Auf den Bühnen stehen internationale und lokale Acts. Auf der Wiese zwischen Zechencharme und bunten Kunstobjekten, spielen Kinder und liegen Erwachsene. Zum ersten Mal fand dieses Jahr das Treibhausfestival in Essen statt.
Lesedauer: 4 MinutenEin Nachmittag im Frühsommer, zwischen ein paar Wolken scheint die Sonne auf den Platz und die große Wiese vor der alten Zeche Carl. Wenn man direkt vor dem Eingang steht, kann man die Musik hören. Und vereinzelt gehen Menschen hinein. Aber ansonsten weist nichts darauf hin, dass heute hier zum ersten Mal das Treibhausfestival stattfindet: Ein Festival für Musik- und Popkultur, für internationale Künstler*innen und lokale Acts. „Scheiben spiegeln, Rhythmus treibt, Licht bricht, die Temperatur klettert – wir heizen ein!“, schreiben die Veranstaltenden auf ihrer Homepage. Möglichst divers und inklusiv möchte das Festival dabei sein, ökologisch und sozial nachhaltig. Es gibt vergünstigte Soli Tickets für diejenigen, die sich nicht viel leisten können und Teurere für diejenigen, die mehr Geld haben.

Das Festival findet im Essener Norden statt. In einem ehemaligen Bergwerk – der Zeche Carl. Noch bis vor 70 Jahren wurde hier Steinkohle abgebaut, mittlerweile werden auf dem Gelände Theater, Kultur und Kunstveranstaltungen gezeigt und es gibt ein Restaurant. An diesem Nachmittag hört man aus allen Ecken und Winkeln der Zeche unterschiedlichste Sounds und Stimmen.
Zum ersten Mal Treibhausfestival
Bei der Premiere des Treibhausfestivals treten unter anderem die kalifornische Singer-Songwriterin Renaissance Woman und die belgische Punk Band Mitraille auf. Als ich in die Backsteinhallen des alten Bergwerks reinkomme und mich Richtung Bühne bewege, heizt hier gerade das Kölner Punk Quintett Lawn Chair den Raum ein.
Die Frontsängerin ist mal auf der Bühne, mal im Publikum und singt dabei „Men with their shifty eyes. Their gaze goes over me again and again“. Beim Refrain singt die halbe Halle mit, und die ganze tanzt – auch ich. Man kann gar nicht anders bei so einer Energie. Das Licht flackert, die Augen sind aufgerissen, der Gitarrist haut mit seinem Kopf auf die Drums. Fast schon in Ekstase gesungen, scheinen alle im Einklang mit der Band zu sein.

Gartenparty mit Punk
Dann aber muss ich mich erstmal weiter orientieren. Während der Drummer von Lawn Chair gerade so stark auf sein Schlagzeug haut, dass eine Snaire dabei kaputt geht, drängel ich mich durch das Publikum nach draußen. Ein krasser Kontrast: Zwar nieselt es jetzt zwischendrin ein wenig, aber auf der Wiese im Innenhof der Zeche scheint das niemanden zu stören. Allen den es drinnen grade vielleicht zu laut war, können hier auf großen Liegenstühlen, Decken oder Steinen sitzen. Viele Kinder laufen herum. In der Mitte der Wiese steht eine Tischtennisplatte, an der Rundlauf gespielt wird. Weiter hinten ist eine offene Spraywand, und vorne steht ein umfunktioniertes Gewächshaus: hier liegen Linoldrucke, Holzschnitte, bemalte Postkarten und Sticker, Knüpfarbeiten und andere Kunst – einfach so zum Mitnehmen oder gegen Spenden.
Mein Highlight auf der Wiese ist aber der Portrait-Automat. Ich kann mich auf eine Bierbank gegenüber der Künstlerin Silvia Dierkes setzen. Gegen Spende drückt sie dann nicht den Auslöser der Kamera, sondern porträtiert mich mit Stift und Papier. Neben dem Portrait-Automaten bildet sich die Schlange für das Essen. Der Foodtruck ist der Einzige, der hier steht, bietet veganes Essen an und ist leider am frühen Abend schon ausverkauft.
Das ist jetzt aber noch egal. Die Stimmung hier draußen ist gelassen und ruhig, die Farben grell und bunt. Es fühlt sich ein bisschen wie eine Gartenparty an, nur dass neben deinem Garten belgische oder kölsche Punkbands auftreten.
Unterwegs zwischen Draußen, Kaue und Festhalle
Drinnen springt das Festival zwischen zwei Hallen – der Kaue und der Festhalle. Wenn in der Kaue das Konzert vorbei ist, geht es weiter auf der anderen Bühne. Hier hat heute schon Renaissance Woman aus Kalifornien gespielt. Mit ihrer zarten Stimme und Akustikgitarre schafft sie Momente, die so leise sind, dass man fast vergisst zu atmen. Oder auch die Bochumerin Emma Rose, die durch ihre Deutschrap-Balladen auf TikTok bekannt wurde.. Mich begeistert sie durch ihre sanft Stimme und ruhigen Lieder. Doch wenn man genau hinhört, geht es in vielen ihrer Songs um Feminismus und harte sexistische Realitäten.

Später treten noch das Wiener Art-Pop-Trio Sharktank und bei der Aftershow Party die Djane Miss Modula auf. Für mich sind aber die zwei aus Essen stammenden The Düsseldorfer Düsterboys die letzte Band. Die Journalistin Julia Friese beschreibt ihren Sound so: Musik, mit der man aus der Gegenwart entflieht, „hinein in eine ruhige Kammer, an einen Ort, an dem der Puls nie höher schlägt als 65 Beats pro Minute“. Mir gefallen die melancholischen Texte und die Emotionen, die das Duett mit ihrer Band dabei verbreiten. Ihre beiden Stimmen scheinen miteinander zu tanzen und die Band in einem Klang zu spielen. Das Publikum wiegt sich im Takt und ich verabschiede mich langsam aus der Festhalle Richtung Ausgang.
Das Treibhausfestival zeigt keinen Mainstream, sondern ein liebevoll kuratiertes Programm für Musikfans, Familien und Kunstfreund*innen. Ein bisschen Punk, ein bisschen Folk, viele FLINTAs auf der Bühne, Farbe auf den Fingern und Essen zwischen den Zähnen. „Es ist ein Experiment“, steht auf der Homepage der Veranstaltung. Und ich finde, es ist ein Experiment, das sich lohnt, nächstes Jahr weiterzuführen.
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