Hinter den Zeilen: der Slam23 in Bochum

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Vom 27. bis zum 30. Oktober haben in Bochum die deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam stattgefunden: der Slam23. Vier Tage lang kämpften 81 Poet:innen mit Wort und Textblatt um den Titel. STROBO-Reporterin Jamie hat die Poetin Lisa Pauline Wagner bei ihren Auftritten begleitet. 

„Ich sehe eine 8,9, eine 7,6, eine 8,9, eine 6,7, eine 8,0, eine 10 und noch eine 10! Das sind zusammen 43,4 Punkte! Applaus für die Poetin, nicht für die Wertung!“, schreit der Moderator, der von der Lautstärke und Energie seiner Stimme auch auf einem Fischmarkt in Hamburg stehen könnte. Wir befinden uns aber nicht um fünf Uhr morgens im windigen Hamburg, sondern um 19 Uhr abends in einem verrauchten Keller in Bochum beim Slam23, den deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam.

Lisa Wagner beim Slam23

Der Slam23 beginnt sehr regnerisch und wird auch nass bleiben. Vorrunde zwei. Als ich an der falschen Tür rucke, steht eine Person hinter mir. Die Kapuze, der Regen und die Dunkelheit erschweren es mir, ihr Gesicht zu erkennen. „Scheint ja wohl die falsche Tür zu sein.“ „Ja, vielleicht versuchen wir es mal unten.“ Auf dem Weg zu Versuch Nr. 2 erkenne ich roten Wollstoff unter der Regenjacke der Person. „Du bist Lisa Wagner, oder?“ Sie bejaht überrascht und ich erkläre, dass ich sie am Pullover, ihrem Markenzeichen, erkannt habe. 

Wir sind beide überpünktlich, ganze eineinhalb Stunden zu früh, als wir die passende Tür finden und über die rutschige Treppe, vorbei am Büchertisch, in den Keller des Schlegel Kultur Clubs gelangen. Hier läuft gerade noch eine andere Vorrunde. Nach genug Zeit zum Ankommen, Lisa legt ihre Sachen im Backstage ab, haben wir das erste Mal ein paar Minuten zum Reden. Es ist schwierig, in der Location einen ruhigen Ort zu finden und draußen regnet es, deswegen quetschen wir uns stehend in eine Ecke gegenüber der Garderobe. Laute Gespräche von anderen Auftretenden begleitet unsere Unterhaltung, die einzige Lichtquelle ist ein hellblauer Strahler am anderen Ende des Raums. 

Die Berlinerin Lisa Pauline Wagner hat aus dem Theater ihren Weg zum Poetry Slam gefunden. Sie ist die amtierende und erste weibliche Berlin-Brandenburg-Meisterin. 2022 belegte sie bei ihrer ersten deutschsprachigen Meisterschaft den zweiten Platz und hat sich mittlerweile nicht nur in Berlin einen Namen gemacht.

Die Poetry Slammerin Lisa Wagner trägt ihr Markenzeichen, einen roten Pulli. Foto: Lennart Neuhaus.

Poetry Slam: die minimalistische Bühnenkunst

„Wie geht’s dir, Lisa?“ – „Gut, geht’s mir. Aufgeregt bin ich.“ Sie ist heute Mittag in Bochum angekommen und hat seit dem Check-in schon viele Umarmungen verteilt. Dass man so viele Menschen aus der Szene wieder trifft, sei fast das schönste an Meisterschaften. Denn wenn an einem Wochenende hunderte Poet:innen aus ganz Deutschland, der Schweiz, Österreich, Luxemburg, Südtirol, Belgien und Liechtenstein aufeinandertreffen, wird der Wettbewerb zu einem großen Wiedersehen, bei dem Freund:innen zusammenkommen. Das Gefühl der „Slamily“, wie Poetry Slammer:innen die Szene manchmal nennen, ist auch in Bochum spürbar.

Vor fast zehn Jahren erfährt Lisa das erste Mal von Poetry Slam. Ihr Bruder zeigt ihr das Format und kurz darauf ist sie schon für ihren ersten Slam angemeldet. Die Jahre darauf tritt sie nur wenig und unregelmäßig auf, doch als sie 2018 in die Poetry-Slam-Hochburg Hamburg zieht, beginnt die Reise der Slam Poesie. Dabei war ihr die Bühne vorher alles andere als fremd. Als Regisseurin ist sie ihr Büro, aber auch ihr Zuhause.

