Über’s Lautsein, Drag und die Sichtbarkeit von queeren Menschen: Das DJ-Duo „Serving Cunts“ im Portrait

Laut, schrill, bunt und unangepasst, das sind die „Serving Cunts“, wenn sie auflegen. Ihre Musik und ihr Auftreten lösen sich vom Konventionellen. Sie präsentieren ein Potpourri elektronischer Tanzmusik mit Elementen des Drag. 

Lesedauer: 4 Minuten

Drückende Hitze knallt auf den Asphalt am Dortmunder Hafen, als ich mein Rad unweit des Speicher100 abstelle. Hinter mir höre ich ein „Hallo“ und da sind sie: Anna und Ben. Laut, schrill, bunt und unangepasst, wenn sie auflegen, besser bekannt als die „Serving Cunts“. Dann tragen Sie ihre Bühnenoutfits samt Make-up. Ihre bunten Tattoos wirken wie Ergänzungen ihrer Bühnenoutfits. Wer sind die Menschen hinter den schrillen Bühnenfiguren?  STROBO hat sie getroffen. 

Anna und Ben begrüßen mich herzlich. Wir betreten den Speicher und gehen in einen kleinen Raum. „Der lag mal in meiner WG“, scherzt Anna und deutet auf den von Sofas umrahmten, bemusterten Teppich. Ein bisschen fühlt es sich auch an wie in einem WG-Wohnzimmer: Ältere Sofas, Poster an den Wänden und während des Gesprächs laufen immer wieder Menschen durch das Durchgangszimmer. Die Büros im Speicher100 sind nicht der Ort, an dem das Duo alltäglich Zeit verbringt. Wir treffen uns dort, weil sie am Abend am nahegelegenen Umschlagplatz auflegen. Während sie sich auf ihren Auftritt vorbereiten, unterhalten wir uns.

Serving Cunts, das sind Anna (l.) und Ben (r.).
Foto: Jorid Disteldorf.

Von der Maske auf die Bühne: „She is the devil and I am jesus”

„Wir legen jetzt bei der Ravemesse auf und machen so ein bisschen ,She is the devil and I am jesus‘, sagt Anna als sie beginnt Ben zu schminken. Die beiden sitzen auf dem mir gegenüberliegenden Sofa. Auf dem Beistelltisch liegt eine Auswahl an Tiegeln, Creme-Tuben und Fläschchen. Anna beginnt mit dem Weißeln von Bens Gesicht: „Wir finden das schon cool Drag mit Auflegen zu verbinden.“ Die Kunstform des Drag ist tief in der queeren Gemeinschaft verwurzelt. Sie spielt nicht nur mit dem Geschlecht als binärem Konstrukt, sondern ist zugleich auch Ausdruck der eigenen queeren Identität.

Die „Serving Cunts“ erfinden sich in ihren Auftritten immer wieder neu. Ihre Performance ist weitaus mehr als Auflegen. Sie schlüpfen in neue Charaktere. Sie wollen Geschichten erzählen. Nicht nur ihr Auftreten fällt aus konventionellen Rastern, auch ihre Sets: „Wir mischen alles wild durcheinander. Gerade für ein Set wie heute hat die Trackvorbereitung viel Spaß gemacht, weil wir durch unser Set eine Geschichte erzählen wollen“, erklärt Ben. Elektronische Tanzmusik. Diesen Überbegriff kann man dem Schaffen des Duos überstülpen. Ben erläutert: „Aber sehr divers und genreübergreifend“. Sie bedienen sich des Elektro, Oldschool-House, New Wave, Trance und Happy Hardcore.

Auf einem Sofa im Speicher100 in Dortmund schminken sich die beiden. Foto: Jorid Disteldorf.

Sichtbarkeit in der Szene: Queerness und Safer Space für FLINTA*

„Es ist uns wichtig, diese heteronormative Clubkultur zu brechen und auch ,Female Rage‘ hinter den Decks zu zeigen.“, beschreibt Ben. Sie wollen sich nicht entschuldigen, nicht klein machen, um reinzupassen – kurz: Sie wollen weibliche Wut sichtbar machen. „Wir sind einfach wir, wie wir performen wollen und vor allem wie wir uns als Publikum einen DJ wünschen würden.“, so Ben. Die DJs wollen denen Raum bieten, die sich im Mainstream der Club-Kultur oft nicht wiederfinden: FLINTA* und queeren Menschen. „Wir wünschen uns, dass das Publikum tanzen kann, sich frei fühlen kann, ohne sich missverstanden zu fühlen“, beschreibt Anna eindrücklich. Frei sein, ohne Bewertung von außen, das wollen die beiden mit ihren Auftritten erreichen. Woher der Wunsch nach Freiräumen für das eigene Sein kommt, verstehe ich, als sie erzählen, wie und wo sie aufgewachsen sind.

Anna und Ben sind im eher ländlich geprägten Umland von Dortmund aufgewachsen. Außerhalb der Großstadt hatten die beiden das Gefühl, nicht genügend Raum für Austausch und Inspiration für ihr künstlerisches Dasein zu haben. Anna entschied sich nach der Schule für eine Ausbildung zur Tätowiererin in Dortmund. Gerade macht sie eine weitere Ausbildung zur Friseurin. Nach einem einjährigen Abstecher in Bielefeld, kam auch Ben nach Dortmund und probierte sich eine Zeit lang im Studieren aus. Im Herbst soll es weitergehen: Sie möchte beginnen, Film zu studieren. Wenn man den beiden zuhört, merkt man schnell: Sie sind dauernd auf Achse mit neuen kreativen Projekten und vielen Ideen.

Das Ziel von Serving Cunts: weibliche Wut durch ihre Sets sichtbar machen. Foto: Jorid Disteldorf.

Durch ihre Vernetzungen aus der Tattoo-Szene kam Anna zum Auflegen: „2021 hatte ich meinen ersten Gig auf einem Mini-Festival um 6 Uhr morgens.“ Zu Beginn hat sie für sich allein aufgelegt. Auch Ben legte zunächst für Freund*innen auf. Nach anderthalb Jahren hatte sie dann den ersten Auftritt außerhalb der eigenen vier Wände.

Von der Kunst Leben? Ben hat genau das ein Jahr mit der eigenen Punkband probiert: „Da habe ich am Existenzminimum gelebt“. Mittlerweile arbeitet sie nebenbei als Assistenz für einen Menschen mit Behinderung: „Dadurch ist das kreative Sein zeitlich noch drinnen und finanziell geht es mir besser“. Auch Anna lebt gerade nicht mehr von ihrer Kunst. Ihr fehlt die kreative Freiheit. Langfristig möchte sie wieder selbstständig arbeiten. Für das Erste leben die beiden Künstlerinnen ihre künstlerische Seite in ihrer Freizeit aus. Wie es bei ihnen in Zukunft aussehen wird, wissen die beiden nicht: „Wir wissen gar nicht, wie unser Leben in drei Monaten aussieht“, so Ben. Sie leben zwischen Ausbildung, Arbeit und den nächsten Gigs. Eines ist sicher, das betont Ben: „Zusammen auflegen macht mehr Spaß als allein“.

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