Alte Geister und neue Geschichtsschreibung 

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Subtile Gesellschaftskritik verpackt in hypnotisch-komischen Bildern: Give up die alten Geister am Bochumer Schauspielhaus beschwört die Good Old Ghosts des Politischen und Privaten und findet Wege, ihnen zu entkommen. STROBO-Autor Jan Bednorz hat sich das Stück angeschaut.

Give up die alten Geister, so lautet der sperrige Titel eines Bochumer Kammerstückes, das erfrischend neue Wege geht, eine Theaterbühne zu bespielen. Den Anfang macht eine museale Tour über die Bühne. Ausgestellt werden u.a. Pseudorelikte aus der Steinzeit. Ein kurzer Abriss der Menschheitsgeschichte. Aber auch die persönliche Vergangenheit spielt eine Rolle. Man wird aufgefordert, sich gedanklich in das eigene Kinderzimmer zu begeben. Die alten Geister scheinen in der Vergangenheit ihre Wurzeln zu haben und dennoch in der Gegenwart eine Rolle zu spielen. Aber wer oder was sind diese alten Geister?

Neben dem Hokuspokus der lokalen Geistergeschichten verweist die Inszenierung auf Rituale des Schamanismus. Die ursprünglichen schamanischen Rituale unterlaufen die Grenzen des wissenschaftlich Erklärbaren. Die Gesellschaftsstrukturen der vom Schamanismus geprägten Naturvölker wurden zu Kolonialzeiten von europäischen und amerikanischen Kriegstreibern unterwandert. Auch gegen diese Geister der Vergangenheit, die aus Machtgier und Faschismus die großen Menschheitsverbrechen verübten, richtet sich die Inszenierung auf subtile Weise. Die Geister auf der Bühne werden schließlich zu einer großen Metapher für all das, was in dieser Gesellschaft an Unbehagen um uns herumgeistert.

Neue Kunst der Geschichtsschreibung

Die Regie (Benjamin Abel Meirhaeghe) führt an diesem Abend die schwere Last der Vergangenheit ad absurdum. Und mir scheint es, wenn man sich den trägen Zirkeln unserer Geschichte annimmt, den immer wiederkehrenden Grausamkeiten zwischen Sexismus, Rassismus, Homophobie und Faschismus (tbc), als breche jene künstlerische Sprache aus diesen müden Grenzen der Realität heraus. 

Auf der Bühne gibt es eigene Wege, sich den großen Fragen der Geschichtsschreibung zu nähern. Der Blick fällt aber auch auf Gegenwart und Zukunft: „Wird die Menschheit sich jemals ändern?“ Eine Frage, die beim Bochumer Publikum erst einmal Schmunzeln auslöst. Beantwortet wird sie mittels Wünschelrute. Subtil wird an dieser Stelle auch mit den grässlichen Geistern des Neoliberalismus abgerechnet: „Zahlen die Reichen weniger Steuern als die Armen?“ Die Antwort wissen wir selbst. 

Give up die alten Geister überzeugt mit hypnotischer Stimmung. Foto: Tobias Kruse / Ostkreuz.

Die Inszenierung entwischt dem ermüdenden Zirkel, über die alten weißen Geister des Politischen und Privaten zu verhandeln. Sie widersteht der Wirklichkeit und findet neue, abstrakte Wege, die Zuschauer:innen dazu aufzufordern, sich den politischen und privaten Geistern zu nähern, die heute noch um uns herumschwirren.

Hypnotische Kulisse 

Die Kulisse ist ständig im Wandel und zieht zwei Stunden lang alle Blicke auf sich. Die markanten Bilder wirken immersiv-hypnotisch. An vielen Stellen ist man irritiert, was überhaupt gerade geschieht. Der Abend ist konsequent inkonsequent. Benjamin Abel Meirhaeghe baut Spannungen auf, die sich nicht einlösen. Seine beeindruckende Bildsprache kreiert eine Mystik, die nicht durch eindeutige Worte aufgefangen wird. Die Inszenierung lässt sich schließlich nicht darauf ein, sich erklären zu müssen.

Am Ende dieses Abends steht der Wunsch, all die alten Geister hinter sich zu lassen, die in unserer Gegenwart herumschwirren. Was das für Geister sind, ob gesellschaftspolitisch oder ganz persönlich, das müssen wir im Detail selbst wissen und herausfinden. Ein sehenswerter Abend am Bochumer Schauspielhaus.

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