Rapper und Beat Maker Colt Seevaz im Porträt: „Wer soll’s sonst sein?”

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Mit biographischen Texten und signifikanten Beats gehört Colt Seevaz aka Martin Schlappa längst zum Hagener Hip-Hop-Inventar. Doch wie lassen sich harter Rap und ein Leben als netter Typ von nebenan verbinden? Für Martin ziemlich gut – und zwar mit viel Bodenständigkeit, purer Leidenschaft für Musik und einer ganz besonderen Einstellung zur Hip-Hop-Szene.

Dig, Find, Listen, Sample, Chop, Repeat – das steht auf dem Shirt von Martin Schlappa. Für Musikexpert:innen sind das gängige Begriffe des „Beat making”, für Normalos eher verwirrend und für Martin ein Ablauf, der seit einigen Jahren sein Leben begleitet. Der 42-Jährige ist als Colt Seevaz auf Spotify zu hören und hat unter dem Label „LabOhr” schon einige Tapes rausgebracht.                                                                                  

Das Aufnehmen und Produzieren macht Martin in seinem Homestudio. Eher unscheinbar verbirgt sich in dem kleinen Raum eine stattliche Sammlung an Schallplatten, Tapes, Gitarren, Mikrophonen und eine MPC. Das reinste Paradies für Musikliebhaber:innen. Unter den Platten finden sich neben Klassikern des Rock und Rap auch zwei seiner Lieblings Bands The Hives und Foals, außerdem lokale Musik, wie die von Ruhrpott AG (RAG) und wohl am wertvollsten für den Musiker: „Fenster zum Hof“ von den Stieber Twins. „Diese Platte ist meine Bibel”, sagt Seevaz, „darauf wird einfach alles gesagt, worum es beim Hip-Hop geht.”

Martin Schleppa aka Colt Seevaz ist Rapper und Beat Maker. Foto: Samir El Hannaoui.

Wie ein:e Maler:in 

Ein besonderer Ort für Martin ist der Hagener Stadtgarten. Hier lässt er seine Gedanken um die besten Rhymes und Zeilen schweifen. Schon seit seinen Teenager-Jahren rappt er, doch erst seit ungefähr vier Jahren beschäftigt er sich auch mit dem Beat machen. Seine einzigartigen Sounds setzen sich teilweise aus bereits existierenden Songs zusammen. „Meist lege ich einfach eine Platte auf und wenn mir eine Stelle gefällt, stoppe ich kurz und nehme sie auf”, sagt er. Das können längere Abschnitte sein oder einfach kurze Zwischenrufe.

Sein Gehirn läuft dabei auf Hochtouren: Welche Stellen passen zusammen? Was kann er kunstvoll kombinieren? Klingt anstrengend, ist für Colt Seevaz aber ein ganz automatischer Prozess: „Die Ideen fliegen mir zu und ehe ich nochmal gucken kann, habe ich schon einen neuen Beat.” Wie ein:e Maler:in Pinselstriche auf eine Leinwand setzt, bis sie ein Gesamtwerk ergeben, fügt auch Martin einzelne Bruchstücke zusammen. 

Colt Seevaz: „Es ging mir darum, etwas zurückzugeben.”

Fest verwurzelt mit Hagen ist vor allem sein Track „Sludge”, auf deutsch: Schlamm. Der Song besteht aus Pieces von verschiedenen Platten, die Martin nach der Überschwemmung 2021 wortwörtlich aus dem Schlamm gefischt hat. „Damals haben so viele Menschen Hab und Gut verloren, vieles wurde einfach auf die Straßen geworfen. Ich bin dann mit meinem Wagen losgefahren und habe versucht, so viele Schallplatten zu retten, wie es ging. Bei dem Track geht es mir vor allem darum, den Menschen und Hagen etwas zurückzugeben”, erinnert er sich. 

Der Ruhrpott war nicht immer sein Zuhause. Wegen politischer Verfolgung ist Martin gemeinsam mit seiner Familie aus Kattowitz in Polen geflohen. Er lebte einige Zeit in einem Asylcontainer und kam mit sieben Jahren nach Hagen. Eine Zeit, die nicht nur Martin selbst, sondern auch seine Musik bis heute prägt. In „Tagebuch” rappt er zum Beispiel: „Es gab keinen Tag, an dem meine Mutter nicht geweint hat” oder „Neben mir Gewehre, keine Nächstenliebe”. 

Der Neuanfang in Deutschland war ebenfalls nicht leicht, Diskriminierung dabei ein stetiger Begleiter. Doch schnell habe Martin Deutsch lernen und sich einleben können. Die Straßenkids waren seine Freunde, er fing an zu skaten und kam damit schnell in Berührung mit der Hip-Hop-Szene.

Colt Seevaz produziert seine Betas in seinem Heimstudio. Foto: Samir El Hannaoui.

