Ein Abend im Theater Oberhausen: “Bruder Eichmann”/”Geschwister Eichmann”

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Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Medienpartnerschaft mit: RuhrBühnen. Die RuhrBühnen haben keinen redaktionellen Einfluss auf die Rezension.

Drei Stunden Theater, drei Stunden Adolf Eichmann. Drei Stunden die Fragen: Wie kann ein Mensch zu so einem Unmenschen werden? Hat Eichmann Schuld? Und was unterscheidet mich von diesem Mann? Drei Stunden im Theater Oberhausen. Ein Abend in Regie der Intendantin Kathrin Mädler und Stücken von Heinar Kipphardt und Lukas Hammerstein.

Lesedauer: 5 Minuten

Ich fühle mich erdrückt. Die Musik, die Stimmen, die Geräusche – alles klingt mir noch in den Ohren nach. Zusammen mit dem restlichen Publikum gehe ich Richtung Pause aus dem Theaterstück und merke, dass mein Körper während den ersten eineinhalb Stunden Schauspiel angespannt war und in meinem Kopf Fragen kreisen. Aber ist das nicht genau das, was ein gutes Theater ausmacht: emotionalisieren und Fragen stellen?

„Bruder Eichmann“ heißt das Stück, das ich an diesem Mittwochabend im Theater Oberhausen besuche. Der Abend besteht aus zwei Teilen. Nach der Pause geht es weiter mit einer Uraufführung des Stückes „Geschwister Eichmann“ von Lukas Hammerstein. Ein Abend also, der von dem NS-Verbrecher, Mörder von sechs Millionen Menschen und 1961 zu Tode verurteilten Adolf Eichmann erzählt.

Am Abendbrottisch mit einem NS-Verbrecher

1960 war Eichmann vom israelischen Geheimdienst in Argentinien gefunden worden, in Israel wird ihm dann der Prozess gemacht. Denn Adolf Eichmann war einer der Hauptfunktionäre des Holocaust: er hatte maßgeblich die Transporte in die Vernichtungslager organisiert. Eichmann ist, ganz in der Nähe von Oberhausen, in Solingen geboren, aufgewachsen in Linz und trat früh in die NSDAP ein. Seine berufliche Laufbahn ist geprägt von Diensträngen, Bürokratie, penibler Administration: alles muss seine Ordnung und Richtigkeit haben, Hierarchien respektiert und Befehle ausgeführt werden. So lernen wir ihn auch im Schauspiel kennen. Denn für den Text verarbeitete der Autor Heinar Kipphardt Verhörprotokolle aus dem Prozess gegen Adolf Eichmann zu einem dokumentarischen Text. Das Schauspiel ist von der Intedantin Kathrin Mädler inszeniert als Familienfeier. In Kipphardts Dokudrama geht es um die Schuldfrage Eichmanns, die öffentlich verhandelt wird. Die Familienfeier ist gleichzeitig ein Prozess.

Der Zuschauerraum wird an diesem Abend in Oberhausen komplett ausgespart. Vor mir ist der Tisch feinsäuberlich gedeckt. Während des Stückes wird mir eine Kartoffel auf den Teller gelegt und ein Glas Wasser steht eingeschenkt daneben. Niemand von den Zuschauern wagt es, auch nur das Essen anzufassen. Wie auch – man sitzt ja schließlich bei einem Mörder am Tisch. Oder? Ja klar!

Zwischen Schuld und reinem Gewissen

Aber Adolf Eichmann und einige aus seiner Familie sehen das anders: Er hätte nie jemanden persönlich töten können. Sowieso hätte er nur Befehle ausgeführt. Und seit wann sei es ein Verbrechen, Befehle auszuführen? Die einzigen, die an diesem Abend kritische Fragen stellen, sind die Enkel des NS-Verbrechers: Wie oft warst du genau in Auschwitz? Hast du Mein Kampf gelesen? Würdest du dich als Antisemiten bezeichnen? Die beiden Enkel stellen die Fragen, die uns Zuschauern im Kopf schwirren – ab und zu hat man das Gefühl, man möchte aufspringen, sich neben die beiden stellen, Eichmann anschreien und ihm seine Grausamkeiten vor Augen führen. Und dann wieder schafft es das Theaterstück auf eine skurrile und unwohlstiftende Weise Gemeinsamkeiten zwischen Eichmann und einem selbst herzustellen.

Adolf Eichmann stand 1961 vor Gericht.
Foto: Birgit Hupfeld.

