Von „Camp Rock“ zum eigenen YouTube-Kanal – Musikerin Hannah Stienen im Porträt

Die Essener Singer-Songwriterin Hannah Stienen ist durch die Kika-Show „Dein Song“ bekannt geworden. Mittlerweile hat die 23-Jährige fast 10.000 Abonnent:innen auf YouTube. Hier zeigt sie nicht nur ihre eigene Musik, sondern auch den Entstehungsprozess dahinter.

„Man muss es irgendwie schaffen, dass die Leute einen hören. Sei es, dass man sich auf die Straße stellt und einfach singt“, erzählt die Singer-Songwriterin Hannah Stienen. Dabei blickt die brünette, langhaarige junge Frau nachdenklich an die Wand hinter ihrem Bildschirm. Sie sitzt in einem roten Strickpullover in einem Zimmer, das eine Mischung aus organisierter Büro- und professioneller Studio-Atmosphäre ausstrahlt. „Wenn man es irgendwie schafft, dass die Leute einen kennenlernen, dann finden die richtigen Menschen zu einem, die die eigene Musik toll finden. Oder die, die gerade vielleicht eine Sängerin suchen. Und der Rest wird sich dann ergeben“, sagt sie.

Die Frage, wie sie sich selbst als Künstlerin Gehör verschaffen kann, scheint die 23-jährige Singer-Songwriterin aus Essen aber nicht nur in Coronazeiten umzutreiben. Wenn sie nicht gerade ihre eigenen Deutsch-Pop-Rock-Songs schreibt, sucht sie immer wieder nach Möglichkeiten, mit Menschen auf verschiedenen Wegen ins Gespräch zu kommen. Zum Beispiel über Wohnzimmerkonzerte, Auftritte auf kleinen und größeren Bühnen in ganz Deutschland, als Straßenmusikerin oder über Social Media Kanäle wie Instagram oder YouTube.

Authentizität und Ehrlichkeit: Musikerin Hannah Stienen bietet über YouTube Blick hinter die Kulissen der Musikproduktion

Wie erfolgreich sie damit ist, zeigt nicht zuletzt die Verleihung des Webvideopreises Youlius Award, den sie 2020 in der Kategorie Musik, Kunst & Kultur für ihren Kanal Hannah Stienen erhielt. Neben ihrer eigenen Musik und Coversongs, erklärt sie in ihren Videos den rund 10.000 Zuschauer:innen regelmäßig den Entstehungsprozess ihrer Musik. „Im Laufe der Jahre ist mir immer mehr klar geworden, dass viele Leute gar nicht wissen, was hinter einem Job als Musiker:in steckt. Deswegen habe ich mich entschieden, die Leute mitzunehmen und so das Verständnis für den Beruf zu verbessern und zu fördern“, erläutert sie ihre Hauptmotivation für die Videos. So dokumentierte sie zum Beispiel die Entwicklung ihres ersten, 2019 veröffentlichten Debütalbums „Loslassen“.

Als sie vor sechs Jahren ihren YouTube Kanal startete, folgte sie damit einem Trend. Inzwischen ist der Kanal für Hannah weit mehr als das. Sie selbst könne so ihre Entwicklung als Künstlerin beobachten und daran Wachsen: „Wenn ich jetzt auf die Videos aus der Zeit der Albumproduktion zurückblicke, dann sind das richtig schöne Erinnerungen, aber gleichzeitig gibt es mir auch die Möglichkeit, meine eigene Entwicklung zu sehen.

Auf ihrem YouTube-Kanal zeigt sich Hannah stets als meinungsstarke Musikerin. Sie scheut nicht, auch mal zuzugeben, wenn sie sich in einem Bereich der Albumproduktion weniger gut auskennt oder in einem anderen sehr ehrgeizig und selbstkritisch ist. Genauso ehrlich und authentisch ist sie in ihrer Musik. Ihre Songs handeln von Situationen, die wir alle erleben: Enttäuschung, der großen Liebe oder Träumen.

