An einem Mittwoch im April hieß es wieder: Stifte, Fineliner, Pinsel raus und gemeinsam sketchen. Das Café Mundgerecht in Essen veranstaltet einmal im Monat den „Shitty Paper“ -Malabend, bei dem Malutensilien und musikalische Begleitung kostenlos zur Verfügung gestellt werden. STROBO-Autorin Ineke Krause war einen Abend dabei.
Lesedauer: 4 MinutenIm gedimmten Licht kratzen Stifte auf Papier. Eifrig werden Striche gezogen, nachgemalt, neugemalt und ausradiert. Der massive Holztisch in der hinteren Ecke des Cafés wirkt wie ein kreatives Schlachtfeld: Bleistifte mit unterschiedlicher Härte, Papierstapel, Fineliner und Marker in allen Farben des Regenbogens sind darüber verstreut. Die rostroten Wände, gespickt mit großen und kleinen Postern und die sphärische Synthesizer-Musik im Hintergrund tragen zusätzlich zu der gemütlich-kreativen Atmosphäre bei. Links am Tisch sitzt Jan Binder, einer der Veranstalter der „Shitty Paper“-Malabende, die einmal im Monat im Café Mundgerecht in Essen stattfinden.

„Wir wollen die Leute dazu ermutigen, die Angst vor dem Papier zu verlieren“, sagt Jan. „Wenn du möglichst beschissenes Papier hast, dann ist es nicht so schwer, einfach anzufangen.“ Daher komme auch der Name des Formats. Aus eigener Erfahrung als freischaffender Künstler weiß er, wie schwierig es sein kann, mit dem Malen anzufangen, wenn man vor einem teuren Zeichenblock oder einer Leinwand sitzt und Angst hat, es zu ruinieren. Deshalb ist das Papier bei den Malabenden bewusst billig, also „shitty“, um damit die Teilnehmenden zu ermutigen, einfach draufloszumalen.
Es ginge laut Jan auch nicht darum, das Ganze wie einen Workshop zu gestalten, bei dem die Teilnehmenden gezielt darauf hinarbeiten, ihre Zeichen-Fähigkeiten zu verbessern. Das Motto sei eher: „Hauptsache, es macht Spaß und es ist nicht so wichtig, ob du gut bist oder nicht.“

Verbindende Linien
Die Teilnehmenden an diesem Abend sind fast alle in den Zwanzigern und haben ganz unterschiedliche Mal- und Zeichenstile. Von Graffiti über Comicstil bis hin zu Mangas und realistischen Portraits sind hier verschiedene Kunstformen vertreten. Viele haben schon Erfahrung im Zeichnen, aber es sind auch Anfänger*innen dabei.


Nicht alle sitzen an dem langen Tisch im hinteren Teil des Cafés, sondern auch auf den Sofas hinter der Trennwand oder in einem kleineren Raum nebenan, in dem Kletterpflanzen an der Decke emporranken. Hier haben sich die Studentinnen Melissa, Marie-Marlen und Jolyne zurückgezogen.
Marie-Marlen hat es sich in einem Sessel gemütlich gemacht. Ihre Beine hängen über der Seitenlehne und der Zeichenblock liegt auf ihrem Schoß, während sie konzentriert eine Linie mit dem Bleistift zieht. „Der Vibe hier ist einfach toll. Alle sind locker und man kommt sehr gut ins Gespräch, auch wenn man mit Social Anxiety struggelt“, findet sie.
Sie und ihre Freundinnen haben sich schon regelmäßig zum Zeichnen in Cafés getroffen, bevor sie „Shitty Paper“ kannten. Als eines Tages ein Mitarbeiter des Cafés Mundgerecht auf die zeichnenden Freundinnen aufmerksam wurde, erzählte er ihnen von dem Format. Für die vier stand sofort fest, dass sie dort hingehen mussten. Seit anderthalb Jahren sind die Freundinnen nun fast jeden Monat dabei.
Vom Kneipenabend zum Kulturprogramm
„Shitty Paper“ gibt es schon seit Ende 2022. Angefangen hat es damit, dass Jan und ein Graffiti-Kollege, der seinen Namen nicht nennen möchte, das Bedürfnis hatten, mit einer Gemeinschaft aus Gleichgesinnten in einer Kneipe zu zeichnen. „Wir haben das am Anfang auf eigene Kosten gemacht“, sagt Jan. Mittlerweile wird das Projekt von der Stadt Essen gefördert. Dadurch konnten sie sich dann auch bessere Materialien und die Bezahlung der Musiker*innen leisten.
An diesem Abend steht Clemens Wallrath alias „Nervengift“ hinter dem hohen Tisch in der Ecke des Cafés und liefert den Soundtrack. Danach folgen „Ring and Tones“ und „Tapeloop Boy“. Die Musiker*innen findet Jan meistens über Freund*innen und Bekannte und versucht damit, jedes Mal neuen Personen eine Bühne zu bieten, deren Musik zur Atmosphäre passt. Bei “Nervengift” handelt es sich hauptsächlich um elektronische und Synthesizer-Musik.
Seine Partnerin, die 25-jährige Salem, findet, dass es mehr kreative Events wie „Shitty Paper“ geben sollte. Vor allem, weil kreative Tätigkeiten besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen immer beliebter werden. Und das macht nicht nur Spaß, sondern ist laut der WHO auch gut für die Gesundheit und das Wohlbefinden.
Trotzdem habe Jan vorerst nicht geplant, „Shitty Paper“ auf andere Cafés und Städte auszuweiten. „Eigentlich ist es gerade perfekt, so wie es ist“, findet er. Was die Zukunft bringt, möchte er einfach auf sich zukommen lassen.
Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Der Ruhrgebiets-Flohmarkt-Guide des Sommers.