„Wir können an der Kinokasse mitbestimmen“ – Interview zum Internationalen Frauen* Film Fest

Das Internationale Frauen* Film Fest Dortmund+Köln will Sichtbarkeit für Filmemacherinnen schaffen und zeigt in der kommenden Woche rund 70 Werke online. Ein Interview mit Stefanie Görtz, Kuratorin des Spielfilmwettbewerbs, über Frauen in der Filmbranche und das Fest.

STROBO: Frau Görtz, sieht man sich die Historie der Academy Awards an, so hat in 93 Ausgaben nur zwölfmal ein Film mit weiblicher Produzentin die Kategorie „Bester Film“ gewonnen, und nur zweimal sind Frauen beste Regisseurinnen geworden. Woher kommt dieses Ungleichgewicht?

Stefanie Görtz: Das ist eine Frage von Verteilung in patriarchalen Strukturen. An den ersten Filmen der Filmgeschichte waren Frauen maßgeblich beteiligt. Die erste Spielfilm-Regisseurin* überhaupt war Alice Guy. Seitdem hat sich natürlich viel verschoben. Die Filmbranche hat sich zu einem starken Wirtschaftszweig entwickelt und Frauen hatten immer weniger führende Positionen inne. Es hat dann Jahrzehnte gebraucht, bis sie wieder in großer Zahl Geschichten erzählen konnten.

Das Ungleichgewicht ist auch eine Frage der Gatekeeper – wer wählt die Filme aus, wer bringt sie ins Kino? Außerdem geht es um die Verteilung von Geldern und darum, wer wem welche Budgets zutraut. Die Anzahl der Frauen hinter der Kamera bei hoch budgetierten Filmen ist immer noch sehr niedrig. So setzt sich dieses System aus vielen Parametern zusammen, die dazu führen, dass 2021 immer noch erst zwei Frauen den Oscar für die beste Regie gewonnen haben.

STROBO: In den letzten zwei Jahren hat sich die Lage aber etwas verändert. Mit „Nomadland“ wurde in diesem Jahr der Film von Regisseurin Chloé Zhao gewürdigt, im vergangen Jahr war es „Parasite“, produziert von Kwak Sin-ae. Hat sich in den vergangenen Jahren viel getan?

Görtz: Es hat sich sehr viel getan, auch was die öffentliche Wahrnehmung angeht. Das hat mit #MeToo und wiedererstarkten Quoten-Forderungen zu tun. Beim Filmfestival in Cannes gab es zum Beispiel in den vergangenen Jahren immer wieder Proteste von feministischen Organisationen, was die eklatante Unterrepräsentation von Regisseurinnen angeht. Es ist aber mittlerweile auch eine Generation von Filmemacherinnen am Zuge, die mit einem viel größeren Selbstverständnis in ihre Berufslaufbahn gestartet ist.

Man kommt einfach nicht mehr damit durch, keine Filme von Frauen ins Programm zu nehmen oder zu behaupten, Frauen seien mitgemeint. Auch in den Line-Ups anderer Festivals werden mittlerweile sehr viel mehr Filme von Regisseurinnen programmiert. Und es wird mehr produziert. Das merken wir zum Beispiel an den Einreichungen für unseren internationalen Spielfilm-Wettbewerb. Wir sind aber noch weit von 50:50 entfernt. Es ist eine gute Entwicklung, aber die müssen wir schützen und ausbauen.

STROBO:Inside – Internationales Frauen* Film Fest

Das Internationale Frauen* Film Fest Dortmund+Köln findet in jährlich wechselndem Rhythmus in den Städten Köln und Dortmund statt. Die diesjährige Ausgabe ist digital, startet am 15. Juni und geht bis zum 20. Juni. Gezeigt werden rund 70 Werke von Filmemacherinnen. Zu vielen Filmen gibt es ein Begleitgespräch mit der Regisseurin.

Tickets und Festivalpässe für das Streamen einzelner Filme gibt es auf der Seite des Internationalen Frauen* Film Fests zu kaufen. Außerdem gibt es jeden Abend einen offenen Chat auf SpatialChat, wo sich jeder mit dem Festivalteam und Regisseurinnen treffen kann, um zu sprechen und Fragen zu stellen. Die Preisverleihung des Fests ist am Sonntag, 20. Juni, kostenlos und live bei Vimeo zu sehen.

STROBO: Zumal das die Zahlen ja auch zeigen. 2018 wurde nur jeder fünfte Kinofilm in Deutschland von einer Frau inszeniert. Was sind die größten Herausforderungen, die Frauen in der Filmbranche erleben?

Görtz: Filme zu machen ist für alle Menschen eine große Herausforderung – von der Stoffentwicklung über die Finanzierung bis zur Distribution. Aber es ist schon die Frage, wer welche Geschichte erzählen kann, wem das zugetraut und zugestanden wird. Hier spielt auch Sexismus eine Rolle, das wurde in den letzten Jahren glücklicherweise stark an die Oberfläche gespült. Und natürlich ist die Organisation von Familienstrukturen auch immer noch ein sehr großes Thema. Es gibt ein Heer von männlichen Regisseuren mit Kindern, die kontinuierlich, alle zwei, drei Jahre einen großen Film machen können. Das ist für weibliche Regisseurinnen noch immer eine viel größere Herausforderung.

