufgetragen hat und die wie Ornamente ihre Szenen schmücken. Die Menschen, die in ihnen auftauchen, sind das Herzstück, auch wenn sie nicht ohne Fatma Özays kunstvolle Rahmung auskommen. Als „geordnetes Chaos” beschreibt die Künstlerin ihre Kunst liebevoll. Muster hätten Fatma schon immer fasziniert, wie sie erzählt. Sie sammelt die, die sie besonders ansprechen: Stickereien auf Westen, Verzierungen auf Vasen und ganz aktuell die Strickmuster der türkischen Hausschuhe, den Patik. Lange waren Muster und Farbe Fatmas einzigen Bildinhalte. Ihre ersten Werke im Kunststudium seien abstrakter und experimenteller gewesen: „Ich wollte früher lieber eine Kunst betreiben, die nichts aussagt, die inhaltslos ist, weil ich das spannend fand. (lacht) Dass das überhaupt nicht geht, eben ohne eine Aussage zu malen, ist mir dann später aufgefallen”, erzählt sie beim Gang durch ihre Bilder. Heute könne sie sich eins ihrer Werke ohne Menschen gar nicht mehr vorstellen.
“Alles, was perfekt aussieht, finde ich ätzend”
Fatmas aktuelle Protagonist*innen sind zum Teil Familienangehörige, die sie aus der Erinnerung oder mittels Fotografien auf die Leinwand und Papier bringt. Es sind keine spektakulären Szenen, die Fatma festhält: Ihr Mann, der am Balkon der Ferienwohnung steht, ihre Oma und Schwester, die eine Suppe zubereiten und ihre Mutter mit ihr als Kind im Park. Bei der letzten Szene muss die Künstlerin lächeln: „Ich glaube meine Mutter wollte auf dem Bild posen, aber anscheinend hatte ich dann doch keine Lust.”. Kindheits-Fatma windet sich im Arm ihrer Mutter, die wiederum den Kopf zu ihrer Tochter dreht – weg von der Kamera, der ihre Aufmerksamkeit noch kurze Zeit vorher gegolten hat. Für Fatma das eindeutig spannendere Bildmotiv als die geplante Version ihrer Mutter: „Alles, was perfekt aussieht, finde ich ätzend”, erklärt sie ihre Auswahl.
Diese Haltung überträgt sich auch auf Fatmas Malprozess. Wenn man ganz genau hinschaut, sieht man auf ihren Werken noch die Reste vom Vorzeichnen mit dem Bleistift und erkennt die Stellen, an denen von Fatma ein Element wieder übermalt wurde. Gelegentlich provoziert sie das Unperfekte förmlich. Eine ihrer Lieblingsmethoden: Sie befüllt alte Srirachaflaschen mit verdünnter Farbe und schaut, wie die sich im Anschluss auf dem Bild verteilt. Manchmal genauso wie geplant, manchmal entstehen kleine Farbinseln – oft riecht es beim Auftragen noch nach der scharfen Soße.
Ihre Großformate beanspruchen viel Zeit von Fatma. Die raue Leinwand sei wesentlich widerständiger als Papier, auf dem sie früher hauptsächlich gemalt hat. Vollzeit kann sich Fatma ihrer Kunst ohnehin nicht widmen. Wenn sie nicht durch ihre Ausstellung führt, ist sie Lehrerin an einer Gesamtschule für Deutsch, Geschichte und – wie sollte es anders sein – Kunst. „Ich habe eigentlich drei Fächer studiert, aber ich rede nur über Kunst“, scherzt sie. Auch wenn ihr der Job die Zeit für die Kunst nimmt, ist er ihre finanzielle Absicherung, um frei arbeiten zu können: „Das, was ich male, muss erstmal nur mir gefallen. Wenn ich Rechnungen bezahlen müsste, wäre ich vielleicht viel kleiner, abstrakter und ungeduldiger und würde mit weniger Aufwand malen”, räumt sie ein.
„Verärgerung” als Antrieb einiger Arbeiten
Ein Thema, das Fatma seit Jahren mit ihrer Kunst bearbeitet, ist das Leben und Ankommen der türkischen Gastarbeiter*innen in Deutschland. In ihrer Ausstellung sind drei ihrer Arbeiten zu sehen. Auf die Frage, was ihr Antrieb gewesen sei, antwortet sie prompt mit „Verärgerung”. Als Teil der dritten Generation von Gastarbeiter*innen sei Fatma „immer klar gewesen”, dass der Pott und ihre Heimatstadt Dortmund eng mit Geschichten wie ihrer verbunden sind. Umso ernüchternder der Besuch in einem Archiv in der Umgebung gewesen, in dem sich nichts zum Thema finden ließ. In ihrer Ausstellung sei Fatma deshalb auf ikonische Aufnahmen, wie die Ankunft türkischer Gastarbeiter*innen auf dem Gleis 11 vom Münchener Hauptbahnhof ausgewichen.
Für Fatma sind es trotzdem kleine Momente der Repräsentation, die ihr früher und auch heute noch in Museen fehlen, wie sie sagt: „In Museen gehe ich an fast allen Bildern vorbei, weil ich von den Perücken und der Garderobe übersättigt bin.”. Schnell habe sie aber auch gemerkt, dass es nicht so einfach ist, zwischen der Garderobe und den Perücken einen Platz eingeräumt zu bekommen. Sie habe es schon in vielen Galerien probiert und von vielen keine Rückmeldung oder eine Absage für ihre Ausstellungsideen erhalten. „Zu islamisch”, „zu speziell”, „zu laut” hätte sie zum Teil als Begründung bekommen. Es sind Aussagen, die sie schon aus ihrem Kunst-Studium kennt. Da sei ihre Kunst von manchen Dozierenden als „osmanisch” bezeichnet worden. Sie lacht, als sie die Formulierung wiederholt: „Ich war aber auch kein Einzelfall”, meint sie kopfschüttelnd. „Ich weiß es war nicht böse gemeint, aber fragwürdig war es schon.”.
“Erinnerungstexturen” – Ein Erfolg
Den Tipp mit dem STADT_RAUM hat Fatma von einer Künstlerfreundin bekommen. Es sei schon eine Überwindung gewesen, sich zu melden, obwohl hier „alle sehr lieb sind”, sagt sie und blickt quer durch den Raum zur Kuratorin der Ausstellung, Claudia Wagner. Seit den Anfängen vom STADT_RAUM im Frühjahr 2023 ist Claudia Wagner als Kuratorin für das Projekt engagiert und begleitet den Prozess, einen Raum für, mit und von der Stadt zu schaffen. “Erinnerungstexturen” ist erst die zweite Ausstellung und das Interesse groß. Zum Zeitpunkt vom Interview ist es noch nicht offiziell, aber Fatma hat die Bestätigung für eine Verlängerung ihrer Ausstellung erhalten. Die nächsten Wochen wird sie aber erstmal im Urlaub in Südkorea verbringen. Nicht zur Entspannung, das könne sie ohnehin nicht gut, meint sie. Erst vor kurzem hat sie ihren Vater beauftragt alte Bilder von ihm auszukramen. Die Vorschläge sind schon da und Fatma entschlossen, die Geschichte der Gastarbeiter*innen und ihrer Familien weiter zu erzählen – in welchem Rahmen auch immer.
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