Techno-DJ Sebastian Mur hat kein Bock auf monotones Gebretter

Im Oberhausener Druckluft war Sebastian Mur erst Gast, dann organisierte er mit verschiedenen Kollektiven selbst Partys, bis er schließlich als DJ selbst Industrial und Dark Techno auflegte. Im STROBO:Talk erzählt er, was ihn an elektronischer Musik fasziniert und wie wichtig ihm Partys sind.

STROBO: Sebastian, kannst du dich noch an deine erste Party erinnern? 

Sebastian Mur: Das war die Beatplantation im Druckluft, ein Clubfestival mit damals sieben Floors. Da lief alles von Techhouse über Drum ’n‘ Bass und Goa bis hin zu Livebands. Aber auch Theater und Performances waren vertreten. Das war sehr beeindruckend und einfach eine komplett andere Welt für mich – wie ein Karneval. 

STROBO: Bei dieser Party konntest du unterschiedliche Musikrichtungen entdecken. Wusstest du da schon, was dir am meisten gefällt?

Sebastian Mur: Das hat sich im Laufe der Jahre entwickelt. Ich habe bereits recht früh festgestellt, dass ich eher auf einen schnelleren, härteren Sound stehe, der einen nach vorne treibt. Von daher bin ich sehr glücklich darüber, dass Techno wieder an Tempo zunimmt.  

STROBO: Wie würdest du deinen eigenen Sound beschreiben? 

Sebastian Mur: Ich beschreibe ihn meist als „Melancholic Hard Techno“. Mir ist dabei immer wichtig, dass es nicht nur monotones „Gebretter“ ist, wie man es auf vielen Partys momentan hört. Ich versuche, harte treibende Tracks mit sphärisch melancholischen Parts zu kombinieren, um so eine emotionale Reise zu erzeugen. Dabei schaue ich, dass ich das Sets mit einem positiven Vibe enden lasse, damit die Leute das Set mit einem Lächeln verlassen.

STROBO: Was macht diese Musikrichtung für dich so interessant?

Sebastian Mur: Techno ist für mich sehr emotional, ohne dabei spezifisch zu sein. Bei anderen Musikrichtungen hast du oft ein Thema, welches im Text behandelt wird. Bei Techno ist es freier, womit du Emotionen verknüpfst. Es ist vollkommen egal, wie hart der Techno gerade ist oder nicht: Ich habe immer ein Grinsen im Gesicht – außer ich lege auf. Da habe ich keine Kontrolle über meinen Gesichtsausdruck. (lacht)

STROBO: Welche Bedeutung haben Partys über die Musik hinaus für dich ?

Sebastian Mur: Es hat einen sehr großen Einfluss auf dich, wenn du an einem Ort bist, wo du sehr interessante und freie Menschen triffst. Früher war es zum Beispiel nicht leicht für mich, neue Leute kennenzulernen. Mittlerweile kenne ich so viele Leute, dass ich es teilweise auf Partys nicht schaffe tanzen zu gehen, weil ich dauernd in Gespräche verwickelt bin. Dadurch hast du einen riesen Austausch und lernst viele verschiedene Meinungen kennen. Aber es ist auch eine Bubble.

Irgendwann wollte ich nicht nur Gast sein, sondern selbst veranstalten. Sobald du da wieder DJs und andere Leute kennenlernst, ist das wieder komplett anders. Da unterhältst du dich dann im Backstage drei Stunden lang über Musik oder Licht. Das eröffnet dann wieder andere Bereiche. 

STROBO: Lieber Auflegen oder Tanzen? 

Sebastian Mur: Ich lege lieber auf. Tanzen kannst du auch dabei oder danach. Das Gefühl, wenn du den Floor mit deinen Tracks zur Ekstase treibst und sich die Leute in der Musik verlieren, ist unbeschreiblich. Für mich ist es sehr angenehm, eine direkte Resonanz zu dem zu bekommen, was ich gerade tue.

STROBO: Woran denkst du beim Auflegen? 

Sebastian Mur: An den nächsten Track. 

STROBO: Unter dem Künstlernamen Doll&Mur legst du auch gemeinsam mit einem Freund auf.  Wie teilt man sich erfolgreich die Plattenteller? 

Sebastian Mur: Ich muss sagen, mit manchen klappt das einfacher, mit manchen nicht. Wir spielen meistens auf drei Decks, sodass während der eine spielt, der andere Tracks auswählen kann. Dadurch laufen bei uns aber teilweise drei oder vier Tracks gleichzeitig. Manchmal kommt da absolutes Chaos bei heraus. Manchmal aber auch Sachen, die du so nicht gemacht hättest. 

Wir haben uns auf einer gewissen Weise immer näher aneinander angeglichen. Trotzdem gibt es Tracks bei denen klar ist, von wem es gerade kommt. Chris hat oft einen groovigen, leicht witzigen Sound dabei. Mir gefällt das, aber selber würde ich das nicht spielen. Dadurch entsteht dann ein noch interessanterer Mix. 

