Zwischen Trieb und Moral: Duisburger Woyzeck als Grenzgänger des „Männlichen“

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Der Spieltrieb des Duisburger Stadttheaters begeistert mit einer nahezu feministischen Inszenierung von Georg Büchners Woyzeck. STROBO-Autor Jan hat sich das Stück angesehen und berichtet, was die Neuauflage des Klassikers so sehenswert macht.

Der Spieltrieb ist, neben Friedrich Schillers Grund, das Theater zu lieben, der Name vom Jugendclub des Duisburger Stadttheaters. Vor, auf und hinter der Bühne können sich Jugendliche im Alter zwischen 17 und 23 dort beteiligen. In dieser Spielzeit hat sich eine Truppe von vierzehn Spielerinnen zusammengefunden. Unter der Leitung von Regisseurin Damira Schumacher bringen sie Georg Büchners Woyzeck auf die Bühne des Duisburger Stadttheaters.

Die Auswahl des Stückes erfolgt nicht ohne Grund. Büchners Bühnenstück setzt sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinander, die seither (leider) nicht an Aktualität eingebüßt haben: soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung, der Mensch als kapitalistisches Rad im Getriebe und schließlich ein Femizid. Der leidtragende Woyzeck versucht kläglich, seine Familie zu ernähren. Er arbeitet für den Hauptmann und unterzieht sich für den Arzt einer Erbsendiät. Als ihn zuletzt seine Frau Marie betrügt, greift er zum Mittel der Gewalt. Der Femizid schließt das Drama und die Duisburger Inszenierung verharrt in der Gesellschaftskritik à la Büchner. Sie bearbeitet Szenen, die sich in einer männlich dominierten Welt abspielen. 

Der Spieltrieb wagt sich an eine neue Inszenierung von Woyzeck. Foto: Sascha Kreklau.

Der Mensch zwischen Natur und Moral

Franz Woyzeck (grandios gespielt von Lulu Feuser) taumelt zwischen Willen und triebhafter Natur. Was die Duisburger Inszenierung spannend herausarbeitet: lange Zeit lässt Woyzeck sich nicht von seinem misslichen Umfeld verführen. Während andere Figuren wie der Tambourmajor (Felia Weigelt) sich auf den triebhaften Grenzen des Tierischen bewegen, fällt Woyzeck bescheiden aus dem Raster dessen, was die Gesellschaft von ihm als Mann erwartet. Er selbst wird zum Opfer der männlichen Willkürherrschaft durch den Hauptmann (Lucy Mathias). 

„Ein Mann wie ein Tier“, so schwärmt Marie vom Tambourmajor. Und so verhält sich dieser auch. Beim Saufgelage eines Dorffestes, im Umgang mit Frauen oder bei der Tätigkeit als Soldat: Woyzecks Welt ist von triebgesteuerten und machtlüsternen Männern gesäumt.

Die Inszenierung ist ein feministischer Take auf Georg Büchners Klassiker. Foto: Sascha Kreklau.

Das „Männliche“ steht bei der Duisburger Inszenierung bildlich im Abgleich mit dem Tierischen. Immer wieder tritt ein Affe auf (gespielt von Lea Sehlke), der in dem Stück eine spannende Entwicklung durchmacht. Zu Beginn ist er völlig domestiziert, während er zuletzt seine Dompteurin ermordet und Woyzeck seine Waffe zusteckt. Der Affe (als Sinnbild für menschliche Natur und Trieb) stiftet Woyzeck dazu an, den Mord an seiner Marie zu begehen. Und dieser lässt sich hinreißen, sich an Marie zu vergehen und sie zu töten. Es ist, als würde Franz Woyzeck schließlich auf der Seite der Männern stehen, unter denen er eigentlich selbst leidet. 

Woyzeck: Starke Schauspielerinnen vom Duisburger Spieltrieb

Nicht zuletzt sei erwähnt, dass auf der Bühne ausschließlich weibliche Darstellerinnen Büchners Woyzeck vortragen. Dies verstärkt zum einen die Kritik an patriarchalen Verhältnissen. Andererseits stellt sich damit die Frage, ob die Realität noch immer in der essentialistischen Unterscheidung eines genuin männlichen und weiblichen „Wesens“ aufgeht. Woyzeck selbst erscheint als männlicher Charakter, der in dieser scharfen Trennung nicht aufgeht. Der Spieltrieb überzeugt nicht nur mit beeindruckendem schauspielerischen Können, sondern regt mit dieser Performance garantiert zum Nachdenken an. 

Bis Ende Februar gibt es noch an mehreren Terminen die Möglichkeit, den lohnenswerten Weg ins Duisburger Theater zu machen. Weitere Infos, alle Termine und Tickets findet ihr hier.

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