Zum dritten Mal findet das Stone Techno Festival im Juli in Essen statt. Mit einem breit abgedecktem Techno-Spektrum lockt das Festival sogar internationales Publikum auf die alte Zechenanlage in Katernberg. STROBO-Autor Frederik war für euch am Festivalsamstag vor Ort.
Wolken, grau wie Steine, ziehen sich zusammen und brechen mit einem leichten Schauer über der Zechenanlage Zollverein auf. Matschige Doc Martens stampfen im Takt. Nebel wabert durch die Crowd und blitzende Strobolichter blenden die Sicht. Doch der leichte Regen scheint die homogene Menschenmasse nicht zu stören. Das fallende Wasser lässt die Besucher*innen vom Stone Techno Festival förmlich ineinander zerfließen. Sodass aus jedem Individuum auf der Eisbahn ein wellenschlagendes Meer aus tanzenden Technofans wird. Unter wiederkehrender Sonne, Applaus und Pfiffen beenden Altinbas und Gigi FM ihr B2B-Set auf der Eisbahn. Über der Stage laufen rostige, massive Stahlträger ins Unendliche. Daneben greifen meterhohe Schornsteine aus roten Klinkersteinen nach dem Himmel und uralte Industriegebäude aus einer längst vergangenen Zeit werden von grünen, farnartigen Pflanzen und Moosen zurückerobert. Eine dystopische Atmosphäre, die sich durch die wummernde Techno Musik noch verstärkt.
Salzlager und Kokerei: Raven auf alten Industrieanlagen
Zum dritten Mal in Folge veranstaltet das Techno Label The Third Room gemeinsam mit der Stiftung Zollverein das Stone Techno Festival in Essen. Das Musikevent hostet vier Floors auf dem westlichen Teil Zollvereins der Kokerei und hat mit einer Kapazität von 5000 Menschen schon an internationaler Bedeutung gewonnen. Laut dem Medienbeauftragten Erik Busch sei die Hälfte der Gäste extra aus den Niederlanden, Großbritannien, Spanien und einige sogar aus Kolumbien angereist.
Und das aus einem ganz klaren Grund: “You have people who are definitely here for the music”, sagt DJ DVS1 in einem Interview auf dem Instagram Account vom The Third Room Label. Und das merkt man auch. Blickt man in die Gesichter der Besucher*innen, erkennt man die pure Extase und Begeisterung für die elektronische Musik. Die Crowds geben sich der Musik vollends hin und lassen ihre Körper von den hypnotischen Sounds leiten. An diesem Juli Wochenende geht es um nichts anderes als die Technomusik zu feiern und Spaß mit seinen Freund*innen zu haben. Der Alltagsstress, die Sorgen und Kopfschmerzen (außer vielleicht die vom letzten Bier am nächsten Morgen) finden hier keinen Platz. Und es ist einfach befreiend, in die strahlenden Augen der Tanzenden zu sehen, die im Set ihres oder ihrer Lieblings DJs* aufgehen.
Salzlager und Kokerei: Raven auf alten Industrieanlagen
Das Ziel des Festivals: Das Genre Techno mit seinen weitreichenden Facetten abzudecken – genau das gelingt dem Label in jedem Fall auf den vier Floors. Die Namen der Stages wurden nach den Standorten und nach dessen industriellen Verwendungszwecken benannt.
Am Salzlager tanzen die Besucher:innen zu housig, poppigem Techno alla Young Marco, Narciss und Estella Boersma, der trotz fröhlich, leichtem Sound gut nach vorne geht. Eine Art Outdoor Boileroom mit hypnotisch verspielten Tracks lieferte die Eisbahn mit DJs wie Ben Sims, Oscar Mulero oder Phara.