„Wo Martin ans bürgerliche Leben gewohnt ist, scheißt Colt Seevaz auf Konventionen”

Martin ist Erzieher, Vater von drei Kindern und hat fast immer ein Lächeln auf den Lippen. Colt Seevaz rappt düstere Texte und tritt mit verschränkten Armen in eigenen Musikvideos auf. Unterschiedlicher könnten diese zwei Seiten des Musikers nicht sein und doch koexistieren sie wunderbar nebeneinander. „Wo Martin ans bürgerliche Leben gewohnt ist, scheißt Colt Seevaz auf Konventionen”, sagt Martin. 

Dazu hat der Rapper auch ein Tattoo: Halb Smiley, halb Totenkopf. Trotzdem lächeln beide Seiten: Auch der manchmal düster scheinende Colt Seevaz nimmt sich nicht zu ernst. Seine Songs haben Wiedererkennungswert, deshalb taucht auch sein Standardspruch „Wer soll’s sonst sein?” immer wieder auf. „Musik ist immer in meinem Kopf. Ständig denke ich über neue Beats nach oder improvisiere Zeilen”, erzählt er, „manchmal bin ich aber auch einfach nur Martin. Da mache ich die Tür vom Studio zu und widme mich anderen Dingen.” Zum Beispiel seinen fünfjährigen Sohn von der Kita abholen, lange Spaziergänge oder sich mit Freund:innen treffen, die nichts mit Musik zu tun haben. 

Im Gespräch wird sofort klar: Martin ist einer, der gerne etwas zurückgibt. „Ich könnte einige meiner Beats auch an andere Künstler:innen verkaufen, möchte denen das Geld aber nicht so aus den Taschen ziehen”, sagt er. Viel besser findet er es, wenn das Ganze ein Geben und Nehmen ist. Er glaubt an Karma. Ganz nach dem Motto: „Ich mach dir einen coolen Beat und du sendest mir dann ein Tape per Post.” Das Konkurrenzdenken, das laut ihm immer krasser wird, mag er nicht – einer seiner Lieblingssprüche: „Wenn du aufhörst, auf andere zu achten, fangen andere an, auf dich zu achten.”

Martin Schleppa aka Colt Seevaz liebt die Musik. Foto: Samir El Hannaoui.

Trotzdem ist er froh, dass er nicht von der Musik leben muss, sondern auch noch einen regulären Beruf als Pädagoge hat: „Dadurch, dass ich nicht gezwungen bin, krass abzuliefern, habe ich viel mehr die Freiheit, das zu machen, was ich wirklich will.” Dass man einander unterstützt, macht die Hip-Hop-Community für ihn aus und fördert all ihre Facetten. Für Martin ist es viel wichtiger zu sehen, woher die Menschen kommen, die seine Musik hören und nicht die Anzahl der Klicks. „Wenn ich daran denke, dass das letzte Jahr Hörer:innen aus der Ukraine dabei waren, bekomme ich heute noch Gänsehaut. Das ehrt mich sehr”, erzählt Martin. Genau 25 Jahre hinter dem Mic machen den Musiker nicht abgehoben, sondern demütig: „Ich freue mich über alles, was ich erreicht habe, denke aber auch, dass es wichtig ist, ein bisschen Selbstkritik zu bewahren!”

Ostfriesland oder Pott

Dass ihm Musik unter die Haut geht, kann er nicht mehr verstecken: Neben dem Totenkopf-Smiley hat er die 16 Tiles der MPC tätowiert, über dem Ellbogen sein eigenes Logo. Auch von seiner Geburtsstadt Kattowitz hat er ein Tattoo. „Ich war nie wieder da, seitdem wir damals gegangen sind”, sagt Martin, „wird mal langsam Zeit.” Ob das schon dieses Jahr ist, entscheidet sich wohl mit seinen Songs, die bereit sind, in die Ohren der Fans gepumpt zu werden. Colt Seevaz hat Großes vor. Ein Release Ende April, eine EP im September und das Tape „Lost Takes & Unreleased” zum Jubiläum, auf dem alte Lieder Ende der 1990er zu hören sein werden. Dazu will er wieder mehr Live auftreten.

Ob er noch lange im Pott bleiben wird, weiß Martin noch nicht. „Zu Hagen habe ich eine Hassliebe, aber irgendwie gehöre ich zur Stadt und sie zu mir”, erklärt er, „gerade will ich nicht weg, was vor allem an meinen Kindern liegt.” Wenn er mal weg zöge, würde er nach Ostfriesland gehen. „Mich total abgeschieden meiner Musik widmen und dabei einen Ostfriesentee trinken, das wär’s”, schwärmt Martin. Ein auf dem Boden gebliebener Musiker, der Neid für schädlich, gegenseitige Unterstützung für extrem wichtig hält und eine ehrliche Leidenschaft zur Musik hat. Das ist Martin Schlappa aka Colt Seevaz. Denn: Wer soll’s sonst sein?

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