Warum wir nicht schön sein müssen

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Schönheit ist zu einer wertvollen Währung geworden. Doch was als schön gilt, ist ein gesellschaftliches Konstrukt, unter dem vor allem weiblich gelesene Menschen leiden. Leonie von Feminismus im Pott findet: Es wird Zeit, dass sich das ändert! In ihrer Kolumne schreibt sie darüber, wie schädlich Schönheitsideale sind und was wir tun können, um uns und andere mehr wertzuschätzen.

Der Winter ist vorbei und damit auch die Ausreden. Das versuchen uns zumindest Zeitschriften und Influencer:innen weiszumachen. Überall finden sich Diät- und Trainings-Tipps, um die vorgeblich überflüssigen Winterkilos loszuwerden und eine „perfekte Bikinifigur“ zu bekommen. Denn wir alle wissen, nur schlank ist gut. Mehrgewichtige Körper werden hingegen abgewertet und abgestraft. Vermeintlich nett gemeinte Komplimente wie „Hast du abgenommen? Sieht gut aus!“ sind die immer wiederkehrende Erinnerungen daran, dass nur ein schlanker Körper ein schöner Körper sein kann. Das Körpergewicht scheint zu einer Maßeinheit für Disziplin und Leistungsfähigkeit geworden zu sein und ordnet sich damit perfekt in die neoliberale Logik unserer Gesellschaft ein. Fast jede weiblich sozialisierte Person hat deshalb schon mindestens einmal in ihrem Leben eine Diät gemacht. Ich bin da leider keine Ausnahme. Die Diätkultur ist zu unserer Kultur geworden.

Vor allem weiblich sozialisierte Personen leiden besonders unter dem Druck des Schönseins. Das beginnt schon in der Kindheit. Weiblich gelesene Kinder werden vor allem für ihr Aussehen gelobt. Sie sind süß, hübsch und niedlich, während männlich gelesene Kinder vor allem für ihre Fähigkeiten Anerkennung erfahren. Sie sind mutig, stark, aufgeweckt, intelligent und vieles mehr. Nicht nur, dass ihr Anerkennungspotenzial deutlich vielfältiger ist, sie lernen dadurch auch, ihr Selbstbewusstsein leichter aus sich selbst herauszuziehen, während das Selbstwertgefühl von weiblich sozialisierten Personen eng an ihre Außenwahrnehmung gekoppelt wird. Und so beginnt die endlose Geschichte des Strebens nach Schönheit und Anerkennung, die von Anfang an verspricht, im Unglück zu enden. Weiblich sozialisierte Personen verwenden in der Regel immens viel Zeit, Geld und Aufwand darauf, ihr Aussehen zu optimieren und spielen dabei getrost dem Kapitalismus in die Hände. Denn die Industrie hat ein sehr großes Interesse daran, dass wir uns nie gut oder schön genug fühlen. Und so wird jeder vermeintliche Makel als Problem stilisiert, das durch den Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung behoben werden kann. Getrieben von unserer Unzufriedenheit sind wir bereit, die Versprechen der Schönheitsindustrie zu schlucken und konsumieren immer weiter. 

Instagram als Katalysator

Die sozialen Netzwerke unterstützen diese Dynamik. Besonders Instagram ist zu einer Schönheitsverkaufsplattform geworden. Hier werden nicht nur Produkte, sondern ganze Lebensformen vermarktet. Wir sollen Routinen aufbauen, diszipliniert sein, Sport machen, gesund essen, ohne und mit Make-up schön aussehen, etwas erleben und erfolgreich werden – denn nur dann können wir glücklich sein und uns gut fühlen. Aber wir fühlen uns nicht gut. Alles daran ist idealisiert und trotzdem sind wir in dem Netz aus Bildern und Vorstellungen gefangen. Wir vergleichen uns und wir verlieren. Es ist ein Kampf, den wir nie gewinnen sollen. Dazu kommen gesundheitsgefährdenden Body-Challenges und Filter, die uns zeigen, wie wir aussehen könnten, wenn wir nur mehr investieren würden. Wir sollen alles geben und selbst das ist nicht genug. Und so beginnen wir unseren Körper zu hassen, wenn er sich diesem „Ideal“ nicht fügen will und fühlen uns schlecht dabei, denn wir sollen uns doch lieben.

Selbst der Hashtag #bodypositivity, der eigentlich aus dem Fat-Acceptance-Movement entstanden ist und vor allem Schwarze mehrgewichtige Frauen sichtbar machen sollte, wurde von normschlanken, weißen Frauen gekapert. Sie inszenieren jedes normale Speckröllchen als wäre es ein vermeintlicher Makel und fordern uns dabei vehement dazu auf, unseren Körper zu lieben. Das alles ist einfach unfassbar anstrengend. Und das ist meckern auf hohem Niveau, denn ich bin privilegiert. Ich bin eine weiße, normgewichtige, cis Frau ohne Behinderungen. Körper, die meinem ähneln, sind sichtbar in den Medien und gelten als normschön. Sie werden zwar bewertet und sexualisiert, aber in der Regel nicht abgewertet, immerhin gelten sie als „normal“. Alle Körper, die von dieser selbsternannten „Norm“ abweichen, fallen auf. Denn sie werden unsichtbar gemacht. Körperdiskriminierung ist, und war schon immer, ein intersektionales Problem. Das Beispiel des Colorism zeigt, wie stark Rassismus und Lookismus miteinander verwoben sind. Auch Menschen mit Behinderung sind in den Mainstream-Medien kaum sichtbar: Die klassischen Schönheitsideale sind diskriminierend und spiegeln unsere Gesellschaft nicht wider. 

Die gesellschaftlichen Schönheitsideale umwandeln

Aber das Gute ist, wir können unsere Einstellung und unseren Blickwinkel verändern und dadurch auch die Schönheitsideale dekonstruieren. Im Gegensatz zu unseren Körpern sind sie nur ein Konstrukt, von dem wir uns lossagen und befreien können. Was als schön gilt, ist immer subjektiv und wandelbar. Wir sollten uns unserer eigenen Gedanken und Vorurteile bewusstwerden und aktiv gegen sie arbeiten. Denn wir müssen endlich aufhören, die Körper von anderen Menschen zu bewerten und zu kommentieren. Wir sollten uns und andere mit Wohlwollen betrachten und unserem Körper dankbar dafür sein, was er uns ermöglicht, anstatt ihn zu vergleichen, abzuwerten und zu versuchen, ihn mit Gewalt in eine vorgegebene Form zu pressen.

Wir sind mehr als unser Körper und trotzdem ist er es, der es uns in den meisten Fällen ermöglicht, unsere Gefühle auszudrücken. Durch körperliche Nähe können wir Geborgenheit, Trost und Liebe schenken sowie diese erhalten. Unsere Körper können uns mit anderen Menschen verbinden, sie sind vielfältig und unsere lebenslangen Begleiter. Deshalb hier ein kleiner Reminder: Wir müssen nicht schön sein, denn es gibt viel Wichtigeres. Lasst uns all die Energie, die wir in Selbsthass stecken, bündeln und dafür nutzen, das Konstrukt der Schönheit nach unseren eigenen Regeln zu formen. 

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