Warum Gelsenkirchen keinen Club braucht

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Gelsenkirchen ist in vielen Augen die Resterampe des Ruhrgebiets, sagt STROBO-Autorin Veerle Seelig. Sie ist selbst Gelsenkirchenerin und hat sich auf die Suche der Club- und Nachtkultur der Stadt begeben.

Gelsenkirchen ist in vielen Augen die Resterampe des Ruhrgebiets. Außer Schalke geht hier nicht viel. Obwohl der Döner auch ganz gut ist. Bezüglich Kunst und Kultur hält es sich aber in Grenzen. Das „Musiktheater im Revier” kennen die meisten, beim Kunstmuseum werden es schon weniger und bei Clubs stellt sich die Frage: welche Clubs? 

Das Nachtleben ist hier kaum vorhanden. Die Städte sind nachts meistens leer. Die jungen Menschen zieht es dann nach Essen, Bochum oder Dortmund. Dies soll aber kein Hate- oder Mitleidstext über Gelsenkirchen werden. Als Gelsenkirchener:in kennt man natürlich die kleinen Highlights. 

Die „Rosi”, damalige „Rosamunde”, ist bekannt für ihre entspannte Atmosphäre. In der kleinen Kneipe passt kein Stuhl zum anderen und Bilder und Postkarten kleben an den roten und blauen Wänden. Hier kann man den Abend mit einem Kaltgetränk ausklingen lassen. Ab und an gibt es Live-Musik und Mottoabende. 

Das „Lokal ohne Namen” (L.O.N) oder auch genannt „Fuck” liegt im Herzen von Buer. In der Kneipe läuft etwas zu laute Musik aus dem 90er-Rockgenre, der Innenraum ist schwarz gehalten und mit rustikalen Holztischen ausgestattet. Wöchentlich feiern hier Studiengänge ihre Stammtische. An den Wochenenden treiben sich hier Jugendliche herum, und ein paar Erwachsene, die das „Fuck” aus ihrer Jugend kennen. 

Etablierung einer Szene in Gelsenkirchen: Kollektive Versuche 

Kleine Kollektive versuchen auch immer wieder, mit Konzerten eine Szene zu etablieren. Das „Wohnzimmer GE” veranstaltet seit 2012 wöchentliche Konzerte. Auf der Open Stage können sich zudem Künstler:innen einmal im Monat ausprobieren. Im „Hier ist nicht da” gibt es immer wieder kleine Clubbing-Nights mit DJs aus dem Pott, Konzerte von kleinen Bands oder einfache Partys im Außenbereich. Der weiße Innenraum wird, je nach Veranstaltung, mit Stühlen, bunten Lichtern oder einer kleinen Bühne ausgestattet. 

Die „KAUE” ist einer der kommerziellen Kulturveranstaltungsorte von emschertainment. Vergangenes Jahr drohte ihr fast das aus. Die Stadtwerke Gelsenkirchen (SG) haben den Mietvertrag der Veranstaltungsstätte „KAUE” zum Juni 2021 gekündigt, aufgrund der kostspieligen Renovierung des neuen Veranstaltungsortes von emschertainment, der Heilig-Kreuz-Kirche. Nachdem die Informationen über die Kündigung veröffentlicht wurden, kam es zu Aufruhr in Gelsenkirchen. Die Stadt, SG und emschertainment verhandelten daraufhin, sodass die „KAUE” bleiben durfte. 

„Alte Hütte“ und „M One”: Clubs in Gelsenkirchen 

Auch andere Kollektive versuchen, Kultur in Gelsenkirchen zu etablieren. Aber: „Professionelle Clubs gibt es nicht in Gelsenkirchen”, sagt Plytx. Er ist in der Stadt geboren und aufgewachsen. Hier hat er aber kaum aufgelegt. Denn die einzigen Orte, die sich heutzutage als Clubs bezeichnen, sind die „Alte Hütte“ und das neue „M One”. 

