Keine Chance für die freie Szene?

Mein Bild

Anfang Dezember hat das Ministerium für Kultur und Wissenschaft bekannt gegeben, dass es in der Kulturszene in NRW zu Kürzungen kommen wird. Davon betroffen sind auch das Netzwerk Cheers for Fears – eine bittere Nachricht für die freie Szene.

Noch vor ein paar Wochen hatten Sina und ihre Kolleg*innen das Cheers for Fears Festival in Düsseldorf für kommenden April geplant. Dann kam ein Anruf aus dem Ministerium und eine Einladung zu einem Gespräch. Jetzt, sagt Sina, muss sie sich beim Jobcenter melden und Bürgergeld beantragen.

„Unsere ganze Förderstruktur ist jetzt quasi zusammengebrochen. Und damit sind wir so ziemlich bei null.“, erzählt sie. Wie es jetzt weitergehen soll mit dem Projekt, weiß sie selbst auch noch nicht. Anfang Dezember hatte das Ministerium für Kultur und Wissenschaft bekannt gegeben, dass es einige Kürzungen in der Kulturszene NRW geben wird. Das Netzwerk Cheers for Fears, bei dem auch Sina-Marie Schneller arbeitet, ist eines davon.  

Sina-Marie Schneller vor dem Ministerium für Kultur in Düsseldorf. Foto: Studio Pramudiya.

Die Initiative will eigentlich eine Plattform schaffen für jungen Künstler*innen, Kunststudent*innen und den Kunstakademien in NRW. Mit verschiedenen Projekten, Workshops und Angeboten wollen Sina und ihre drei Kolleg*innen einen Raum schaffen, „sich über die Arbeitssituation oder Ausbildungssituation auszutauschen, künstlerisches Feedback zu geben, multiperspektivisch auf die Arbeit zu gucken und vielleicht auch zusammen zu arbeiten.“

“Und damit sind wir so ziemlich bei null”

Schon seit 2013 arbeitet Cheers for Fears so in der jungen, freien Szene in NRW. Finanziert haben sie sich über zwei große Förderungen, der Kunststiftung NRW und des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft. Schon vor zwei Jahren hatte die Kunststiftung NRW ihre Förderung für das Projekt zurückgezogen, und jetzt eben auch der zweite große Förderer.

Cheers for Fears-Festivals waren seit 2013 ein Ort der Begegnung. Foto: Stephan Glagla.

„Bei den Künstler*innen herrscht gerade flächendeckend große Angst“, sagt auch Ulrike Seybold. Sie ist Geschäftsführerin des NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste und Sektionssprecherin für Theater beim Kulturrat NRW und kritisiert vor allem die Undurchsichtigkeit und Kurzfristigkeit der ganzen Situation. Neben der seit 1994 stattfindenden tanzmesse nrw oder dem Tanznetzwerk International Dance Artist Service (IDAS NRW), musste eben auch das Netzwerk für Nachwuchskünstler Cheers for Fears erfahren, dass sie kurzfristig ab 2025 keine Förderungen vom Land mehr erhalten werden. „Es sind im Moment nur eine Handvoll Projekte, aber es wurde teilweise keine sechs Wochen vor dem Weitergehen des Projektes Bescheid geben. Und das ist wirklich sehr kurzfristig und vor allem zu spät, um alternative Förderungen zu beantragen.“, sagt Ulrike Seybold.

