In ihrem Studio in Essen zeichnet und illustriert Radunkel ihre Figuren mit dem Ziel, Leichtigkeit und Positivität zu vermitteln. Gleichzeitig stehen ihre Illustrationen für viel mehr ein. Mit STROBO spricht Radunkel darüber, wie sie mit Selbstzweifeln umgeht und was ihre Arbeit mit Feminismus zu tun hat.
Skizzen auf dem Schreibtisch, dazu diverse Magazine und Collagen, das Regal voller Materialien und früherer Arbeiten: Hier arbeitet definitiv ein kreativer Mensch. Allerdings herrscht in Radunkels Studio in Essen kein Chaos. Das Set-up strahlt im Gegenteil viel Ruhe aus und lässt die Persönlichkeit der Illustratorin und ihrer Arbeit durchscheinen. Die Wände hat die Illustratorin selbst gestrichen: geschwungene, abgerundete Flächen in einem unaufgeregten dunkelgrün. An einer der Wände lehnt eine menschengroße Holzplatte – eine von ihren Illustrationen. Diese und andere Arbeiten hat Radunkel auf einer Messe in Köln ausgestellt, zusammen mit anderen Künstler:innen. Ausstellungen machen nur einen Teil ihrer Arbeit aus, denn sie beinhaltet außerdem kreative Prozesse, jede Menge Fleißarbeit und ständigen Austausch mit der Community.
Jahre der Selbstständigkeit
Als selbstständige Illustratorin ist Radunkel ständig mit unterschiedlichen Projekten beschäftigt. Die reichen von Editorial-Illustrationen in Magazinen über das Bemalen von Schaufenstern und Live-Illustrationen bis hin zu ihrer derzeitigen Arbeit an einer Comic-Reihe. Während ihres Studiums in Kommunikationsdesign malt und illustriert Radunkel als Selbstständige zwar schon nebenbei. Ihr Geld verdient sie aber größtenteils mit Designaufträgen: „Die waren dafür da, um davon leben zu können. Aber ich habe immer gedacht, dass ich nur Illustrationen machen möchte.“
Dieses Ziel hat sie nach ihrem Abschluss 2018 und vielen Jahren der Selbstständigkeit in diesem Jahr endlich erreicht. Allzu nischig sollte man auch dabei nicht denken, rät Radunkel: „Wenn du dich breit aufstellst und mehrere Bereiche bedienst, dann kannst du natürlich auch Herzensprojekte machen, die vielleicht nicht so viel Geld abwerfen. Das gleicht sich dann eigentlich immer aus.“
Radunkels Figuren: Groß, spielerisch, leichtfüßig
Ihre Figuren lassen sich am ehesten als monsterähnlich beschreiben, groß und bullig, mit dicken Linien. „Aber sie haben immer ein ganz liebevolles Gesicht“, ergänzt Radunkel. Dazu zeigen sich die Figuren häufig eng umschlungen, spielerisch und in Umarmungen. Neben ihrer Mimik und den Frisuren macht sie das auf eine subtile Art sehr menschlich.
Denn was als flauschige Monster angefangen hat, entwickelt sich erst mit der Zeit zu immer menschlicheren Darstellungen: „Ich möchte, dass jede:r sich mit den Figuren identifizieren kann und dass sie menschliches Miteinander und unsere Gesellschaft abbilden.“ Radunkel schreibt den Charakteren daher absichtlich keine äußeren Merkmale zu, die auf ein bestimmtes Geschlecht hinweisen.
Ein essenzieller Bestandteil dieser angestrebten Wirkung: die bloßen Füße der Figuren. „Die Barfüße gibt es immer – immer, immer, immer“, meint Radunkel. Nur wieso das ganz genau so ist, kann sie nur vage erklären: „Vielleicht ist es die Leichtfüßigkeit. Alles, was mit Leichtigkeit, Humor und Positivität zu tun hat, ist ganz wichtig für mich.“ Radunkels Darstellungen zielen darauf ab, die Schwere aus bestimmten Themen und Situationen zu nehmen. Stattdessen sollen sie ein gutes Gefühl bei den Betrachter:innen hinterlassen.