Obwohl Poetry Slam und Theater sich die Bühne teilen, es doch zwei verschiedene Welten: „Bei einem Poetry Slam gehen wir einfach auf die Bühne und wissen vielleicht nicht mal, wie das Mikrofon funktioniert.“ Keine Generalprobe, kein Aufwärmen. Alle Auftretenden bekommen dasselbe Mikrofon und Licht. Was im Theater unvorstellbar wäre, ist die Essenz des Poetry Slams. Lisa ist fasziniert vom Minimalismus dieser Bühnenkunst: „Durch diese Beschränkungen kann auch wieder eine andere Art von Kreativität ausgelöst werden.“

Die Nervosität bleibt

Nach dem Gespräch verschwindet sie kurz im Backstage und ich sehe sie bis nach ihrem Auftritt nur noch flüchtig. Als ihre Vorrunde beginnt, huscht Lisa herum, zwischen Backstage, Publikum und Flur. Ab und zu kann ich den roten Pullover hinter dem Publikum erahnen, wo sie aufmerksam ihren Konkurrent:innen lauscht. Welche Themen werden vor ihr angesprochen, wie reagiert das Publikum? All das beeinflusst die Entscheidung, mit welchem Text Lisa in diese Meisterschaft startet.

Die Auftritte von Vorrunde zwei sind sehr vielseitig, durch das Mikrofon werden die unterschiedlichsten Gedankenanregungen in den Raum verteilt. Manche Slammer:innen tragen ihre Texte auswendig vor, einige lesen von einem Textblatt ab. Bei jedem Auftritt ist das Publikum unglaublich still, selbst die Mitarbeitenden hinter der Bar hören aufmerksam zu und werden sofort vom Publikum mit strengen Blicken gestraft, wenn das Cocktail-Eis beim Befüllen der Trinkgläser zu laut klirrt. ​​„Respect the Poets“– also alle Slam Poet:innen und ihre Auftritte zu respektieren und sich während der Auftritte angemessen zu verhalten, ist die einzige Regel für das Publikum. 

Mit Text Nummer sieben beginnt die letzte Dreiergruppe. Bei neun Startenden pro Vorrunde gibt es also drei Dreiergruppen, aus denen jeweils nur eine Person ins Halbfinale kommt. Mittlerweile hat Lisa sich für einen Text entschieden, die Nervosität aber bleibt. Während der letzten beiden Auftritte vor ihrem, sitzt sie auf der Treppe am Eingang und fährt sich mehrmals durchs Haar. Im achten Text wird Berlin erwähnt, sie jubelt kurz, doch ansonsten ist der Blick fokussiert auf die Bühne gerichtet. Die Punktwertung von Text Nummer acht ist ausgerechnet, eine Freundin streichelt Lisa über die Schulter, sie atmet noch einmal tief durch und los geht es.

Poetry-Slam-Neulinge im Publikum

Poetry Slam. Wer in den letzten zehn Jahren auch nur sporadisch Theater und Kneipen besucht hat, wird an dieser Bühnenkunst nicht vorbeigekommen sein. „Ein Poetry Slam ist ein moderner Dichter:innen-Wettstreit“, lautet es gerne bei der Anmoderation, kurz bevor gefragt wird, wer denn noch nie bei einem gewesen sei. Ob es 20 Menschen in einer Kneipe oder hunderte in der Elbphilharmonie sind, bei jeder Veranstaltung finden sich Neulinge, die dieses Format zum ersten Mal sehen. 

Auch bei der Meisterschaft in Bochum ist das nicht anders. Nachdem sich die Poetry-Slam-Unterfahrenen per Handzeichen oder akustisch bemerkbar gemacht haben, werden die Regeln erklärt. Bei dieser Meisterschaft ist dafür – per Videobotschaft – Torsten Sträter zuständig, ein Urgestein der Slam-Szene: Nur selbstgeschriebene Texte, keine Requisiten oder Kostüme, ein Zeitlimit von fünf Minuten und 30 Sekunden pro Auftritt. Bewertet wird jeder Auftritt von einer zufällig ausgewählten Jury aus dem Publikum mit Punktetafeln von 1,0 bis 10,0. Beim Addieren der Punkte wird die höchste und niedrigste Wertung nicht mit berechnet, um möglichst fair zu sein.

Eine zufällig ausgewählte Jury aus dem Publikum bewertet die Auftritte beim Poetry Slam. Foto: Lennart Neuhaus.

„Ich bin schon morgens beim ersten Kaffee ein bisschen zu spät“

Rot ist die Farbe des Tages. Lisas Pullover, perfekt abgestimmt zum Lippenstift, harmoniert mit der Beleuchtung im Astra-Bier-Rot der Kneipe. Mein Kugelschreiber ähnelt der karminroten Strumpfhose der ersten Slammerin aus Lisas Vorrunde. Ein Strahler taucht eine einzelne Person aus dem Publikum in rotes Licht und den gesamten Raum in Wärme und Aufregung.

