Inklusive Band: Total Normal aus Bottrop im Porträt

Die Bottroper Band Total Normal ist inklusiv und besteht fast nur aus Menschen mit Behinderung. Bandleader Henning versucht den Mitgliedern zu zeigen, was trotz ihrer Behinderung alles möglich ist. STROBO hat sich mit einem Teil der Band getroffen.

Es riecht nach frischer Farbe und Renovierungsarbeiten als Florian, Linda und Thomas ihren neuen Proberaum zum ersten Mal betreten. Alle sehen sich aufgeregt um. „Wow“, ruft Florian vor Begeisterung. „Das ist mal ein großer Probenraum, oder?“, fragt Henning. Alle nicken. Wenn man reinkommt befindet sich rechts um die Ecke eine kleine Sitzecke mit zwei braunen Ledersesseln und zwei Ledersofas. In der Mitte steht ein runder kleiner Holztisch auf einem bunten Teppich. Hinten an der Wand ist die Bühne aufgebaut. Dort befinden sich ein Schlagzeug und unzählige Mikrofonständer. Die Band macht es sich in der Sitzecke bequem.

Total Normal aus Bottrop: Es gibt kein Konzept

Total Normal besteht fast ausschließlich aus Menschen mit Behinderungen. 1989 wurde sie auf einer Ferienfreizeit der Diakonie gegründet und hat bis heute Bestand. Das große Ziel für die Band-Mitglieder war damals, auf Bühnen zu stehen und Auftritte zu haben. Dabei gab es immer wieder unterschiedliche Besetzungen und verschiedene Sozialarbeiter, die die Band unterstützt und organisiert haben. Sänger Thomas und Schlagzeugerin Ruth sind seit Anfang an dabei. Mittlerweile besteht die Band aus zehn Personen.

Seit Oktober 2014 ist Henning ihr Bandleader. Er wurde damals vom Sozialamt gefragt, ob er sich vorstellen könnte, die Band zu übernehmen. Er selbst arbeitet in einem Wohnheim mit Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen und hat schon in vielen Bands gespielt. Durch ihn kam Kontinuität in die Bandarbeit. Dabei ist ihm eines ganz wichtig: „Ich versuche so wenig wie möglich sozialarbeiterisch zu sein. Das Konzept hinter der Band ist, dass es einfach keins gibt, weil das hier einfach Normalität sein soll.“

Inklusive Band Total Normal: Von Gleichbehandlung und Akzeptanz

Der Band Name „Total Normal“ ist nicht einfach nur der Name der Band, sondern auch ihr Motto und die Botschaft, die sie vermitteln möchten. „Wir sind zwar Menschen mit Behinderungen, aber wir fühlen uns eigentlich ganz normal“, erzählt Linda. Sie singt ebenfalls und ist wie Henning seit Oktober 2014 in der Band. Ihnen geht es vor allem um Gleichbehandlung und dass jeder so akzeptiert wird, wie er oder sie ist. „Mir ging es immer um Normalität. Ich wollte einfach einen ganz normalen Proberaum haben. Ich wollte nicht, dass wir irgendwo in einem Wohnheim proben“, betont Henning. Er möchte nicht, dass die Band ein separates Angebot für Menschen mit Behinderung ist, davon gibt es seiner Meinung nach schon genug, sondern es soll inklusiv sein. 

Aber nicht nur die Band soll von außen gleichbehandelt werden, sondern auch die Mitglieder sollen sich gegenseitig alle gleichbehandeln. Für ihn bedeutet Inklusion „die Konsequenzen für sein Handeln tragen“. 

Bottrop: Die Band Total Normal arbeitet demokratisch

Total Normal proben alle zwei Wochen sonntags für zwei Stunden. Am Anfang jeder Probe wird demokratisch ein König gewählt, der die Songs bestimmt, die geübt werden. „Es kann sein, dass der König sagt, wir fangen jetzt mit dem Ersten an und dann arbeiten wir uns nach hinten durch. Aber wir fangen auch schon mal ganz hinten an und arbeiten uns dann querbeet nach vorne“, erklärt Linda. Außer wenn es auf einen Auftritt zugeht. Dann ist der König dafür verantwortlich, dass die Reihenfolge der Setlist eingehalten wird.

Demokratie herrscht auch bei der Songauswahl. Jede:r kann Songs vorschlagen, über die dann abgestimmt werden. Neue Songs bereitet Henning Zuhause vor. Wichtig dabei ist ihm, dass sie zum Rhythmus der Band passen. Denn der wird von Ruth und Martin, der die Stand Tom spielt, vorgegeben. Martin hat auch den Spitznamen „das lebende Metronom“.

