Keine feministische Transformation ohne Streitgespräche!

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Meinungsverschiedenheit, Uneinigkeit und Zweifel werden in Zeiten von „Filter Bubbles“ und Echokammern nur selten akzeptiert, auch in feministischen Kontexten. Warum ein wenig mehr Zoff und Kontroverse durchaus ermächtigend sein können und was der feministische Stammtisch Mächtig Gezofft dazu beiträgt, klärt Lena Spickermann in ihrer aktuellen Kolumne.

Wir leben in einem digitalen Zeitalter, in dem Begriffe wie „Bubbles“, „Filterblasen“, „Echokammern“ und „Algorithmus“ zum alltäglichen Wortschatz gehören. Wie oft höre ich mich Sätze sagen, die mit „In meiner Bubble …“ anfangen und mit der resignierten Einschätzung enden, dass wir eigentlich nur eine dürftige Vorstellung davon haben, wie es außerhalb dieser symbolisch abgegrenzten Räume aussieht. Spätestens der Blick aufs aktuelle Politbarometer macht mir unmissverständlich deutlich, dass die eigenen Werte und Prinzipien von vielen nicht nur nicht geteilt, sondern sogar aktiv bekämpft werden.

Als linksfeministische Person ist die Hoffnung groß, wenigstens in innerfeministischen Räumen auf Resonanz und einen gemeinsamen Sinnhorizont zu treffen. Dass das aber nicht der Fall ist, liegt zum einen an der Beschaffenheit sozialer Medien, in denen tagtäglich vielfältige, widerstreitende Positionen innerhalb bestimmter Meinungsgruppen zum Ausdruck kommen. Zum anderen kommt es daher, dass politische Bewegungen niemals einhellig sein können. Also auch nicht der Feminismus, hinter dem sich in Wirklichkeit eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen versammeln (also muss wohl eher von den Feminismen die Rede sein).

Mehr Raum für Zweifel, Differenz und Uneinigkeiten

Nun ist es eine Sache, sich von der Wunschvorstellung zu verabschieden, mit einem einheitlichen Wir politischen Widerstand leisten zu können. Es ist intersektionalen Feminist:innen zu verdanken, dass mittlerweile klar ist, dass politische Gleichmachung nicht unbedingt mit einer geschlossenen Solidarisierung einhergeht, sondern dazu führen kann, einzelne Erfahrungen und Stimmen unsichtbar werden zu lassen.

Trotzdem habe ich beim Scrollen durch meine Instagram-Timeline schon länger das vage Gefühl, dass in feministischen Räumen eine neue Form der politischen Geschlossenheit eingefordert wird, die Differenzen möglicherweise noch in Bezug auf Identitätspositionen zulässt oder sogar voraussetzt –Stichwort: Intersektionalität. Unterschiede in Bezug auf Meinungen, Wissens- und Erfahrungsschätze werden jedoch nicht immer gefeiert. (WICHTIG: Beim weiteren Lesen dieses Textes sollte im Hinterkopf behalten werden, dass Haltungen, die auf den Ausschluss und die Unterdrückung von Mitgliedern marginalisierter Gruppen basieren, niemals toleriert werden dürfen.)

Digitale Räume laden dazu ein, Stimmen hör- und lesbar werden zu lassen, die sonst keine gesellschaftliche Bühne erhalten. Sie ermöglichen, sich niedrigschwellig über wichtige Themen und Sachverhalte zu informieren und schnelle Bündnisse zu schließen. Und doch können sie auch Ausschlüsse reproduzieren, denn wo kein:e physische:r Gesprächspartner:in ist, sondern nur ein virtuelles Gegenüber, ist die Toleranz für Uneinigkeit und Ambivalenz nicht immer vorhanden. Wo nur die Kommentarspalte oder das Reaction-Video als Optionen herhalten müssen, um in den Austausch zu treten, ist es schwierig, eine feministische Bewegung zu etablieren, die Uneinigkeiten, Differenzen und Kontroversen aushält, begrüßt und zum Ausgangspunkt gemeinsamen politischen Handelns setzt. 

