„Es bleibt ein ewiges Bemühen, dass Kultur und Inklusion ein selbstverständliches Thema wird“

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Irmgard Merkt leitet einen Chor für Menschen mit und ohne Behinderung. Sie setzt sich für mehr Inklusion durch die Arbeit mit Musik ein. Strobo hat mit ihr über ihre Arbeit mit dem Chor, die Wichtigkeit von Musik und Inklusion und ihren Einsatz für Menschen mit Behinderung gesprochen. Kultur Ruhrgebiet

Strobo: Frau Merkt, Sie haben ja vor fast 10 Jahren den inklusiven Chor „stimmig“ gegründet. Wieso muss Musik, Ihrer Meinung nach, inklusiv sein? Kultur Ruhrgebiet

Irmgard Merkt: Musik muss nicht immer inklusiv sein. Aber die Menschen mit Behinderung, die sich musikalisch ausdrücken wollen, sollen dazu die Möglichkeit haben. Man muss zunächst alle Menschen in gleicher Weise informieren, was Musik ist, was Musik sein kann, wie man musikalisch aktiv werden kann. Diese Information muss aus meiner Sicht in gleicher Weise gestreut werden. Und allen Menschen müssen entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten angeboten werden. Das heißt für mich Teilhabegerechtigkeit.

Strobo: Der Chor ist für alle erwachsenen Menschen mit und ohne Behinderung. Wie hat die Inklusion bei Ihnen funktioniert?

Irmgard Merkt: Auf zwei Ebenen: Auf der Ebene der Begegnung und über das gemeinsame Singen. Wer kommt, singt mit, egal mit welchen Tönen, das war immer meine Maxime. Das war das Musikalische. Um Begegnungen, Austausch und Gespräch möglich zu machen, gab es vor der Chorprobe Kaffee, geschälte Äpfel, Kekse und Wasser. Und es gab zusätzlich auch immer eine Kaffeepause. Das haben die Studis vorbereitet, die im Chor mitgesungen haben. Es gab für sie auch verschiedene andere Aufgaben. Zum Beispiel die Werkstattbeschäftigten von den Taxis abholen und zum Raum bringen. Da war dann schon Gelegenheit für Gespräche und Kontakt. Diese Situationen muss man auch schaffen. Inklusion macht sich nicht, indem man nur sich trifft, singt und wieder auseinander geht. Sie müssen den sozialen Kontext schaffen, indem Gespräche möglich sind.  

STROBO:Inside – Irmgard Merkt

Irmgard Merkt war langjährige Professorin für Musik und Rehabilitation, unter anderem auch an der TU Dortmund. Sie setzt sich besonders für Menschen mit Behinderung ein. Sie war unter anderem Mitarbeiterin eines Modellversuchs, der sich mit Instrumentalspiel mit Behinderten befasste. Außerdem ist sie Vorsitzende des Vereins InTakt, der sich für Inklusion durch Kultur beschäftigt. Vor fast 10 Jahren hat sie den inklusiven Chor „stimmig“ als Lehrveranstaltung im Rahmen des Projekts „Dortmunder Modell: Musik“ an der TU Dortmund gegründet und selbst geleitet, auch nach ihrer Pensionierung im Jahr 2014.

Irmgard Merkt: „Ich hatte immer einen Gerechtigkeitsfimmel“ Kultur Ruhrgebiet

Strobo: Durch Ihre langjährige Chorarbeit haben Sie viel Erfahrung mit Musik und Inklusion. Was glauben Sie bedeutet Menschen mit Behinderung der Chor, aber auch Musik generell?

Irmgard Merkt: Ich bin überzeugt davon, dass Musik belebend wirkt, dass sie lebendig macht, dass sie inspiriert, dass man sich mit sich in Ordnung fühlt. Das sind, glaube ich, die wichtigen Sachen.