Filmproduktionen familienfreundlich zu organisieren gehört zu den großen To-dos der Branche.  Und wenn ein Film dann da ist und vielleicht auch ganz erfolgreich auf Festivals lief, bleibt immer noch die Frage, wer bringt ihn in die Kinos? Verleiher sind da zentrale Player und das ist auch eine stark von Männern besetzte Domäne. Es gibt in Deutschland gerade mal einen Verleih, der ausschließlich von Frauen geleitet wird, den jip-Verleih. Das ist auch noch einmal ein Rädchen in diesem gesamten Getriebe von Filmproduktion und Verwertung, das maßgeblich darüber entscheidet, ob wir die Filme von Frauen im Kino sehen oder nicht.

Man kommt einfach nicht mehr damit durch, zu behaupten, Frauen seien mitgemeint.

Stefanie Görtz

STROBO: Sie haben unter anderem Theater-, Film und Fernsehwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum studiert und als Dramaturgin gearbeitet. Wie haben Sie damals die Genderdebatte wahrgenommen?

Kuratorin Stefanie Görtz. Foto: Felix Schmale.

Görtz: Ich habe 1988 angefangen zu studieren und in meinem Studium sind sehr wenig Arbeiten von Frauen vorgekommen. Also ging es erstmal darum, die weiblichen Werke überhaupt auszugraben und Sichtbarkeit zu finden. Der Punkt war, mir zu erkämpfen, dass ich Filme von Regisseurinnen wahrnehmen konnte. Und weil das fast gar nicht in meinem Studium vorgekommen ist, bin ich 1999 zum Frauen* Film Fest gegangen, damals noch femme totale in Dortmund.

STROBO: Also ist Ihnen durch Ihr Studium klar geworden, dass Sie sich beruflich Frauenförderung in der Filmbranche widmen wollen?

Görtz: Absolut. Das waren ganz große Lücken und mir hat dadurch im Studium etwas sehr gefehlt. Ich habe mich nicht repräsentiert gefühlt.  

STROBO: Das Internationale Frauen* Film Fest Dortmund+Köln will Frauen in der Filmindustrie sichtbar machen und dazu führen, dass ihre Werke kanonisiert werden. Wieso ist das ein wichtiges Ziel?

Görtz: Das ist die Frage von Geschichtsschreibung. Der Kanon entscheidet darüber, ob Dinge erinnert werden. Viele historische Arbeiten wurden digitalisiert, damit sie weiter im Kanon sind, damit sie weitergesehen werden – zum Beispiel auch in der Schulbildung. Aber wenn man sich anschaut, wie viele Filme von Regisseurinnen dabei sind, setzt sich da das Ungleichgewicht weiter fort.

Dabei ist es sehr wichtig, dass auch die Werke von Regisseurinnen erhalten und sichtbar bleiben. Im Filmstudium stellt sich zum Beispiel die Frage: Sieht man immer nur Jean-Luc Godard oder auch eine Sally Potter? Eine Agnès Varda hat zum Beispiel das Filmschaffen genauso nach vorne gebracht wie Godard. Wir wollen mit unserem Festival eine größere Bandbreite von Geschichten zeigen und die Arbeiten von Frauen hinter der Kamera.

Pauschale Urteile wie „Frauen machen solche Filme und Männer solche“ bringen uns nicht weiter.

Stefanie Görtz

STROBO: Sie sind Kuratorin des Spielfilmwettbewerbs, in dem acht Werke von Filmemacherinnen gegeneinander antreten. Was muss ein Film für Sie erfüllen, um in den Wettbewerb aufgenommen zu werden?

Görtz: Meine Kolleginnen und ich suchen nach spannenden Mischungen aus filmischer Form und Thema. Wir brauchen das Gefühl, dass die Regisseurin wirklich ein Anliegen hat, und dass sie eine adäquate filmische Form dafür findet. Das sind die Grundvoraussetzungen. Und dann ist die Frage, ob wir ein gutes Zusammenspiel der Filme finden. Natürlich wollen wir zum Beispiel nicht nur Filme aus Westeuropa zeigen. Wir wollen mit den acht Filmen ein gutes Spektrum schaffen und bemühen uns, neue Bilder zu finden und Regisseurinnen aus verschiedenen Regionen und Kinematografien einzubeziehen. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel zum ersten Mal einen Film aus Kamerun im Wettbewerb.  

STROBO: Wo Sie schon von der diesjährigen Liste sprechen: Welche acht Filme haben es in diesem Jahr unter die Nominierten geschafft?

Görtz: Es ist eine wirklich interessante Mischung – dabei sind Filme von in Deutschland bislang eher unbekannten Regisseurinnen, aber es sind auch sehr bekannte und preisgekrönte Filmemacherinnen darunter. „Quo vadis Aida?“ war beispielsweise für einen Oscar nominiert, die Regisseurin Jasmila Žbanić hatte mit ihrem Debüt 2006 bereits einen goldenen Bären gewonnen. Auch thematisch haben wir eine große Vielfalt, von Cybermobbing bis hin zu einer beißenden Satire, die sich mit der globalen Flüchtlingssituation beschäftigt.