Henning spielt mit der Gitarre das einzige melodische Instrument in der Band. Neben den schon aufgezählten Instrumenten gibt es bei Total Normal noch die Bongo, gespielt von Florian und das Keyboard, das Jens spielt. Der Rest der Band, Linda, Thomas, Stefan und Anja singen, wobei die drei ersten auch den Schellenkranz spielen.

Total Normal: Akzeptanz in der Musik

Vieles werde der Band schwerer gemacht als anderen, zum Beispiel einen passenden Proberaum zu finden, der barrierefrei ist. Der alte Proberaum hat diese Anforderungen erfüllt, wurde mit der Zeit aber zu klein für zehn Leute. So musste ein anderer gesucht werden. Dieser hat aber eine steilere Treppe in den Keller hinunter. In der Band gibt es zwar keine Menschen mit schweren Gehbehinderungen, aber es geht ums Prinzip.

Durch Corona konnte die Band fast zwei Jahre nicht mehr wirklich proben. Das habe allen gefehlt, wie Linda erzählt: „Man wusste immer, jetzt ist gleich Bandprobe, man fährt dahin, man hat dann seine zwei oder drei Stunden zum Proben, dann fährt man nach Hause und freut sich dann schon wieder auf die nächste Probe.“ Daran merkt man auch, wie wichtig den Mitgliedern die Band ist. Denn diese bietet ihnen auch Chancen, die sie ohne vielleicht nicht hätten. Dort können sie so sein, wie sie sind, da sie von allen akzeptiert werden. Sie sehen dort, dass ihre Behinderung ihnen keine Grenzen aufzeigen muss.

Aber es gibt auch einige Herausforderungen für die Band, zum Beispiel die Bürokratie des Sozialamts, das als Träger hinter der Band steht. Henning braucht unter anderem viele Einverständniserklärungen, oder muss viel absprechen, was er in regulären Fällen nicht müsste. Das sei ziemlich anstrengend und manchmal auch hinderlich.

Total Normal: Vom Stage-Diving und Bühne-Stürmen

Am Anfang hat die Band noch wenige und vor allem kleinere Auftritte gehabt. Mittlerweile spielen sie auch auf größeren Konzerten, wie zum Beispiel auf dem Stadtfest zum 100-jährigen Jubiläum der Stadt Gladbeck und bei „Grenzenlose Töne“ in Bottrop-Welheim, einem inklusiven Konzert. „Für mich speziell sind immer die Konzerte die besten gewesen, wo man auf dem Stadtfest spielt, auch aneckt, Leute vor der Bühne stehen und den Kopf schütteln und die Leute einfach mal knallhart konfrontiert mit ihrem eigenen Dasein“, sagt Henning. Dort findet seiner Meinung nach vor allem Inklusion statt.

Beim ersten „Grenzenlose Töne“-Konzert sind Florian und Linda einfach bei den anderen Bands auf die Bühne gegangen und haben mitgefeiert. „Aber das hätte mal einer bei euch machen sollen, denen hättet ihr aber gezeigt, wo der Maurer das Loch gelassen hat“, sagt Henning lachend. „Weißt du noch als ich dort einfach in die Menge gesprungen bin?“, fragt Florian.

„Wer ist die beste Band aus Bottrop“

Man spürt: Alle lieben es auf der Bühne zu stehen und zeigen zu können, was sie draufhaben. Vor jedem Auftritt hat die Band einen Schlachtruf als Ritual. Die Musiker:innen legen die Hände übereinander, stecken die Köpfe zusammen und rufen: „Wer ist die beste Band aus Bottrop? – Wir“. Auch eine Zugabe darf natürlich nicht fehlen, wie Linda lachend anmerkt: „Wir sind dann auch manchmal so: Was hören wir da? Hören wir da Zugabe?“ Die Frage, wie die Band klingt, beschreibt Henning so: „Wir leben vom Stadiongesang. Wir haben viele Leute, die bei uns singen. Die auch vielleicht nicht immer unbedingt den besten Ton finden, die jetzt auch nicht immer unbedingt das allerbeste Timing haben, aber ähnlich wie im Fußballstadion, die Menge machts.“

Für die Zukunft wünschen sich alle vor allem, dass sie wieder beständig proben dürfen und die Normalität wieder einkehrt. Und sie träumen davon, ein eigenes Album aufzunehmen.

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