Für unsere Artikel-Reihe zur Route Industriekultur haben wir Duisburg besucht, sind mit dem Fahrrad von Bochum nach Essen gefahren und haben in Hamm einen riesigen Glas-Elefanten bestiegen. Und nun? Jetzt ist auch im Ruhrgebiet der Herbst eingekehrt und wir sind erneut auf der Route unterwegs: Gucken, was man auch bei schlechtem Wetter so erleben kann.
„Becherwetter“ nennen Fotograf*innen die trübe Wolkendecke, die sich an diesem Samstagmorgen über den Himmel des Ruhrgebiets gelegt hat. Es ist kalt, nass und einer dieser Tage, an denen wir eigentlich in Jogginghose auf dem Sofa liegen und Serien gucken würden. Jetzt fahre ich jedoch mit dem Fotografen auf dem Beifahrersitz irgendwo zwischen Witten und Hattingen durch eine malerische Waldstraße. Der Herbst hat den Wald in ein gold-gelbes Blätter-Meer verwandelt. Unser erstes Ziel: Das LWL-Museum „Zeche Nachtigall.
Zugegeben: Für Leute ohne Auto ist dieser Punkt auf der Route Industriekultur etwas komplizierter zu erreichen. So liegt das Gelände etwas abgelegen am Fuße eines kleinen Berges im Muttental. Wer Wandern mag, kommt hier auf seine Kosten. Schon vor 300 Jahren wurde hier Kohle gefördert – weil sie eben recht weit an der Oberfläche vorzufinden war, wie wir später noch lernen werden. Irgendwann war die Kohle in Gelsenkirchen spannender und stattdessen wurden an selbem Ort und Stelle Ziegelsteine produziert.
Erlebnis Stollen-Tour bei der Zeche Nachtigall
Am Eingang erwerben wir für 5€ ein Eintritts-Ticket und für weitere 3€ eine Führung durch den Stollen. Gerade letzteres ist ein absoluter Tipp und ein einmaliges Erlebnis. Zuerst einmal schlendern wir aber über das Gelände, schauen uns eine kleine, aber bildgewaltige Foto-Ausstellung von Kommunikationsdesigner Khalil Döring über den „Weg der Kohle“ von Rotterdam ins Ruhrgebiet an, lugen in den Ziegelofen rein und bewundern ein riesiges Schiff, mit dem damals Kohle wegtransportiert wurde.
Dann empfängt uns am Stollen-Eingang unser Guide. Wir bekommen einen Helm aufgesetzt, verzichten jedoch aus Coolness-Gründen auf die typisch weiße Bergmann-Jacke, ehe wir „einfahren“. Bergleute fahren immer ein, erfahren wir, auch, wenn wir den Stollen zu Fuß betreten. Geschützt vor Wind und Wetter und bei angenehmen 11 Grad bahnen wir uns den Weg durch den 130 Meter langen alten Nachtigall-Stollen im Hettberg.
Eigentlich sollte ich an dieser Stelle den informativen Teil der Führung erwähnen: Die harte Arbeit im Stollen und so weiter. Das könnt ihr aber auch in der Perspektiv-Wechsel-App nachlesen. Wir lassen uns jedoch nicht die Möglichkeit nehmen, auch ein paar Fotos und Videos in die „Außenwelt“ zu verschicken, die prompt für einige Reaktionen sorgen. Mit Helm und eingezogenem Kopf bei spärlicher Beleuchtung durch einen Stollen zu latschen, ist eben auch ein absurdes Erlebnis und definitiv eine Story wert. Macht man halt nicht jeden Tag.
Perspektivwechsel-App
Wer mehr über die Geschichte des Ruhrgebiets wissen möchte, sollte die Perspektivwechsel-App der Route der Industriekultur auschecken. Dort könnt ihr zum Beispiel einen Kohlentreiber, einen Bergbaubeamten oder eine Hausfrau der damaligen Zeit begleiten und mit einem virtuellen Tourguide mehr über das Leben in den Zeiten des frühen Ruhrbergbaus oder der Hochphase der Industrialisierung erfahren. Die App gibt es kostenlos in allen App-Stores.
Ausstellungstipp: Kolonialismus in Westfalen auf der Zeche Zollern
Beseelt von dem Gefühl, 3€ ausnahmsweise für etwas Spannenderes als für zwei Bier investiert zu haben, machen wir uns wieder auf den Weg weiter Richtung Dortmund, wo wir im Stadteil Bövinghausen die Zeche Zollern anfahren. Ich erinnere mich noch, wie ich als Kind den Kinderkeller besonders spannend fand – quasi ein Stollen zum Durchkrabbeln. Zu unserer Überraschung müssen wir jedoch feststellen, dass dieser jedoch wegen Bauarbeiten bis ins neue Jahr hinein gesperrt ist. Schade.
