Von den düsteren Melodien von New Order bis hin zu den sonnenverwöhnten Klängen der Sunbeam Sound Machine. Marvin Andrä aus Essen schöpft aus einem Ozean von Einflüssen, um seine eigene musikalische Identität zu formen – momentan für sein Solo-Projekt Crystal Glass. Er erzählt STROBO von seinen Inspirationsquellen und der Banddynamik.
Hinter den verwaschenen Fassaden von Essen-Bergerhausen, versteckt hinter den Kulissen eines Malerbedarfs, liegt der Probenraum von Marvin Andrä aka Crystal Glass. Die Begrüßung ist herzlich und es wird direkt klar, dass man mit Marvin über Gott und die Welt oder in diesem Fall den Ruhrpott und die Musik sprechen kann.
Von Reggae zurück zum Indie
„Als ich als junger Knirps meine Schwester beim Klavierunterricht beobachtete, entdeckte ich das Schlagzeug und wusste sofort: Das will ich auch!“, erinnert sich Marvin. Später studiert er Jazzschlagzeug an der Folkwang Universität in Essen. Seine ersten Band Erfahrungen sammelt er in Reggae- und Jazzbands: Eine Zeit, aus der er viel mitgenommen und gelernt habe.
Doch Marvin will schließlich wieder back to the roots: zurück zum Indie. „Ich war immer nur Schlagzeuger, aber hatte auch Bock, mal vorne zu stehen. Ich musste nur erst mal singen lernen“, sagt Marvin und lacht. In seinem Soloprojekt Crystal Glass findet man ihn mittlerweile an der Gitarre und dem Gesang. Wie der Name Crystal Glass entstanden ist? „Es war Corona, ich schreibe Songs, bin viel allein zu Hause und trinke Rotwein aus einem Kristallglas. Das ist die unromantische Story dahinter“, erzählt Marvin mit einem Schmunzeln.
Crystal Glass überwindet musikalische Grenzen
Mit Maja Bjeljac am Bass, Daniel Ismaili an den Drums, Navid Rezaeian am Synthesizer und Lucas Schmitz an der Gitarre wird die Band um Crystal Glass abgerundet – ein musikalisches Projekt, das während des Chaos der Pandemie seinen eigenen Weg findet. „In einer Band zu spielen bedeutet, eine Familie zu sein. Man verbringt unzählige Stunden miteinander, teilt Höhen und Tiefen und muss auch mal Kritik einstecken können“, beschreibt Marvin ihre Banddynamik, „es muss einfach passen.“
Das Debütalbum „I’M MELTING“ wurde durch die Initiative für Musik NRW gefördert und hat sein Zuhause bei Duchess Box Records in Berlin gefunden. Eine Klanglandschaft, die über die Grenzen von Indiepop, Psychedelic Rock und New Wave hinweg schwebt und die Hörer:innen auf eine Reise durch die Wirren der menschlichen Existenz mitnimmt. Passend zum Album folgt auch ein Musikvideo.
2021 fanden die ersten gemeinsamen Auftritte statt und 2023 dann die erste selbstorganisierte Tour. Quer durch Deutschland mit 30 Stopps – unter anderem Berlin, Salzwedel, Bamberg, Hamburg und natürlich ihre Homebase Essen. Mit der Nominierung als Newcomer 2023 für den Pop NRW Preis schaut Marvin auf ein erfolgreiches letztes Jahr.
Crystal Glass: Songs, in denen sich alle wiederfinden können
Marvin betrachtet seine Kunst als eine ständige Veränderung. „Ich möchte mich nicht in ein Konzept einsperren lassen, sondern lieber Singles veröffentlichen, um meiner Kreativität freien Lauf zu lassen“, erklärt er seine Philosophie. Mehr Singles statt eines Albums also. Ideen dafür hat Marvin einige: „Ich muss alle paar Wochen Songs schreiben, sonst fehlt irgendwas.“
In den Anfängen seiner musikalischen Karriere hat Marvin jeden Aspekt seiner Songs eigenhändig gestaltet, vom Schreiben bis zum Produzieren. Heute jedoch arbeitet er mit anderen Künstler:innen zusammen und hat sich Unterstützung bei Produktion und Mastering gesucht. „So gibt es immer wieder neuen kreativen Input“, sagt Marvin.
Seine Inspiration findet er im Alltag und in den Schichten des menschlichen Daseins. „Das Schreiben von Songs hilft mir, meine Gedanken zu sortieren“, sagt Marvin, „auch wenn es mir nicht gut geht, dann schreibe ich es auf. Meine Gefühle in einen Song zu packen, hilft mir.“ In seinen Liedern verbirgt sich ein Mosaik aus Symbolen und Bildern, eine Welt, die jede:r Hörer:in auf eigene Weise interpretieren kann.
In dem Song „No end tonight” geht es um eine Nacht, die nicht enden soll. Ein schöner Moment, der nicht aufhören soll und ein Gefühl, das bleibt. Diese Situation hat wohl jede:r so oder so ähnlich schon mal erlebt. Und darum geht es Marvin: „Ich find’s immer geil, Songs zu schreiben, in denen jede:r sich selbst finden kann.“
Crystal Glass: Bye bye Ruhrpott?
Tame Impala und Beach House – das sind nur zwei Facetten eines musikalischen Fundus, der Marvin inspiriert. Mit einer alten Schallplattensammlung aus den 80er Jahren, die ihm vermacht wurde, erkundet er die klanglichen Wunderwelten vergangener Epochen. Unter den staubigen Hüllen verbergen sich wahre Schätze, viele crazy Platten, die seine musikalische Vorstellungskraft beflügeln.
Marvin beschreibt seine Musik selbst als eine träumerische Musikwelt, die zum Tanzen anregt. Und das trifft ziemlich genau die einzigartige Atmosphäre seiner Klänge, die die Zuhörer:innen auf eine Reise durch ihre eigenen Träume und Gedanken entführen, während sie gleichzeitig den unwiderstehlichen Drang verspüren, sich im Rhythmus seiner Melodien zu bewegen.
Der Plan für 2024? Ein Umzug nach Berlin, um neue Horizonte zu erkunden und die pulsierende Musikszene der Hauptstadt zu erleben. Denn für Marvin hat mit Crystal Glass die Reise erst begonnen.
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