Doch auf der Bühne beißt sich Lisas rote Kleidung mit der minzgrünen Wand und den weißen Sanitärfliesen hinter ihr. Das Sofa für die Moderation davor sieht aus, als hätte man es mit dem Mikrofon zusammen in ein Badezimmer gestellt. Eine kleine Discokugel über der Bühne rundet das bizarre Bild ab. Anmoderation, der Begrüßungsapplaus und dann beginnt ihr Auftritt. Kein Textblatt, nur ausführliche Handbewegungen untermalen ihr gesprochenes Wort. „Mir ist auch irgendwie erst kurz vorher aufgefallen, dass ich diesen Text noch nie auswendig vor Publikum gemacht habe. Aber weil er so unfassbar kompliziert auswendig zu lernen war, hab‘ ich mir eine Choreo dazu überlegt“, erfahre ich später von Lisa. 

Von der ersten Sekunde an ist sie präsent. Auf der Bühne, bei ihrer Performance und in ihrem Text. Sie erzählt von der Hektik des Alltags und den verschwimmenden Grenzen der Realität und Onlinewelt: „In meinem Kopf sind zu viele Tabs offen“ und „Ich bin schon morgens beim ersten Kaffee ein bisschen zu spät“. Lustige Passagen werden vom stillen Publikum mit leisen Lachern kommentiert. Nach knapp fünf Minuten ist ihr Auftritt vorbei, der Applaus trägt sie von der Bühne in die Richtung eines Freundes, der ihr entgegenkommt. Er umarmt sie, Erleichterung breitet sich auf ihrem Gesicht aus.

Anmoderation, Applaus, Auftritt, Applaus, Wertung

Es vergeht nicht viel Zeit zwischen dem Verlassen der Bühne und der Entscheidung, ob Lisa weiterkommt: Anmoderation, Applaus, Auftritt, Applaus, Wertung. Weiter oder nicht weiter. So läuft es beim Poetry Slam. Die einzelnen Punkte werden auf dem Bildschirm hinter Lisa zusammengerechnet. 44,6 Punkte, damit hat sie einen kleinen Abstand zu den beiden Poetinnen vor ihr. Ihr Grinsen verrät, dass sie um die Bedeutung dieser Punktzahl Bescheid weiß, doch sie wartet geduldig, bis alle Poet:innen nochmal auf die Bühne geholt werden, um die drei Sieger:innen zu verkünden. Ein kleines Geschenk, nochmal Applaus für alle und damit endet die Vorrunde.

„Ich bin mega erleichtert und jetzt total entspannt“, reflektiert Lisa. „Ultra nervös“ sei sie trotzdem gewesen. Viele Bekannte hätten ihr Kommen angekündigt, gesagt, dass sie sich auf ihren Auftritt freuen und ihr Mut gemacht, das würde schon werden. „Ich dachte irgendwann so, ja was, wenn nicht? Was, wenn ich verkacke?“. Mitten in unserem Gespräch kommen immer wieder Menschen vorbei, gratulieren zum Einzug ins Halbfinale, erzählen, wie schön sie den Text fanden.

Die Poetry Slammerin Lisa trägt ihre Texte beim Slam23 in Bochum vor. Foto: Lennart Neuhaus.

„Ich kann jetzt nur rausgehen und mein Bestes geben“

Das Einzel-Halbfinale an Tag 3 ist der krasse Gegensatz zur Vorrunde. Die Kellerkneipe wird gegen die Christuskirche getauscht, rotes Licht wird blau. Lisa ist kaum nervös, sondern richtig entspannt. Wir sitzen auf einem Tisch direkt im Eingangsbereich. Unsere Beine baumeln, wir blicken auf die Raucher:innen vor der Tür, den Büchertisch und den Einlass. Lisa ist ausgeschlafen und ausgeruht, der zweite Auftritt ist deutlich entspannter für sie: „Ich denke mir, ich kann jetzt nur rausgehen und mein Bestes geben. Und dann langt´s oder eben nicht.“ Die Enttäuschung, wenn sie jetzt rausfliegen würde, wäre deutlich kleiner. „Es wär mir irgendwie unangenehm gewesen, in der Vorrunde schon rauszufliegen. Total unnötig, weil hier so viele Leute mit wirklich guten Performances antreten und auch immer ein bisschen Glück dazu gehört.“ 

Was auch anders ist: Eine Stunde vor dem Auftritt weiß sie schon, welchen Text sie performen möchte. „Ich hatte erst überlegt, einen Text über Sexualität zu machen, weil wir in der Kirche sind, das fänd’ ich irgendwie witzig.“ Aber diese Idee hat sie dann doch verworfen. Ihr Text ist ausgewählt, weshalb sie auch schon weiß, worauf sie bei ihrer Perfomance achten möchte. Mehr Pausen setzen, den Hall der Kirche bei der Aussprache beachten und sich nicht irritieren lassen, wenn die Leute nicht an den üblichen Stellen lachen.