Radunkel: „Sichtbar machen, wo Menschen zusammenkommen.“
Die Ideen und Inspiration für ihre Illustrationen findet Radunkel in ihrem Alltag, in ihrem Umfeld, auf Ausstellungen, auf Social Media – die Hauptsache ist das Konsumieren. Denn ein:e Illustrator:in verbildlicht und stellt dar. „Es ist wie fast beim Fotografieren“, erklärt Radunkel, „ich als Person stehe nicht im Vordergrund, sondern meine Arbeit. Durch’s Beobachten und Illustrieren erfasse ich das, was vor meinem Auge passiert“.
Die 30-Jährige interessiert sich vor allem für das Zwischenmenschliche und das Einstehen füreinander: „Ich möchte eigentlich alles sichtbar machen, wo Menschen zusammenkommen.“ Eine ziemlich umfangreiche Aufgabe. Sie versucht daher, möglichst alles aus ihrem Alltag in sich aufzunehmen – um es dann in Form von Comic Diaries zu veranschaulichen.
Die Tagebücher sind zwar ein privates Projekt, helfen Radunkel aber mittlerweile auch für berufliche Zwecke. Möchte sie für einen Auftrag beispielsweise einen Koffer illustrieren, kann sie sich so gut wie sicher sein, dass sie irgendwo in ihren Tagebüchern eine entsprechende Zeichnung findet. „Im Prinzip wie ein Vokabelheft mit Bildern“, lacht die Illustratorin.
Der Umgang mit Selbstzweifeln
Obwohl sie am liebsten das menschliche Miteinander abbildet, ist Radunkel in ihrer tatsächlichen Arbeit als Illustratorin größtenteils allein. Neben den kreativen Prozessen zählt dazu auch der bürokratische Aufwand. Sie hat sich ganz bewusst für die Selbstständigkeit entschieden. „Du musst dich dabei die ganze Zeit mit dir selbst auseinandersetzen“, spricht Radunkel aus Erfahrung, „das ist irgendwann wahnsinnig anstrengend“. Dauerhaft von Erwartungen, Bildschirmen und Content umgeben, fällt das Abschalten von der Arbeit nicht leicht.
Um mit Selbstzweifeln und destruktiven Gedanken umzugehen, hilft es der Illustratorin, sich Räume zu schaffen und sich auszutauschen. In ihrer Illustratorinnen-Community findet sie den nötigen Support. Die Gruppe aus acht Frauen hat sich in einem Seminar 2021 zusammengefunden – und trifft sich seitdem wöchentlich für gegenseitige Inspiration und Unterstützung. „Es ist ein richtiger Safe Space geworden“, findet Radunkel, „während des Studiums dachte ich, ich kann nicht mit anderen Illustrator:innen zusammenarbeiten wegen des Konkurrenzkampfes. Inzwischen sehe ich das anders. Man kann davon nur profitieren“. Viel lieber als sich zu vergleichen, wolle sie von anderen lernen, wachsen und offen für Neues bleiben.
Radunkels Ziel: Aufklären und empowern
„Ich glaube, dass man sich ständig verändert“, überlegt die Illustratorin. Dank ihrer Comic Diaries sieht sie die Entwicklung und Anpassung ihrer Kunst schwarz auf weiß. Ihre Monsterfiguren beispielsweise sind nicht nur ein bisschen menschlicher geworden. Sie sind mittlerweile erwachsener, reifer und reflektierter als früher. „Sie haben nach wie vor das Leichte und kindliche, aber meine Figuren stehen inzwischen für mehr ein,“ erklärt Radunkel, „denn ich will mit ihnen aufklären, empowern, schwierige Themen ansprechen, Support für FLINTA* schaffen und am liebsten alle mal zum Nachdenken anregen. Im Großen und Ganzen sehe ich mich als Problemlöserin auf meine eigene illustrative Weise“.
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