Das Werksschwimmbad ist etwas für Leute, die es gerne eng, heiß und schnell lieben. Der Floor ist unter einer enormen Industriekonstruktur aus schwarzem Stahl. Die Atmosphäre im Werksschwimmbad kommt der eines Bunker- oder Tunnelraves sehr nah. Es läuft harter, schneller Techno. Die Bässe schallen von den massiven Stahlträgern und der tiefhängenden Decke wieder und lassen den eigenen Körper erzittern. Nebel und Strobolicht schränken die Sicht leicht ein. An der Decke hängen Monitore auf denen, passend zur Musik, bunte Animationen abgespielt werden. Grace Dahl, Alarico und auch Yanmaste bringen die Raver*innen mit schnellen Tracks ins Schwitzen.
Auf der Mainstage, der Kokerei, ist für jedes Technoohr etwas dabei. Umringt von großen Hochöfen, Schornsteinen und dem alten Riesenrad ist es der größte Floor des Festivals. Dort legt die Prominenz auf: Ellen Alien, SPFDJ und Anetha. Den besten Ausblick auf die Mainstage hat man von dem Schwimmbecken, das für die Gäste sogar geöffnet hat.
Stone Techno – mehr als ein Musikfestival
Der frühere Kohleabbau im Ruhrpott machte die Region zu einer der reichsten in Deutschland. Durch den strukturellen Wandel änderte sich das. Die Vergangenheit der Location wird auf dem Festival mit aufgearbeitet. Die Ruhr Uni Bochum, die Fossilien Freunde Essen, der Verein für Geologie und das Mineralien Museum Kupferdreh klären beispielsweise über Steine, Mineralien und den Boden des Potts auf. Und auch die damalige Kumpelmentalität der Bergleute hat einen Einfluss auf das Stone Techno Festival. Sowohl menschlich als auch räumlich zeigt das Event viel Offenheit. Es gibt kaum VIP Bereiche, die Besucher*innen können hinter die Stages und den DJs* beim Auflegen zusehen.
Am Stand des Mineralien Museums ist eine Quarzschale, Phonoliten (aka Klangsteine) und ein Lithophon aus Glimmerschiefer aufgebaut. Ein Lithophon muss man sich wie ein Xylophon aus Stein vorstellen. Mit Schlägeln oder anderen Steinen kann man das Gestein schwingen lassen, wodurch ein Klang entsteht. Viele lernen sie an diesem Stand das erste Mal kennen: Die musikalische Welt der Steine und Mineralien.
Während Corona haben Musikproduzent Matthew Herbert und The Third Room Gründer Ahmet Sisman unter Tage ein Samplepack mit Sounds von Steinen und Mineralien aus dem Ruhrgebiet aufgenommen. Die Samples wurden, zusammen mit der Aufforderung daraus elektronische Musik zu produzieren, an verschiedene DJs* und Producer*innen geschickt. Große Techno Namen wie FJAAK, Oscar Mulero und Rødhåd basteln eigene Tracks aus den Sounds und aus dem Samplepack entsteht ein nischiges Genre. Kurz darauf entwickeln Geologist Achim Reisdorf am Mineralien Museum Essen und Ahmet Sisman daraus das Stone Techno Festival. Ein Event, das Faszination für Technomusik, Geologie und die Vergangenheit des Potts vereint.
Halbmond über Zollverein
Mit den letzten Sonnenstrahlen wird die Musik auf dem Stone Techno Festival härter, schneller und dunkler. Doch das Festivalgelände wird immer bunter. Die bunt leuchtenden LED-Röhren erstrahlen heller. Die Projektionen – 3D-Scans von Steinen und Mineralien aus dem Kupferdreher Museum – auf den Monitoren der Stages sind besser zu erkennen. Die Schwarzlicht-Laternen an der Eisbahn und der Halbmond über dem Festivalgelände strahlen mit Schwarzlicht auf die Besucher*innen und lassen die tanzende Menge leuchten. Und damit lässt das Stone Techno die alte Zeche mit wieder einmal mit abwechslungsreichen Techno und einer ausgelassenen Crowd neu aufleben.
Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Mehr Tage, mehr Bands: Das Bunt oder Blau-Festival 2024