Das Songschreiben sei für sie eine Art „Tagebuchschreiben“, wobei sie nicht jede Situation, über die sie singe, tatsächlich persönlich erlebt habe. Manchmal beziehe sie ihre Inspiration einfach aus einer Geschichte, die ihr jemand anders erzähle. Dabei erzwinge sie aber nichts: „Ich bin kein Fan davon zu sagen: Ich schreibe heute den Hit. Die meisten Ideen kommen bei mir, wenn ich sie nicht erwarte.“ Wichtig ist für sie persönlich bei jedem Song aber eine spürbar persönliche Note: „Einen perfekten Song macht für mich eine ansprechende, zum Songtext passende Musik, eine klar formulierte, von Herzen kommende Message und Ehrlichkeit aus.“

Songschreiben als Ventil

Wie sie selbst perfekte Songs schreibt, hat sich Hannah hauptsächlich selbst beigebracht. Als Kind war Musik für sie selbstverständlich. Sei es durch das Singen im Kanon mit ihrer Mutter, musikalische Früherziehung oder den ersten Instrumentalunterricht auf der Blockflöte in ihrem Heimatort Duisburg-Trompet. Hannah kam immer wieder mit Musik in Berührung. Später kamen dann Gitarren- und Gesangsunterricht dazu. Bereits mit acht Jahren schrieb sie ihren ersten eigenen Song. Um sich intensiver mit dem Thema Songwriting auseinanderzusetzen, brauchte es allerdings den Disney-Teeniefilm Camp Rock. Darin geht es um Jugendliche, die ihr Talent fürs Songschreiben in einem Camp gemeinsam ausprobieren. Inspiriert haben sie vor allem die Charaktere des Films, mit denen sie sich identifizieren konnte: „Ich wollte immer so sein wie sie und einfach mal Songs schreiben.“

Für ihre eigenen Songs kaufte sie sich also ein gelbes Heft. Darin notierte sie ihre ersten Stücke skizzenhaft, indem sie die damals noch überwiegend englischsprachigen Texte und ein paar Akkorde dazu festhielt. „Ich habe das ganze Heft vollgekritzelt, irgendwann gab es dann noch ein zweites. Allerdings habe ich keine Ahnung mehr, wie die Melodien gingen“, erzählt sie lachend. Ihr erstes gelbes Heft habe sie immer noch im Schrank stehen. Je mehr Songs sie schrieb, umso mehr Bedeutung gewannen sie auch für ihr eigenes Leben: „Ich habe gemerkt, dass es mir Spaß macht und auch ein Ventil ist, um Dinge zu sagen, die man sonst eher in sich hineinfrisst.“

Vom gemütlichen Samstagsfrühstück auf die Ruhrgebietsstraßen

Foto: Leopold Achilles

Mit Hauskonzerten in der Schule und kleineren Auftritten nebenbei verdiente die Essenerin erstes eigenes Geld. Daraus entstand mit der Zeit der Wunsch, Straßenmusik in der Fußgängerzone im benachbarten Moers auszuprobieren. Jedoch nicht ohne den nötigen Respekt vor der Sache. Die Tatsache, dass die Menschen an ihr vorbeigehen und ihre Musik ignorieren könnten, habe sie lange davon abgehalten. Erst die Überzeugungskraft ihrer Familie bei einem Samstagsfrühstück führte dazu, dass sie es spontan einmal versuchte.

Ein Experiment mit Erfolg: Es verschlug sie danach immer wieder zum Musizieren in verschiedene Innenstädte des Ruhrgebiets. Selbst wenn es sie zunächst jedes Mal wieder etwas Überwindung koste, seien die Erfahrungen dort unbezahlbar. Zum Beispiel wenn sie sehen könne, dass die Passanten von ihrer Musik emotional berührt werden: „Ein Highlight ist natürlich, wenn Leute oder auch Kinder stehen bleiben. Wenn sie dabei tanzen, zuhören und einfach total fasziniert von der Gitarre sind. Das macht mir von Mal zu Mal aufs Neue Spaß.“ Dadurch sei auch ihr erster Auftritt als Hochzeitssängerin zustande gekommen. Mittlerweile seien die Auftritte bei Hochzeiten zu einem weiteren Standbein der jungen Musikerin geworden.