Strobo: Sie haben neben Ihrer Chorarbeit und ihrer Arbeit als Vorsitzende im Verein InTakt auch sehr lange als Professorin für Musik und Rehabilitation gearbeitet, besonders bei Menschen mit Behinderung. Wie sind Sie dazu gekommen sich so für das Thema und die Menschen einzusetzen?

Irmgard Merkt: Das ist eigentlich meine Lebensgeschichte. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, wie das kommt, aber ich hatte immer einen Gerechtigkeitsfimmel. Ich fand es immer wichtig, dass Menschen, die nicht von Geburt aus in Familien mit jeder Menge kulturellem Kapital hereingeboren sind im Laufe ihres Lebens einen Ausgleich bekommen. Ich hatte immer das Gefühl, dass es meine Freude ist, da zu einem gewissen Ausgleich beizutragen – auch kulturell.

Strobo: Neben dem Chor „stimmig“ haben Sie auch das Netzwerk Kultur und Inklusion begründet. Warum ist Ihnen Inklusion so wichtig?

Irmgard Merkt: Das ist ja auch eine Frage von Gerechtigkeit. Niemand sucht sich sein Leben mit Behinderung aus. Und das ist eine Aufgabe mit einem solchen Schicksal zu leben oder das zu gestalten. Ich finde es einfach richtig, dass es da Menschen gibt, die das Schicksal nicht noch schwerer machen, sondern dass es da auch etwas gibt, was das Leben normal und befriedigend macht. Ich setze mich dafür ein, dass durch kulturelle Aktivitäten ein positives Element des Seins erlebt werden kann. Und ich will gerne das Element des Stimmigen im Leben weitergeben.

Strobo: Nach Ihren Erfahrungen: Haben Sie das Gefühl, dass Inklusion jetzt mehr ein Thema ist als in ihrer Anfangszeit? Kultur Ruhrgebiet

Irmgard Merkt: Es ist schon so, dass es aufgrund vieler Aktivitäten mittlerweile einen Zuwachs gibt. Aber es bleibt ein ewiges Bemühen darum, dass Inklusion und Kultur ein selbstverständliches Thema wird. Man findet zwar immer mehr offene Ohren, aber es ist noch nicht so, dass man sagen könnte, dass man da nicht mehr drüber reden muss und Inklusion schon von selbst passieren würde. Unter dem Strich gibt es noch keine Teilhabegerechtigkeit.

Es gibt noch jede Menge zu tun, auch in den Ausbildungsstätten und in den Musik- und Kunsthochschulen. Aber man muss auf der anderen Seite auch schon sagen, dass das Klima ein bisschen offener geworden ist. Und was aus meiner Sicht abgenommen hat ist, dass viele Leute Kunst und Menschen mit Behinderung direkt mit Therapie gleichsetzen. Das ist jetzt seltener geworden.

Strobo: Was muss sich in der Musikszene Ihrer Meinung nach tun, damit vollkommene Inklusion erreicht werden kann? Kultur Ruhrgebiet

Irmgard Merkt: Vollkommenheit ist ein abstraktes Ziel. Gut wäre, wenn es selbstverständlich wäre, dass diejenigen, die eine Begabung oder auch Interesse zeigen, leicht und fließend informiert werden, wie ihre Weiterentwicklung gehen könnte. Dafür müsste es natürlich genügend Musikerinnen und Musiker geben, die Lust auf inklusive Pädagogik und inklusive Ensembles haben. Inklusion muss von Seiten der Kulturpolitik oder auch von Seiten der Musikverbände noch selbstverständlicher werden.

Es muss auch noch mehr Ermutigung kommen, inklusiv zu arbeiten. Und es muss in den Hochschulen auch selbstverständlich sein, dass der Blick für Inklusion geöffnet wird. Ich denke, das Klima, dass Kinder mit Behinderung völlig selbstverständlich mit Musik und Kultur in Berührung kommen, muss sich noch Stück für Stück transformieren. Ich setze mich so lange nicht zur Ruhe bis das ein Stück weitergeht.

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