DJ Polytox aus Gelsenkirchen. Foto: Celia Joy Homann.
Plytx aus Gelsenkirchen. Foto: Celia Joy Homann.

Die „Alte Hütte“ macht ihrem Namen alle Ehre. 1904 wurde sie eröffnet, noch unter dem Namen „Restauration Germania“. In den 80er-Jahren wurde dann aus dem Restaurant und Tanzsaal eine Diskothek. Sonderlich beliebt ist sie aber nicht mehr. Am Rand von Gelsenkirchen zieht die Hütte mit ihren Karaoke- und Beachnights kaum noch junges Publikum an, auch wenn die Location groß und gut ausgestattet ist. 

Zwischen VIP-Image und geringer Kaufkraft

Das „M One” bezeichnet sich selbst als Club und Bar und wirbt mit einem VIP-Image. Neben Gelsenkirchen gibt es auch einen Ableger auf Mallorca. International möchte es sich noch auf Mykonos, Dubai und Ibiza ausbreiten. In dem Club und der neu eröffneten Strandbar tummeln sich Personen in den Lounges mit Moët & Chandon Champagner. Eher unpassend zu der geringen Kaufkraft in Gelsenkirchen, die 2022 bei ungefähr 19.901 Euro pro Kopf liegt. Damit liegt sie fast 22 Prozent unter dem Durchschnitt in Deutschland. 

Zwar legen im „M One” immer wieder DJs auf, aber Plytx, der an der Grenze zu Essen wohnt, zieht es eher in den „Goethebunker” oder in den „Tresor.West” nach Dortmund. Der 24-Jährige spielt einen Mix aus Trance-Techno und aggressiven Beats. 

DJ Polytox aus Gelsenkirchen. Foto: Celia Joy Homann.
Plytx aus Gelsenkirchen. Foto: Celia Joy Homann.

Dabei war Gelsenkirchen in den 70ern und 80ern eine Metropole für Clubs. Die kultige Dokureihe Heimatflimmern vom WDR zeigt ein “Gelsen” voller Diskotheken. Das „Flash“ war im gesamten Ruhrgebiet bekannt. Immer wieder hatten die Clubbesitzer:innen Konflikte mit Anwohner:innen. Der damalige Inhaber Reinhard Schwalm baute dann kurzerhand neue, schalldichte Fenster bei den Nachbar:innen ein, erzählt er in der Folge „Discofieber“. In der Silvesternacht 85/86 brannte es im “Flash”. Nach dem Wiederaufbau etablierte sich die Diskothek nicht mehr und heute fungiert sie nur noch als Pub. 

Clubkultur in Gelsenkirchen: Verschenktes Potenzial 

In alten Foren wie „Gelsenkirchener Geschichten“ stößt man auf noch mehr Storys über alte Diskotheken und Kult-Clubs. Warum fast alle Clubs geschlossen haben, ist unklar. Vermutlich wegen nicht schalldichten Locations, Streit mit Anwohner:innen und fehlenden Einnahmen. Wegen des fehlenden Angebots und schlechter Perspektiven verließen immer mehr junge Menschen Gelsenkirchen. „Am 23. Dezember sieht man immer, wie alle jungen Leute zurückfahren und ihre Familien besuchen. Oft treffen sich dann alle bei der Rosi. Dann merkt man erstmal, was für ein Potenzial Gelsenkirchen hatte“, erzählt Plytx dazu. 

Trotz der Westfälischen Hochschule ist Gelsenkirchen nun mal keine Studierendenstadt. Viele pendeln lieber. Somit würde sich ein professioneller Club laut Plytx kaum halten können. Fraglich ist auch, ob es überhaupt eine Clubbing-Szene in Gelsenkirchen gibt. Laut Madeleine vom Wohnzimmer GE schon, doch oft bleibe sie in ihrem Kosmos: „Die Szene ist darauf eingestellt, rauszufahren. Oft sagen die Gelsenkirchener, dass wir mit dem Wohnzimmer außerhalb liegen, jedoch sind wir mittendrin und der Bus hält direkt vor unserer Tür.” 