Das Instagram-Dilemma

Wenn ich zum gefühlt zehnten Mal an diesem Tag Instagram öffne, ertrinke ich in einer Flut von politischen Einschätzungen. Viele von ihnen sind wertvoll und helfen mir, eine eigene Haltung zu finden und zu schärfen – gerade in Zeiten, in denen sich die sozialen Katastrophen überschlagen und das Gefühl der eigenen Orientierungslosigkeit und Ohnmacht Überhand nimmt. Dann ist da aber auch die andere Seite der Medaille: Ständig bekomme ich den Eindruck vermittelt, eine klare Seite beziehen zu müssen, keinen Zweifel lassen zu dürfen, wo ich stehe und möglichst auch langfristig stehen bleibe.

Ein eindeutiges Statement lässt sich sehr schnell ins Handy tippen. Doch wie schaffe ich es dabei, weiterhin für neue Perspektiven offen zu bleiben? Wie gelingt es in diesem Kontext, mir und anderen zuzugestehen, noch nicht alles zu wissen und weiterhin dazulernen zu müssen? Wo werde ich darauf vorbereitet, dass es nicht immer nur Schwarz und Weiß gibt, ein einseitiges Wir gegen Die nicht immer sinnvoll ist, sondern eben auch viele Grautöne existieren? 

Mächtig Gezofft: Streiten als Mittel zur Ermächtigung

Ich sehne mich in solchen Momenten manchmal – ohne Boomer-Vibes versprühen zu wollen – nach dem guten alten Stammtisch-Format. Selbstverständlich ohne bierlüstige Sprücheklopfer! Und wieder einmal überrascht mich das Ruhrgebiet, denn meine Wünsche wurden erhört: Seit März 2023 findet einmal im Monat der feministische Stammtischabend Mächtig Gezofft statt, den Torda, Sherin und Mags ins Leben gerufen haben. Mächtig Gezofft beruht auf der Überzeugung, dass Streit und Zoff nicht negativ behaftet sein müssen, sondern ermächtigend und kraftvoll wirken können.

Hier haben alle Teilnehmer:innen die Möglichkeit, sich in gemütlichem Setting, in einer Diskussionsrunde zusammenzufinden und über Themen auseinanderzusetzen, die man schon immer mal in größerer Runde besprechen wollte. Frei nach dem Grundsatz des produktiven Streitens versammeln sich nach der Festlegung des Diskussionsgegenstands vier Leute mit zwei Moderator:innen in einer Fishbowl-Runde und beginnen angeregt zu debattieren, ohne dabei rücksichtslos oder unfair zu werden. Die Diskutierenden können dann durch andere Teilnehmer:innen ausgewechselt werden, sodass möglichst viele Facetten des Themas beleuchtet und eine große Bandbreite von Meinungen erhört werden.

Es wird dabei schnell deutlich, dass sich Meinungsdifferenzen und der Kampf für ein gemeinsames politisches Ziel nicht gegenseitig ausschließen. Selbst die Diskussion brisanter Problematiken wie der Ausschluss in feministischen Kreisen führte nicht zu polarisierenden Schnellschüssen, sondern fand in einem wohlwollenden Klima statt. Am Ende eines jeden Mächtig-Gezofft-Abends steht immer wieder die Erkenntnis: Wir können an Meinungsdifferenzen wachsen. Die Diskussion in wertschätzenden Umgebungen wappnet uns dafür, unseren politischen Überzeugungen  auch dort zu vertreten, wo uns feindseliger Widerstand begegnet. UND: Es bedarf nicht eines sechsjährigen Gender Studies-Studiums, um mitstreiten zu können! 

Announcement: Der nächste Mächtig-Gezofft-Stammtisch findet am 29.11.2023 in der Zanke in Bochum statt!

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