EVÎN bei den STROBO:Sessions: „Ich möchte, dass meine Musik ein Gesamterlebnis wird“

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Von Bochum über Dresden bis nach Berlin. Die Musikerin EVÎN geht mit modernen Beats, gefühlvollem Soul und gesellschaftskritischen Texten ihren Weg und hat dabei immer mehr Erfolg. Im Interview zu den STROBO:Sessions spricht sie mit uns über Heimat, ihre Zeit an der Musikhochschule und Musik als Großes und Ganzes. 

STROBO: EVÎN, Du hast mal erwähnt, dass du dich auch in anderen kreativen Sparten inspirieren lässt: Fotografie, Video, Mode. Wie sehr achtest du darauf?

EVÎN: Ich möchte, dass meine Musik ein Gesamterlebnis ist, und ich mich selbst auch passend darin fühlen. Wenn ich auf der Bühne stehe, habe ich Bock extraordinary zu sein und auch extraordinary Kleidung zu tragen. Durch Performance, Outfit und Musik zusammen soll es ein Erlebnis werden: für mich, aber auch für die Zuschauer.

STROBO: Wie kam es dazu, dass dir das Zusammenspiel so wichtig ist?

EVÎN: Ich habe in den letzten Jahren immer mehr realisiert, dass Musik nicht nur Musik ist. Ich habe an der Musikhochschule in Dresden studiert. Da hatte ich das Gefühl, dass es damals weniger um das Große und Ganze ging.

STROBO: Was hast du dort gelernt, was auch für deine heutige Musik wichtig ist?

EVÎN: Das Studium hat mich intellektuell sehr weit gebracht. Ich habe eine Menge über unterschiedliche Musikrichtungen gelernt. Ich kann einen Jazz-Standard im Bossa-Style oder eine Jazz-Ballade singen. Das Studium hat ein bisschen meinen Horizont erweitert. Ich habe aber gemerkt, dass ich einen Style oder eine Musikrichtung machen möchte, der einfach von mir kommt.

EVÎN bei den STROBO:Sessions: Hier seht ihr das Video

STROBO: Wann hast du angefangen, deine eigenen Beats zu produzieren?

EVÎN: Das war vielleicht vor zwei Jahren. Früher war ich produzierter Musik gegenüber sehr kritisch. Wenn wir zum Beispiel während des Studiums ein Stück im Studio aufgenommen haben und die Vocal-Takes geschnitten wurden, war das für mich ein Verbrechen. Ich habe aber schon bei einem Freund immer gesehen, was er beim Produzieren für ein Leuchten in den Augen hat. Er hat mich dann dazu überredet und ich war sofort verliebt. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, dass das kein Aufgeben ist, nur weil ich keine Jazzmusikerin bin. Es ist einfach eine absolute Bereicherung, um die Musik zu machen, auf die ich Bock habe.

STROBO: Deine Texte greifen nicht nur persönliche Themen auf, sondern auch gesellschaftliche. Wie entstehen solche Songs?

EVÎN: Das kommt aufgrund von Erfahrungen oder Dingen, die ich lese. Wenn ich zum Beispiel Bücher über bestimmte Themen lese und tief in ein Thema eintauche, bin ich oft inspiriert und schreibe auch darüber. Meine Familie war auch politisch sehr aktiv. Da fallen mir gewisse Sachen auf und die fließen dann auch mit in meine Texte ein. 

Mein Vater war eigentlich Ingenieur, hat aber außerhalb seiner Arbeitszeit auf allen möglichen Podien gesprochen, zum Beispiel bei einem Verein für kurdische Frauen. Ich habe ihn oft auch im kurdischen Fernsehen gesehen und er war sehr viel unterwegs.

STROBO: Inwiefern hat dich die Arbeit deines Vaters geprägt?

EVÎN: Auf der einen Seite war er oft nicht zu Hause. Das prägt einen Menschen natürlich. Im Nachhinein wünsche ich mir, dass ich mehr Zeit mit ihm verbracht hätte. Wir hatten aber immer Verständnis für das, was er tut, weil er Leidenschaft für das Thema hatte.

Auf der anderen Seite habe ich durch ihn gelernt, kritisch auf Dinge zu schauen und dass es in Diskussionen nicht nur schwarz und weiß gibt. Ich werde in politischen Diskussionen oft emotional. Er hat mir dann immer gesagt: Du darfst nicht emotional diskutieren, weil du dann schon verloren hast. Daher habe ich das Gefühl, ich kann mehr bewirken, wenn ich durch meine Musik spreche.

STROBO: Der Begriff „Heimat“ hat für dich wahrscheinlich mehrere Dimensionen. Welche Rolle spielt Heimat für dich in deiner Musik?  

EVÎN: Das klingt etwas cheesy, aber Musik ist eine Heimat für mich, ein Safe Space, wenn ich anfange, Songs zu schreiben. Da bin ich ganz ohne Wertung und schaue, wohin mich die Reise führt. Dieser Moment ist für mich wie ein Zuhause. Ich glaube, Musik hilft mir auch, meinen Struggle mit Heimat als Migrantenkind zu verarbeiten.

STROBO: Wie meinst du das?

EVÎN: Egal ob in der Türkei in der Diaspora oder sonst irgendwo: Man ist irgendwo und nirgendwo zu Hause. Das konnte ich mit Musik und Texten gut verarbeiten. Es war cool, dem so eine Plattform zu geben, denn ich habe immer nach Heimat gesucht und habe immer viel darüber nachgedacht. Mittlerweile lerne ich immer mehr Leute kennen, die auch darüber sprechen.

STROBO: Deine Musik hat sich schnell herumgesprochen, obwohl du ohne Label veröffentlicht hast. Du spielst in Paris oder warst RecordJet Artist of the Month. Wie war das für dich?

EVÎN: Wir machen unser Ding und es entsteht einfach immer mehr. Ich lerne immer mehr Leute kennen und immer mehr Leute werden auf meine Musik aufmerksam. Ich war mir gar nicht bewusst, was es für krasse Fotografen, Creative Directors und Stylisten gibt. Das ist eine krasse Welt, die mich auch sehr bereichert. Dennoch fühlt sich alles sehr entspannt und langsam an. Das ist für mich auch okay so, weil ich da nachhaltig rangehen möchte. Ich schaffe es gar nicht, eine Single im Monat zu veröffentlichen.

STROBO: Wie geht es für dich weiter?

EVÎN: Am 25. November ist meine EP herausgekommen. Die Zeit davor war sehr intensiv. Wir waren zum Beispiel in Istanbul, um Musikvideos zu drehen und haben eine unglaublich schöne Fotosession gemacht, bei der krasse Fotos entstanden sind. Diese Zeit geht jetzt mit dem Release ein bisschen zu Ende. Aber währenddessen saß ich schon wieder am Computer und habe Songs geschrieben. Ich kann nicht damit aufhören. Ich kann nicht erst ein Projekt zu Ende bringen und dann danach mit dem Neuen anfangen. Daher arbeite ich gerade parallel an den neuen Songs mit dem Ziel, irgendwann ein Album zu veröffentlichen.

STROBO: Also machst du keine Pause?

EVÎN: Ich sollte eine machen, aber wenn ich eine Pause brauche, dann mache ich die auf jeden Fall auch.

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