Überraschende Kürzungen und unklare Erklärung

Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft erklärt auf Anfrage, dass der Grund für die Kürzungen der Wunsch nach weniger Doppelstrukturen und einer Vereinfachung von Verwaltungsstrukturen war. Weiter schreiben sie: “Dazu gehört zum Beispiel, dass der Verwaltungsaufwand einerseits, die ausgeschüttete Fördersumme und die eigentliche Kunstproduktion andererseits in einem angemessenen Verhältnis stehen sollten.” Aber Ulrike Seybold findet diese Begründungen nicht klar: „Es ist tatsächlich eine immer noch sehr diffuse Lage. Es gibt Kürzungen für einzelne Projekte. Es ist aber nicht nachvollziehbar, warum gerade diese Projekte.“ Grundsätzlich treffe es vor allem die Bereiche Netzwerk, Beratung und Overhead-Strukturen. Das Land argumentiert hier damit, dass Organisationen, wie die Landesbüros und der Kulturrat, viele Leistungen der gestrichenen Projekte, wie Cheers for Fears, übernehmen würden. Ulrike Seybold betont aber: „Natürlich steht in unserem Portfolio auch beispielsweise,  dass wir Nachwuchsberatung machen. Aber das ist weder deckungsgleich mit den Aufgaben, die Cheers for Fears übernommen hat, noch haben wir die Kapazitäten, das umfangreich und aktiv zu machen.“

Mit dem Streichen der Kulturförderung können Sina und Ihre Kolleg*innen keine Festivals mehr veranstalten, bei denen sich junge Künstler*innen mit aktuellen Diskursen auseinandersetzen und bei denen Film, Tanz, Installation und Musik aufeinandertreffen. Und es finden auch keine Vernetzung und Beratungstreffen mehr statt, auf denen Künstler*innen ihre Praxis definieren und sich Kollektive finden.

Wohin steuert die Kulturpolitik?

Eine Sache macht Sina aber besonders Angst. Sie hat das Gefühl, dass es im Moment eher einen „Backlash im Kunstverständnis“ gibt. Die KunststiftungNRW zum Beispiel „interessiert sich aktuell mehr für exzellente Kunst mit Strahlkraft und nicht mehr für Festivals, Netzwerke, niedrigschwellige Projekte und die junge Szene.“

Seit Dezember ist Cheers for Fears von den Kürzungen betroffen. Foto: Studio Pramudiya.

Der Berliner Kultursenator forderte erst letztes Jahr in einem Interview mit der FAZ die Kulturszene zu einem Mentalitätswandel auf. Er wünsche sich „mehr Eigenverantwortung und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit“ – mehr Start-Up Mentalität, wie es Sina ausdrückt. Für sie bedeutet Kunst und Kultur aber eben nicht diese Mentalität: „Ich bin an sehr sozialen und solidarischen Werten interessiert. Nämlich in einem Raum mal nicht produktorientiert und ökonomisch zu denken. Und ich befürchte, dass das in der Tendenz eben nicht gewollt ist.“

Auch Ulrike Seybold betont nochmal die politischen Dimensionen. Es sei klar, dass die Kürzungen für die einzelnen Projekte eine Katastrophe sind, „aber auch auf einer politischen Metaebene bleibt jetzt die Frage: War das jetzt ein kurzes Gewitter oder kommt der Tornado erst übermorgen um die Ecke?“. Eigentlich hatte der aktuelle Koalitionsvertrag einen 50 % Aufwuchs des Kulturhaushaltes versprochen. Dass das nicht realistisch sei, war wohl auch der Kulturszene klar. „Aber 50 Prozent Plus zu versprechen und dann sogar unter Null zu rutschen ist eigentlich wirklich ein politischer Vertrauensbruch“, erklärt Seybold.

Für Cheers for Fears ist klar, dass sie die Kürzungen erstmal nicht einfach so hinnehmen wollen. Sie organisieren Demonstrationen und fordern das Ministerium auf, die Kürzungen zurückzuziehen: Um Cheers for Fears als relevanten Akteur der NRW-Szene weiter zu fördern und somit die Lebendigkeit der freien Szene in NRW auch für die Zukunft zu sichern“, wie es auf ihrer Website steht. Auf der letzten Demonstration konnten Sina und ihre Kolleg*innen eine Anhörung im Kulturausschuss erreichen. Sina ist sich aber nicht sicher, ob das wirklich etwas bewirkt.  

Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Entschleunigung in der Deutschen Bahn – Ein Selbstversuch.

Mein Bild
Mein Bild