„Ich habe auch verstanden, dass es ein Musikbusiness ist“

Parallel zu ihren Versuchen als Straßenmusikerin nahm Hannah 2011 und 2014 am vom Kinderkanal veranstalteten Songwriting-Wettbewerb Dein Song teil. 2014 performte sie dabei sogar gemeinsam mit dem Kölner Country-Duo Mrs. Greenbird ihren Song Oh My My My in der dazugehörigen live ausgestrahlten Fernseh-Finalshow. Eine Zeit, die sie auf ihrem Weg zur Singer-Songwriterin sehr geprägt hat. „Ich glaube, der Wunsch, Musikerin zu werden, hat sich dort noch einmal verstärkt. Aber ich habe auch verstanden, dass es ein Musikbusiness ist.“ Die Teilnahme am Wettbewerb habe eine enorme Bedeutung für ihre eigene künstlerische Entwicklung gehabt, denn dort habe sie erfolgreiche aber bodenständige Musiker:innen getroffen. Das habe ihr gezeigt, dass sie sich selbst treu bleiben könne.

Sprachbarrieren auf Konzerten

Wegweisend war für sie der Rat des deutschen Musikproduzenten Peter Hoffmann, den sie ebenfalls bei Dein Song kennenlernte. Er legte ihr nahe, ihre Songs auf Deutsch, anstatt auf Englisch zu singen. Es vergingen jedoch Jahre, bis Hannah mit Die letzten Sommertage einen ihrer ersten deutschen Songs geschrieben hat. Ein Schritt, den sie heute nicht bereut: „Ich habe festgestellt, dass ich auf Deutsch genau das sagen kann, was ich will. Das ist ein Vorteil, weil dann das Publikum sofort versteht, was man sagen möchte, und sich damit identifizieren kann oder nicht.“

Ohne Sprachbarrieren schaffe sie es außerdem besser, das Publikum zu erreichen. Mit ihrer Musik möchte sie Leute ansprechen, die Spaß daran haben, sich mit tiefgehenden Texten auseinanderzusetzen und über sie nachzudenken. Nach ihren eigenen Erfahrungen auf Songslams und offenen Bühnen, seien fremdsprachige Texte beim Verstehen oft eher hinderlich.

Vom Studium hinaus in die weite Welt – ein kleiner Schritt?

Wenn sie nicht gerade Songs schreibt oder für ihren YouTube Kanal Videos produziert, studiert Hannah. Sie besucht die Folkwang Universität der Künste in Essen, an der sie integrative Komposition mit dem Schwerpunkt Popmusik und Jazzgesangspädagogik studiert. Daran schätzt sie vor allem die persönliche Atmosphäre und den familiären Umgang mit den Dozenten.

Für berühmte Künstler:innen im Bereich der Popmusik schreiben die Student:innen an der Uni zwar noch nicht. Nach Hannah gehe es darum aber auch nicht: „Das Studium ist dazu da, damit du Leute kennenlernst, dich austauschen kannst, dass du Wissen ansammelst. Aber all das, was man in der künstlerischen Phase macht: Auftritte spielen, Leute kennenlernen, sich vernetzen, sich organisieren. Das ist etwas, was meiner Erfahrung nach komplett an dir selbst liegt.“ Dabei wünsche sie sich besonders von ihrer Wahlheimat Essen ein wenig mehr Unterstützung. So können sich junge Künstler:innen, mehr Gehör verschaffen. „Ich finde tatsächlich, in Essen gibt’s keine allzu große Kulturszene. Allein durch die Folkwang sind hier so viele tolle Musiker:innen. Aber Auftrittsmöglichkeiten fehlen mir tatsächlich. Wirklich gute Angebote für Singer-Songwriter:innen, wo auch auf Förderung und faire Bezahlung geachtet wird.“

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