Während des Schauspiels bewegen sich die Spieler, Prozessbegleiter und Familienmitglieder im Raum. Mal sitzen sie neben Zuschauern am Tisch oder stehen auf ihnen. Oft kommen sie den Zuschauern nah, stehen dann auch dicht hinter mir oder vor mir auf der anderen Seite des Tisches. Ab und zu steht auch Eichmann hinter mir – jedes Mal, wenn er nicht mehr in meinem Blickwinkel ist, bekomme ich ein ungutes Gefühl. Als würde durch seine Nähe etwas Böses überspringen? In der Mitte des Bühnenraums, zwischen den Abendbrottischen, ist eine Art Grab aufgeschüttet. Das Ensemble bewegt sich um das Grab herum, zu Beginn und Anfang versammeln sie sich wie bei einer Beerdigung am Grab. Die Luft ist durch den Staub oft stickig und riecht nach Dreck und Beklemmung. Das Schauspiel wird begleitet von Musik, die Abgründe auftut. Die von Cico Beck komponierte Musik wird in Momenten eingespielt, die ruhig wirken. Aber mir läuft jedes Mal ein Schauer über den Rücken – laute tiefe Töne, man kann das Grauen raushören, und die Züge, die über Gleise fahren.

Die Banalität des Bösen

Die Musik steht im krassen Gegensatz zu Adolf Eichmann, er redet versöhnlich, eher freundlich. Er ist sich sicher, im Recht zu sein. Fast verständlich versucht er einem weiß zu machen, dass er gar keine Schuld tragen kann: es war sein Job, er hatte nur Befehle von anderen ausgeführt. Die fast nicht zu begreifende Verbindung, der Zusammenhang zwischen Schreibtisch, Bürokratie, Organisation und Vernichtungslager, sechs Millionen maschinell getöteten Juden, Roma, Sinti, Menschen mit Behinderung, politische Gegner und Kriegsgefangene wird einem im Theaterstück immer wieder bewusst. Und selbst zum Schluss, wenn das Urteil gesprochen wird, bekennt sich Adolf Eichmann nur seines „Gehorsam schuldig“, nicht seinen Taten.

Aber wie geht das zusammen? Ein Mann, der davon überzeugt ist, nichts Falsches gemacht zu haben: „Die eigentliche Perversion des Handelns [Eichmanns] ist das Funktionieren.“, sagt Hannah Arendt. Die jüdische Theoretikerin und Philosophin war eine der Prozessbeobachter, als Eichmann in Jerusalem vor Gericht stand. Arendt schrieb dort die kontroverse Theorie der „Banalität des Bösen“ auf. Eichmann sei zwar einer der größten Verbrecher seiner Zeit, sie stellt aber vor allem seine Mittelmäßigkeit und Gedankenlosigkeit heraus. Und damit ist keine Herabsetzung des Holocaust und der Verbrechen von Adolf Eichmann gemeint. Sondern es ist ein Appell ans Nachdenken, ans kritische Hinterfragen. Denn was schützt uns vor „dem Bösen“, wenn es doch so banal sein kann, wie es sich in der Person Adolf Eichmann zeigt?

Nie wieder heißt jetzt

Auch eine Frage, die sich Lukas Hammerstein in seinem „Geschwister Eichmann“ Stück stellt. Nach der Pause ist der Bühnenbereich umgestellt. Die langen Tische sind weg – jetzt sitzen wir im Publikum wie in einer Arena auf den Tischen und Bänken davor. In der Mitte steht das Ensemble im Kreis. Aufgearbeitet werden die Erinnerungs- und Bewältigungsstrategien in Deutschland nach dem Holocaust – oder waren es eigentlich Verdrängungsmechanismen. Die Stimmen sprechen fließend, schnell, im Sprechchor – oft klingt es wie eine Stimme, manchmal wechseln sich die Stimmen schnell ab. Der Text trägt dabei die Banalität nach vorne, die wir heute immer noch in uns tragen und vor der wir uns in Acht nehmen müssen. Er fragt danach, ob heute eigentlich alles gut ist, ob der Faschismus und der Holocaust aufgearbeitet sind oder nur schlummernd unter dem Abendbrottisch liegen.

Für mich geht der Text an einigen Stellen zu schnell mit Anspielungen, die ich nicht immer verstehe. Ich hänge noch mit meinen Gedanken im Schauspiel vor der Pause und habe das Gefühl, dass ich auch gut zwei Abende für die Stücke hätte haben  können. Als auch der zweite Teil endet, bin ich erschlagen – mehr im positiven Sinne. Die Schauspielenden haben es geschafft, ihre Rollen so präzise zu verkörpern, dass wir im Publikum sämtliche Emotionen von Ekel über Angst und Lachen durchspielen mussten. Die Autoren und die Intendantin haben es geschafft, eine Inszenierung auf die Bühne zu bringen, die den sechs millionenfachen Mörder sich selbst entlarven lässt. Und uns im Publikum die Verantwortung klar macht, dass Nie wieder jetzt bedeutet.

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