Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Medienpartnerschaft mit: RuhrBühnen
Im Rahmen von „Geheimnis 1“ fanden am Theater an der Ruhr in Mülheim eine Vielzahl von unterschiedlichen Veranstaltungen statt: Neben einem magischen Psychozirkus, Begegnungen & Workshops und Konzerten, gab es auch die beiden Theaterstücke Bock und Ödipus zu sehen. STROBO-Autor John Schmidt besuchte die Abschlussaufführung von Ödipus.
Ödipus: Von Schmerz, Schuld und Schicksal
Das Stück wird aufgeführt im Raffelbergpark, direkt hinter dem Theater an der Ruhr, und unter freiem Himmel. Die natürliche Dämmerung gibt dem Stück auch eine zusätzliche Komponente, welche das Stück passend unterstreicht: Während zu Beginn des Stücks noch der ganze Park im Licht der Dämmerung gut zu sehen ist, sind zum Ende des Stücks nur die von Scheinwerfern beleuchteten Teile der Bühne zu sehen.
Aber von vorne: Das Stück beginnt mit einer Audiospur der 1977 mit der Voyager ins All geschossenen Goldenen Schallplatte, welche „Wir grüßen euch“ in verschiedenen Sprachen der Menschheit abspielt. Während die Atmosphäre eine zunehmende Spannung aufbaut, läuft eine Gruppe von 8 in weiß gehüllten Personen durch den Park und mit Pausen auf die Bühne, welche in einer minimalistisch-abstrakten Form Theben darstellt, zu. Die 8 Schauspieler*innen stellen außerirdische Wesen dar, die versuchen die Menschheit zu verstehen – die auf der Bühne herumliegenden Masken geben ihnen Schritt für Schritt ein Bild dessen, zu welchen Gefühlen wir Menschen imstande sein können. Denn die Masken gewähren ihnen nicht nur Einblicke in das Leben von Ödipus und seinem Umfeld, sondern auch in deren Welt aus Schmerz, Schuld und Schicksal.
Denn Ödipus, nach Tod des Königs Laois der neue König von Theben und neuer Ehemann von Iokaste, hat nicht nur eine in Theben wütende Seuche zu bewältigen, sondern sieht sich auch mit einer Vielzahl an persönlichen Problemen konfrontiert. Er wittert Verrat im engsten Kreis, fühlt einen Betrug durch das Orakel und erahnt ein schreckliches Geheimnis. Am Ende entfaltet sich das Schicksal, nah am Stück des Sophokles inszeniert, doch alles anders als vom König erwartet, aber genauso wie prophezeit. Nachdem die Wahrheit das Geheimnis ablöst und sowohl Iokaste als auch Ödipus ein tragisches Ende finden, bleiben einige Fragen: Welcher „Dämon“ trägt Schuld an dem Leid? Ist der Mensch zur Schuld vorherbestimmt? Sollten einige Geheimnisse besser eben nicht gelüftet werden?
Lebendige und moderne Darstellung des Sophokles-Klassikers
Dass sich diese (oder ähnliche) Fragen den Zuschauer*innen des Stücks am Ende aufdrängen, ist eine große Stärke dieses Schauspiels. Mit meiner Begleitung diskutiere ich anschließend lange das Stück, damit verknüpfte Themen und die Darstellung.
Äußerst gelungen finden wir die Leistung der 8 Schauspieler*innen, besonders von Paulina Alpens in der Rolle des Ödipus. Die von den Aliens aufgesetzten Masken werden von ihnen immer wieder abgesetzt, nur Ödipus wird das Stück über seine Maske nicht wieder aufsetzen und sogar als einzige Person keinen „Alien-Überzug“ tragen, womit Ödipus die einzige klar erkennbare und demaskierte Person des Stücks ist. Diese doppelte (oder dreifache?) Bedeutung der (De-)Maskierung und (Ent-)Personalisierung der Schauspieler*innen beeindruckt und lässt besonders Pauline in der Rolle des Ödipus exzellent zur Geltung kommen. „Ohne Maske wirkt die Präsenz von ihr noch eindrucksvoller,“ sagt meine Begleitung im Verlaufe unseres Gespräches. Auch der Prozess des Maskenaufsetzens durch die außerirdischen Wesen ist eindrucksvoll dargestellt: Setzt ein Alien die Maske auf, beginnt es unter Schreien, Winden und Verrenkungen die Erinnerungen an Theben und deren Bewohner zu erleben. Ohne Maske versuchen die neugierigen Wesen das Geheimnis des Menschen zu ergründen, mit aufgesetzter Maske verschmelzen sie mit den damit verknüpften Charakteren. Unterlegt mit wabernden Drone-Sounds und einem ominösen Ticken, erleben die Aliens und Zuschauer*innen die Ödipus-Tragödie hautnah und in einer erfrischenden Interpretation.
Das Stück Ödipus ist leider nicht mehr zu sehen, da die erste „Theaterinsel“ der Geheimnis-Reihe seit dem 14.09. bereits abgeschlossen ist. Dementsprechend ist diese Rezension eine klare Empfehlung für das kommende „Geheimnis 2“, denn der Experimentierwille und die Stimmigkeit des Stückes sind ein starker Kredit für die Stücke, welche ab dem 07.02.2025 aufgeführt werden. Checkt aber auf jeden Fall auch bis dahin hier das Programm des Theater an der Ruhr ab, euch erwartet unter anderem „der zerbrochene Krug“ von Heinrich von Kleist.
Elf Theater und zwei Festivals im Ruhrgebiet haben sich zu den RuhrBühnen zusammengeschlossen, um die Einheit in der Vielfalt erlebbar und sichtbar zu machen. Die STROBO-Redaktion hat jede von ihnen besucht, um euch zu zeigen, was jeder Ort auch für junge Menschen parat hält.
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