Zwischendurch schweigen wir kurz. Dann meint Lisa: „Gestern war irgendwie noch alles offen. Es ist cool, manche Dinge nicht beeinflussen zu können.“ Der Druck der Vorrunde hat sich vollständig gelöst. Sie ist jetzt angekommen, auch das Rahmenprogramm hat zur Entspannung beigetragen. „Ich glaub‘, ich muss jetzt mal los“, meint Lisa dann und hüpft vom Tisch. Während der rote Pullover in den Backstage verschwindet, nehme ich auf den harten Kirchenbänken Platz.

Jedes Gefühl kann hervorgerufen werden

Der erste Text handelt von sexualisierter Gewalt, darauf folgt eine lustige Parodie von Heimat Patriotismus auf dem Dorf, im dritten Text wird ein Suizid beschrieben. Poetry Slam ist voll von solchen kontrastreichen Stimmungswechsel. Zwischen Stecknadel-Stille und kreischendem Gelächter, zwischen Triggerwarnung und völliger Ektase beim Applaus kann jedes Gefühl hervorgerufen werden. 

Mit Startplatz 4 eröffnet Lisa die zweite Dreiergruppe, begrüßt das Publikum mit einem „Hallo, liebes Publikum“ und bittet um ein erotisches „Mhhh, Lisa“ zurück. Zwei Auftritte später steht sie mit 0,6 Punkten Abstand im Finale. Breit lächelnd und leicht kreischend treffe ich sie am Ende des Slams bei ihren Freund:innen und ihrer Familie. Die Freude ist noch größer als vor zwei Tagen: „Ich bin super zufrieden mit dem Auftritt!” Vor allem, weil sie sich kurz vor der Performance noch für einen anderen Text entschieden hat. Die Entscheidung sei aber genau richtig gewesen. Denn obwohl Lisa während ihrer Auftritte meistens nicht viel auf das Publikum achtet, beeinflusst es doch die Textauswahl: „Ich glaube, deswegen entscheide ich mich auch immer so spontan, welche Texte ich mache. Nicht jeder Text passt zur Location und zum Publikum.“

Ein bisschen gehetzt machen wir uns auf den Weg zum Zuschauen beim Finale der Poetry Slam Teams, das ziemlich zeitnah zum Ende des Halbfinales im Schauspielhaus beginnt. Die vier Tage in Bochum sind streng durchgetaktet, doch die Vorfreude auf den morgigen Tag lässt sich da nicht nehmen.

Auf den Herzschlag genau getimed

Das Starlight Express Theater in Bochum. Guinness-Weltrekordhalter für das international erfolgreichste Musical an einem Standort. Am Finaltag des Slam23 dürfen die Poet:innen die Bühne aber ohne Rollschuhe betreten. Wieder bin ich mit Lisa verabredet, aber Fototermine, Soundchecks und die Losung der Startreihenfolge verzögern unser Gespräch. Ihre Aufregung kommt in Wellen, als hätte sich die Nervosität der Vorrunde mit der Ruhe des Halbfinales vermischt. Der Text ist bereits ausgewählt (diesmal wirklich) und der Fluch des ersten Startplatzes trifft sie auch im Finale nicht. Im Gegenteil: Mit ihrem Startplatz 6 hat sie eine begehrte Position ergattert – was den Druck jedoch nicht gerade verringert. Lisa nimmt sich trotzdem vor, einfach Spaß zu haben und die Location und das Publikum zu genießen.

Neun Finalist:innen treten heute auf, drei davon werden ins finale Stechen einziehen und mit einem letzten Text um den Titel ringen. Alles liegt in den Punktetafeln der elfköpfigen Jury, die in der gesamten Arena verteilt ist. Ich sitze im Block für die Poetry-Slam-Szene, wo die Aufregung beinahe der des Backstages gleichkommt. Die Startreihenfolge wird kritisch begutachtet, es werden Vermutungen und Wetten über die Besetzung des Stechens geäußert: „Wenn Person X aus Gruppe eins weiterkommt, dann wird sie gewinnen.“

