Keine Frage offen, kein Brief ungelesen – Das Internationale Frauen Film Fest und „Die Möllner Briefe“

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Anfang April fand das Internationale Frauen Film Fest in Dortmund statt. Jährlich wechselt der Standort zwischen Dortmund und Köln. Und jährlich kommt die Frage auf, warum es das Festival gibt – dieses Jahr blieb die Frage aus. STROBO-Autorin Anastasia Glaser war in Dortmund und hat sich den Eröffnungsfilm „Die Möllner Briefe“ angeschaut. 

Im Superraum in Dortmund versammelt sich das Team des Internationalen Frauen Film Fests und leitet das Programm ein. Die Presse ist eingeladen, also ist auch STROBO-Autorin Anastasia vor Ort. Der Superraum ist ein kleiner zweistöckiger Offspace für alles, was mit Kultur zu tun hat und nach Räumlichkeiten sucht. Auf den Stühlen sitzen die Frauen, die für die künstlerische und finanzielle Verwirklichung des IFFF zuständig sind, aber auch ein Mann, der vom Verleih der Technik erzählt. Die Presse sitzt auf Stühlen und auf Sitzsäcken. Eine Mäzenin der Sparkasse erwähnt den Spirit der Gemeinschaft – man würde spüren, wie vertraut man sich doch vorkommt, wenn ein Raum voller Frauen am selben Strang zieht. Dann die Betonung des Festivalteams, dass das Internationale Frauen Film Fest nicht nur für Frauen ist. Der Eröffnungsfilm wird im Anschluss gezeigt – „Die Möllner Briefe“ in der Lichtburg gleich nebenan.

„Kämpfen oder sich Sorgen machen müssen“ – Warum?

Wer weibliche und queere Perspektiven sichtbar macht, wird schnell beschuldigt, Gräben aufzureißen statt Brücken zu bauen. Auch das Internationale Frauen Film Fest muss sich gegenüber der Presse jedes Jahr aufs Neue rechtfertigen: Warum braucht es euch noch? 2025 bleibt diese Frage zum ersten Mal aus. Für Dr. Maxa Zoller, Künstlerische Leitung des Festivals, ist das ein deutliches Zeichen. Die Stimmung hat sich verschoben. Die mediale Öffentlichkeit folgt zunehmend einem konservativen Grundton, der Gleichstellung nicht als Selbstverständlichkeit, sondern als Zumutung behandelt. Die Rechte von Frauen und queeren Menschen erscheinen plötzlich wieder verhandelbar – als seien sie Privilegien und keine Grundrechte. „Gerade deshalb fragt in diesem Jahr niemand mehr, warum es das Frauen Film Fest gibt“, sagt Zoller.

Maxa Zoller ist die künstlerische Direktorin des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund | Köln. Foto: IFFF Dortmund+Köln.

Das Internationale Frauen Film Festival spricht außerdem über die gesellschaftliche Dringlichkeit für Kulturförderung. Die freie Szene lebt von Netzwerken und Fördertöpfen, die es jungen Kreativen ermöglichen, ihre Perspektiven zu teilen. In vielen Städten NRWs beklagen Kreative Kürzungen bei den Fördergeldern. Die Stadt Dortmund stehe dabei allerdings engagiert an der Seite des IFFFs – hier gebe es noch keine Kürzungen. Ziel sei aber eine Erweiterung der zur Verfügung stehenden Fördermittel. 

Der Blick des IFFFs schaut bei der Zusammenstellung des Programms nicht nur auf die Filme, sondern auch auf das Drumherum. So sind queere und dekoloniale Praktiken bereits im Prozess zu erkennen. Die Zusammenarbeit aller Beteiligten, die Art und Weise den Blick zurder Kamera zu lenken, oder das Material zusammenzuschneiden – das alles beruht auf Ritualen, die von den Mitwirkenden herangetragen werden. Das Filmprogramm des Internationalen Frauen Film Fest legt aus genau diesem Grund besonderen Fokus auf Filme, die aus diversen Perspektiven entspringen.

Eröffnungsfilm: „Die Möllner Briefe“ – ein Archiv von Schuld und Scham 

Die frühen 1990er Jahre markieren eine Welle rechter Gewalt in Deutschland – sie traf Menschen, die als „anders“ galten: migrantisch, links, nicht konform. Auch in Mölln, einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein, schlug der Hass zu. Am 23. November 1992 wurde die Familie Arslan Ziel eines rassistischen Brandanschlags. Drei Familienmitglieder starben, der damals siebenjährige Ibrahim Arslan überlebte schwer verletzt.

Drei Jahrzehnte später spricht Arslan über das Danach – und über ein bislang unbekanntes Dokument kollektiven Mitgefühls: Hunderte Briefe, geschrieben nach dem Anschlag, geschickt aus allen Teilen der Bundesrepublik, adressiert an die Überlebenden. Worte des Trosts, der Wut, der Scham. Doch die Familie hat sie nie gelesen. Die Stadt Mölln lagerte die Briefe – geöffnet – in ihrem Archiv. Keine Mitteilung, keine Übergabe, kein Gespräch.

Die Kamera ist zurückhaltend und präsent zugleich. Sie macht keine Aussagen – sie lässt sprechen. Eine Mutter, die ihre Trauer nie öffentlich zeigen durfte. Ein Sohn, der seine Ängste nicht formulieren konnte, solange niemand zuhören wollte. Die Gespräche, die der Film dokumentiert, scheinen erst durch das filmische Beobachten möglich geworden zu sein – als würde das Medium selbst Vertrauen schaffen.

Unverstellt bleibt auch der Blick auf die Reaktionen der Behörden. Wenn Ibrahim Arslan, der als Kind den Brandanschlag überlebte, heute im Archiv nach den verschollenen Briefen fragt, filmt die Kamera mit – und zeigt Körpersprache, Zögern, höfliche Abwehr. Wie verhalten sich Institutionen, wenn das Archiv der Bürokratie und nicht den Menschen dient?

Martina Priessners Dokumentarfilm “Die Möllner Briefe” öffnet nicht nur ein Archiv, sondern eine Wunde. Er folgt Ibrahim Arslan bei seiner Konfrontation mit dem Verschwiegenen, mit der deutschen Bürokratie, mit dem Umgang einer Gesellschaft, die lange lieber vergessen wollte als zu erinnern. Und er zeigt, was es bedeutet, wenn Solidarität eingefroren wird.

Dass Die Möllner Briefe das Internationale Frauen Film Fest eröffnet, ist kein Zufall. Das Festival setzt ein klares Zeichen: Für das Erinnern abseits offizieller Narrative. Für Perspektiven, die nicht dominieren, sondern marginalisiert wurden. Für Stimmen, die nicht nur sichtbar, sondern gehört werden wollen. Und es zeigt, wie politisch, wie notwendig, wie gegenwärtig Kino sein kann – wenn es nicht nur zeigt, sondern handelt.

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