Doch auch Madeleine glaubt, dass es mit einem Club nicht getan wäre. Die Stadt müsse mehr in Kultur und Ausgehmöglichkeiten investieren. Das könnte ein Club sein, aber auch eine Kneipe. “ Ich würde mir auch viel mehr Pop-Up-Veranstaltungen innerhalb des Zentrums wünschen”, sagt sie. 

Kulturentwicklungsplan in Gelsenkirchen 

Die Stadt hat das Problem des nicht existenten Nachtlebens erkannt. Mit einem neuen Kulturentwicklungsplan will sie die Potenziale in Gelsenkirchen entwickeln. Für den Prozess wurde das Unternehmen startklar a+b GmbH beauftragt. Mit qualitativen Interviews versucht das vierköpfige Team, die Wünsche der Gelsenkirchener:innen zu erfahren. Zudem gibt es immer wieder „Kulturbarcamps”, bei denen sich Kulturinteressierte austauschen. Bis nächstes Jahr soll der Plan entwickelt werden. Kurt Eichler ist als freiberuflicher Kulturberater, Vorsitz im Fond Sozialkultur und damaliger Geschäftsführer des Dortmunder U Teil des Teams. 

Kurt Eichler, freiberuflicher Kulturberater.
Kurt Eichler, freiberuflicher Kulturberater. Foto: Privat.

Zu Anfang erstellte das Team Fragebögen, in denen Gelsenkirchener:innen ihre kulturellen Lieblingsorte angeben sollten. „Die Leute schreiben dann oft das MIR hin. Einfach, weil es mit seiner örtlichen Präsenz auffällt. Teils wird das Wohnzimmer oder auch die Kaue genannt.  Die Werkstatt wird leider gar nicht genannt”, so Eichler. Dennoch schätzen viele die kollektiven Institutionen, denn ein soziokulturelles Zentrum habe es nie richtig gegeben. 

Um genau zu sein, seit 1982 nicht mehr. Die „Pappschachtel” war ein städtisches Kommunikationszentrum für soziokulturellen Austausch und befand sich in Gelsenkirchen-Buer. Doch bereits im ersten Jahr war die dortige Arbeit geprägt durch Auseinandersetzungen wegen Lärm durch Besucher:innen. Am 18. Mai 1982 wurde siel durch einen Brand zerstört und anschließend abgerissen. Nach dem Brand wurde von Politiker:innen immer wieder eine Nachfolgelösung versprochen. Das Problem ist bis heute nicht gelöst worden. 

Keine Clubs in Gelsenkirchen – Was es wirklich braucht 

In den Interviews, die Eichler geführt hat, sei immer wieder der Wunsch nach Orten zum Zusammenkommen aufgekommen: „Es gibt einfach keine richtigen Ausgehmöglichkeiten oder Nacht-Kultur.” Und bei den Möglichkeiten, die es gebe, seien die Eintrittspreise zu hoch.  

Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene wünschten sich Orte. Dennoch sei der Wunsch nach einem Club kaum zur Sprache gekommen. „Vielmehr werden sich Cafés, Restaurants und schöne Orte zum Zusammenkommen gewünscht”, sagt Eichler.

Gelsenkirchen braucht also vielleicht (erstmal) keinen Club. Eine Szene, Kultur, motivierte Menschen und vor allem schöne Orte müssen erstmal als Grundlage entwickelt  und gefunden werden. Inwiefern dies umgesetzt wird und ob es sich bewährt, ist dabei noch unklar. Fest steht, dass Kulturschaffende, die Stadt und die Gelsenkirchener:innen zusammen daran arbeiten müssen. 

Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Das „Wohnzimmer“ Gelsenkirchen: Kulturkollektiv im Porträt

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