Trotzdem: Das LWL-Museum Zeche Zollern hat einiges zu bieten. Zwei Zechentürme mit Aussicht über Dortmund, jede Menge imposante Gebäude aus der glorreichen Zeit der Industrialisierung, ein gemütliches Restaurant mit diversen Speisen auf der Karte, eine Seilbahn und Ausstellungen. Besonders hervorzuheben ist dabei die Ausstellung „Das ist kolonial. Westfalens unsichtbares Erbe“, die man sich noch bis Ende Oktober 2025 zusätzlich zum gesamten Gelände der Zeche Zollern für 8€ (4€ ermäßigt) anschauen kann und sollte.
Die Ausstellung erzählt mit Info-Tafeln, Biografien und künstlerischen Interventionen auf eindrucksvolle Weise die Geschichte des Kolonialismus in Deutschland und – das macht die Ausstellung besonders spannend – die Geschichte des Kolonialismus in Westfalen. Durch den regionalen Bezug schafft es die Ausstellung, das grausame Kapitel noch einmal näher heranzuholen. Ausbeutung fand eben nicht nur von Hamburg oder Berlin aus statt. So heißt es im Einleitungstext: „Auch in Westfalen war der Kolonialismus allgegenwärtig. Menschen aus der Region profitierten von diesem kolonialen Unrechtssystem. (…) Unternehmer und Industrielle trieben die deutsche Kolonialpolitik voran, Kaufleute handelten mit kolonialen Waren. (..)“. Dies wird besonders an der Rolle der Dortmunder Handwerkskammer und des Dortmunder Hafen deutlich. Wo man heute am Kanal bei untergehender Sonne gerne mal ein Bierchen trinkt, wurden früher unter anderem Stahl und Bier aus Dortmund für den Export in die Kolonien verladen.
Bauhaus im Ruhrgebiet: Peter-Behrens-Bau in Oberhausen
In der winterlichen, viel zu frühen Abenddämmerung geht es für uns weiter nach Oberhausen. Letzter Stopp: Peter-Behrens-Bau. Architekt und Namensträger des monumentalen Gebäudes, das ich bis zur Recherche für diesen Artikel auch noch nicht kannte, ist Peter Behrens. Seiner Zeit ein Vorreiter des Bauhaus-Stils, jener berühmten Design-Bewegung, von der mittlerweile in sehr vielen Wohnungen Plakate hängen. Statt um Kohle geht es jetzt um (Industrie-)Design und Architektur. Das Gebäude an sich ist schon einen Besuch wert, so eindrucksvoll wirkt es, als wir staunend davorstehen. Besonders in Szene gesetzt wurde es aber durch die Licht- und Klanginstallation „future_grid“ des Düsseldorfer Künstlers Mischa Kuball.
In der Dauerausstellung des LVR-Industriemuseums erfahren wir dann noch mehr über Œuvre des Industriearchitekten und -designers. Wer sich mit Design beschäftigt oder einfach nur mal abseits von Pinterest neue Inspiration braucht, sollte sich die Ausstellung unbedingt anschauen. Viele seiner Arbeiten sind heute Design-Klassiker und gehen bei Kleinanzeigen nicht für wenig Geld weg. Von Stühlen bis Porzellan, es gibt nichts, was der Mann nicht entworfen hat. Zum Abschluss genießen wir noch die Aussicht über das Lichtermeer Oberhausens und gönnen uns zur Belohnung schlussendlich noch einen Stopp bei Ulli’s Grillstube. Ein üppiger Taxi-Teller für 10,70€: Auch das ist Heimat.
Die Route Industriekultur verbindet als touristische Themenstraße die wichtigsten und attraktivsten Industriedenkmäler des Ruhrgebiets. Zum Netz der Route zählen 27 Ankerpunkte, Standorte mit besonderer historischer Bedeutung und herausragender touristischer Attraktivität. Daneben gehören 17 Aussichtspunkte, 13 Siedlungen und zahlreiche Themenrouten zur Route Industriekultur. Weitere Informationen findet ihr auf der Website.
Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Gabelstapler fahren & Tagträumen – Ein Tag auf der Route der Industriekultur