Die Jury ist streng und bleibt ihrer Eichwertung sehr treu. Dann Startplatz sechs: Lisa. Sie stellt ihr Mikrofon ein, die Nervosität ist ihr nicht anzumerken. Ein witziger Prosa-Text über das ständige Hin und Her zwischen ihr und einer Romanze. Während des Auftritts erklingt plötzlich ein Herzklopfen, was mit jedem Schlag lauter zu werden scheint. Ist Lisa doch aufgeregter als gedacht und ihre Nervosität durch das Mikrofon zu hören? Nein, es ist das akustische Signal für das Zeitlimit, damit die Person auf der Bühne bei Minute 5:15 weiß, dass sie langsam zum Ende kommen muss. Lisa spricht geduldig den Text zu Ende, dann geht sie zwei Schritte zurück und lässt den letzten Satz und das Klopfen verklingen. Ob das Absicht war, fragen einige nach der Show. Lisa lacht. „Ja, ich hab‘ den Text schon auf 5:15 Minuten abgestimmt“, gibt sie mit einem leichten Grinsen zu. 

Die Punkte der Jury deuten nicht auf einen großen Abstand zu ihren Mitstreiter:innen hin und als alle drei Gesamtwertung nebeneinander gezeigt werden, geht ein Raunen durch die Menge. Alle drei Auftretenden der zweiten Dreiergruppe liegen sehr knapp aneinander und Lisa verpasst um 0,2 Punkte das finale Stechen.

„Im ersten Moment war ich schon sehr enttäuscht“

Die letzte Dreiergruppe ermittelt ihre Siegerin und die letzte Finalistin im Stechen. Am Ende setzt sich Theresa Sperling durch und gewinnt als erste Frau seit 1999 die deutschsprachigen Meisterschaften. Die ersten Worte der Siegerin, „FLINTAs*, wo seid ihr?“, gehen fast in dem wohl lautesten Jubel der ganzen Meisterschaft unter. Es ist keine Frage, sondern ein Statement. Für alle FLINTAs*, für die Szene und für die Zukunft. 

Lisa gratuliert Theresa sehr herzlich. Direkt danach lassen wir uns in die sehr bequemen Sitze der ersten Reihe fallen und bewundern den Luxus der sich drehenden Stühle. Zwischen diesem und unserem letzten Gespräch liegen vier Stunden, in denen viel passiert ist. 

„Ich muss sagen, ich hatte schon damit gerechnet, dass ich weiterkomme“, meint Lisa. Denn es habe einfach alles gestimmt: der Startplatz, ein Text, auf den sie richtig Bock hatte, das Herzklopfen. Der geringe Abstand zum Gruppensieger tut besonders weh. Auch, weil es mit ihr als Finalistin zum ersten Mal ein reines Frauen-Stechen gegeben hätte: „Und dann hat es ausgerechnet bei mir nicht geklappt. Das erste Gefühl ist halt leider Enttäuschung.“ 

Lisa ist aber klar, dass das Wochenende nicht erfolglos war. Schließlich gehört sie zu den neun besten Poetry Slammer:innen der deutschsprachigen Szene und hat sich gegen 72 Konkurrent:innen durchgesetzt. Außerdem hängen schöne Erinnerungen an den Wettbewerb: „Als die Pause vorbei und ich wieder im Backstage war, haben wir die anderen Texte gehört. Alle zusammen. Es wurden wilde Memes ausgetauscht und alle haben so unfassbar viele Witze gemacht. Dann war der Abend wieder so schön.“

Lisa über Slam23: „Ich war jetzt vier Tage im Performance-Mode.“

Dadurch, dass sie es nicht ins Stechen geschafft hat, fällt auch eine Menge von ihren Schultern ab: „Ich war jetzt vier Tage im Performance-Mode, als hätte ich vier Tage Theater gespielt.“ Da möchte sie die nächsten Meisterschaften entspannter sein, auch um das ganze Wochenende mit allen Zusatzveranstaltungen mehr genießen zu können. „Ich kann mir sogar vorstellen, nächstes Jahr gar nicht anzutreten, eine Pause zu machen. Das hatte ich mir schon vor dem Finale überlegt.“ 

Und was sonst so anstehe? „Urlaub!“. Nach diesem intensiven Wochenende und den anstrengenden Wochen davor sehr verständlich. „Aber heute ist erstmal feiern dran, Spaß haben, Slammy Awards und genießen, genießen, genießen.“ 

Mittlerweile ist das Theater völlig geräumt, Metallkisten, die den Boden verkratzen, läuten den Umbau der Bühne und das Ende des Slam23 ein. Während die Worte und Verse der Finalist:innen in der Luft verweilen und der Applaus des Publikums im Foyer verhallt, verschwindet ihr roter Pullover im Meer der Poet:innen.

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