Der kamerunische Beitrag „Buried“ ist ein super kraftvoller Film über Missbrauch und Traumabewältigung. Es ist die Geschichte von vier Freund:innen, die sich nach vielen Jahren wiedertreffen und anfangen, ihre gemeinsam erlebte Kindheit in einem Waisenhaus aufzuarbeiten. Der Film glaubt an die Kraft des Sprechens. Dann ist da der queere Film aus Argentinien „Las mil y una“, der eine junge queere Community in einem Viertel im armen Norden Argentiniens begleitet. Die lesbische Liebesgeschichte wird hier einerseits sehr respektvoll erzählt, gleichzeitig prizzelt die Leinwand und man bekommt wieder ein Gefühl dafür, wie es ist – dieses allererste Verliebtsein. Und wir starten das Festival mit „Aurora“ aus Costa Rica, einem eher zurückgenommenen, subtilen aber nicht weniger feministischen Werk.

STROBO:Inside – Stefanie Görtz

Stefanie Görtz ist Kuratorin des Spielfilmwettbewerbs beim Internationalen Frauen* Film Fest Dortmund+Köln. Sie hat Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Publizistik und Volkswirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum studiert und unter anderem als Dramaturgin in Düsseldorf gearbeitet. Zum Internationalen Frauen* Film Fest Dortmund+Köln ist sie 1999 gekommen.

STROBO: Wird über Frauen im Filmbusiness gesprochen, geht es häufig um den Female Gaze, den weiblichen Blick auf Themen. Gibt es Filmgenres, in denen die weibliche Perspektive mehr erwünscht ist als in anderen?

Görtz: Es gibt auch coole Filme von Frauen im Horrorgenre, aber das ist schon stereotyperweise ein Bereich, in dem sich mehr Regisseure tummeln. Im Dokumentarfilmbereich ist das ausgeglichener. Das hat auch mit der Höhe der Budgets zu tun – Dokumentarfilme sind in der Regel niedriger budgetiert als Spielfilme – und da finden wir dann wieder mehr Regisseurinnen.

Und bei der Wahl der Themen ist oft die Frage, ob es Frauen zugestanden wird, einen Film über ein bestimmtes Thema zu drehen – aber auch ob eine Schere im Kopf der Künstlerinnen selbst gibt. Ob sie sich zutrauen, etwas zu denken oder zu planen wie vielleicht einen Horrorfilm. Aber da bricht auch etwas auf. Und pauschale Urteile wie „Frauen machen solche Filme und Männer solche“ bringen uns nicht weiter.

STROBO: Auch neben der queeren Sektion „begehrt!“ widmen sich viele Filme des Festivals dem Thema sexueller Selbstfindung und Queerness. Wieso liegt das Sichtbarmachen dieser Themen dem Internationalen Frauen* Film Fest am Herzen?

Görtz:  Weil es noch immer nicht so viele Abspielplattformen für diese Themen gibt. Es gibt zwar explizite LGBTQI*-Festivals, aber das sind deutschland- oder weltweit gesehen nicht so irre viele. Auch hier geht es wieder um Sichtbarkeit und dass es Orte gibt, an denen sich queere Menschen wohl und repräsentiert fühlen. Wir sprechen hier auch immer noch über Vorbilder für jüngere Menschen – aber nicht nur.

Das bekannte Geena Davis-Motto: „If she can see it, she can be it” gilt auch für Queerness, aber eben auch für Jobs. Jetzt beim Online-Fest folgt auf fast alle Filme beim Streaming das Gespräch mit der Filmemacherin. Es ist cool, wenn eine gestandene Kamerafrau vor mir steht und ich dadurch vielleicht diesen Job für mich entdecke. Das ist auch gerade in unserem Programm für Kinder und Jugendliche ein elementarer Aspekt.

STROBO: Was muss gesellschaftlich passieren, damit es eine Gleichberechtigung im Filmbusiness gibt?

Görtz: Wo Filme finanziert werden, muss der Wille da sein, Gleichberechtigung und Vielfalt zu unterstützen. Wenn das aus Steuergeldern finanziert wird, muss die Teilhabemöglichkeit von allen gewährleistet sein – auch über Quoten. Und wir als Zuschauer:innen müssen mitmachen, den Blick weiten und sagen: „Ich habe Lust, mir Filme von ganz unterschiedlichen Menschen, Ländern, Herkünften anzugucken.“ Wir als Kinogänger:innen tragen dazu bei, was letztendlich im Kino gezeigt wird. Ein bisschen können wir da an der Kinokasse auch mitbestimmen.

Service: Internationales Frauen* Film Fest Dortmund+Köln

Was? Das internationale Frauen* Film Fest Dortmund+Köln
Wann? 15. Juni bis 20. Juni
Tickets und weitere Informationen gibt es auf der Website des internationalen Frauen* Film Fests.

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