STROBO: Der harte Sound wird in vielen Läden in der Region aufgelegt. Gibt es für dich einen Sound of Ruhrgebiet? 

Sebastian Mur: Nein eher nicht. Das Ruhrgebiet ist sehr vielfältig und dezentral. Immerhin sind wir Deutschlands größte Metropolregion. Du hast deine Spots, die einen gewissen Einzugsbereich haben. Zudem finden hier in den Clubs verschiedene Partys statt. An einem Abend ist eine Drum ’n‘ Bass – und an einem anderem eine Techno Party. Deswegen ist es schwer zu sagen. 

„Es ist ein Segen, einen Ort zu haben, an dem man seine Kreativität voll ausleben kann, seinen eigenen Spielplatz.“

STROBO: Du bist in Duisburg groß geworden. Wie schaust du auf die Stadt? 

Foto: David Peters.

Sebastian Mur: Duisburg ist da. Ich habe am Bahnhof gewohnt und nur 20 Minuten nach Oberhausen zum Druckluft gebraucht. Hinterher habe ich auch Leute in Duisburg kennengelernt. Aber da du keinen coolen Ort hast, haben die sich alle woanders sozialisiert und woanders getroffen. 

Es gibt auch Kollektive, die coole Outdoorpartys an Ruhr und Rhein veranstaltet haben. Da habe ich gemerkt, dass doch ein paar Leute aus Duisburg kommen. Aber es fehlt ein Club, der ein Zuhause werden könnte. Der Wunsch ist da, die Leute sicherlich auch, aber es fehlt der Wille der Stadt. 

STROBO: Das Druckluft in Oberhausen war lange Zeit deine Club-Heimat. Was macht diesen Ort so besonders? 

Sebastian Mur: Das Druckluft ist ein Soziokulturelles Zentrum und kein Club. Denen war das auch immer wichtig. Von daher sind das eigentlich nur Räume, die jedes Wochenende anders dekoriert werden. 

Aber wenn da die richtige Party ist, erinnert es mich an eine kleine Fusion im Club. Das fühlt sich dann so an, als wärst du auf einer Insel. Die Leute und das Flair waren ausschlaggebend dafür, dass ich da immer wieder hingegangen bin. Es ist eben kein Laden, in dem alles passt. Dort ist alles punkermäßig zusammengeschustert, aber das macht es geil. 

STROBO: Hattest du um das Druckluft herum das Gefühl von einer Community? 

Sebastian Mur: Auf jeden Fall – gerade im Veranstaltungsbereich. Da bist du dann in einer anderen Welt und hast dauernd irgendetwas zu tun. Es ist ein Segen, einen Ort zu haben, an dem man seine Kreativität voll ausleben kann, seinen eigenen Spielplatz.

STROBO: Nun bist du nach Dortmund gezogen. War die Nähe zu Oberhausen ausschlaggebend? 

Sebastian Mur: Früher bin ich für das Filmstudium jeden Tag drei Stunden hin und her gefahren. Ich war nie genug zu Hause, um etwas mit meinen Leuten zu unternehmen und nie genug hier, um etwas mit den Kommiliton:innen zu machen. Im kreativen Bereich ist es so wichtig, dass du Leute kennenlernst und Kontakte knüpfst. Deswegen bin ich schließlich umgezogen, um mich auf eine Sache konzentrieren zu können. 

STROBO: Dein Herz schlägt für zwei Leidenschaften: Musik und Film. Für welche mehr? 

Sebastian Mur: Es war immer mein Plan, Regisseur zu werden. Die Musik ist jetzt dazugekommen. Ich habe bei allem was ich tue große Ambitionen und will schauen wo die Reise hinführt. 

„Es war immer mein Plan, Regisseur zu werden.“

STROBO: Möchtest du irgendwann mal beide Sachen miteinander verbinden? 

Sebastian Mur: Tatsächlich ist das für die nächsten Monate geplant. Ich habe ein, zwei Tracks produziert und für die möchte ich ein Musikvideo machen. Das ist schon länger in Planung. 

STROBO: Siehst du dich als Künstler? 

Sebastian Mur: Um es ein bisschen pathetisch zu formulieren: Ich sehe mich als Geschichtenerzähler und das kannst du mit unterschiedlichen Medien. Ein gelungenes DJ-Set ist auch eine Geschichte, mit einem Song ist es ähnlich. Es geht nicht darum, große Kunst zu machen. Es geht darum, ein Ventil für seine eigenen Gefühle zu finden.

Obwohl du eigentlich schon die ganze Zeit künstlerisch aktiv bist, wird es oft als Qualitätsmerkmal gesehen. Beim Begriff „Künstler:in“ hast du direkt ein Bild im Kopf. Deswegen sage ich eher: ich bin ein kreativer wirrer Kopf. Andere würden mich dann aber wieder als Künstler sehen.  

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