Kolumne von Feminismus im Pott: Warum wir emotionale Arbeit gerecht verteilen müssen

Mein Bild

Weiblich sozialisierte Personen übernehmen den Großteil der emotionalen Care-Arbeit: Sie kümmern sich, fragen nach, hören zu und fühlen sich ein. Das ist ungerecht und ein Ausdruck patriarchaler Strukturen, findet Leonie Schraub von Feminismus im Pott und schreibt darüber in ihrer Kolumne.

Ich bin auf einer Party und seit zwei Stunden in ein Gespräch verwickelt. Er ist nicht mein Freund, sondern ein Freund meines Partners. Alles begann mit der einfachen und banalen Frage: „Wie geht es dir?“ Und jetzt sitzen wir hier seit zwei Stunden. Er erzählt mir alles, was ihn zurzeit beschäftigt und belastet, obwohl wir uns nicht mal besonders gut kennen. Eigentlich hatte ich mich auf einen ausgelassenen Abend gefreut, um endlich mal den Kopf freizubekommen. Aber ich kann ihn ja nicht einfach hier sitzen lassen, denn offensichtlich braucht er jemanden zum Reden. Oder besser gesagt, eine Person, die ihm zuhört, sich einfühlt und Lösungen für ihn findet. 

Ich frage ihn, warum er nicht schon früher mit einer Person gesprochen hat, und dann sagt er es: „Ich kann über sowas nur mit Frauen sprechen, die können mir besser helfen und da kann ich mehr ich selbst sein.“ Plötzlich überkommt mich ein beklemmendes Gefühl. Da ist sie, meine Rolle. Ich, als weiblich sozialisierte Person, habe gelernt, nachzufragen. Ich habe gelernt, mich zu kümmern, zu trösten, empathisch und immer für andere da zu sein. Das alles wird von uns erwartet und wir sollen uns gut dabei fühlen, denn wir tun etwas Gutes. Trotzdem fühle ich mich ausgelaugt und das macht mich wütend. 

Wochen später wird mir klar, warum: Er hat nicht einmal gefragt, wie es mir geht. Ganze zwei Stunden lang ging es nur um ihn und es ist mir nicht mal aufgefallen, denn er ist kein Einzelfall. Wer emotionale Hilfe braucht, wendet sich an die weiblich sozialisierten Personen in seinem Umfeld. Von männlich sozialisierten Personen wird nicht erwartet, dass sie emotionalen Beistand leisten können und damit sind sie fein raus.

Das Patriarchat erzählt seit jeher dieselbe Geschichte von der emotionalen Frau und dem rationalen Mann, um die Ausbeutung weiblich sozialisierter Personen durch die unbezahlte Care-Arbeit zu rechtfertigen. Doch diese Geschichte ist eine gezielte Lüge, um ein System zu stützen, unter dem die Hälfte der Bevölkerung leidet. Das Problem dabei ist nicht die emotionale Care-Arbeit, das Problem ist die ungleiche Verteilung dieser.

Denn emotionale Care-Arbeit ist Arbeit. Arbeit, die belastend sein kann und die nie aufhört, da sie unsere Gesellschaft zusammenhält und jederzeit und überall benötigt werden kann, wo Menschen zusammenkommen. Jemandem zu helfen ist schön und wir helfen gerne, aber wir haben eben auch begrenzte Kapazitäten, denn wir fühlen uns permanent verantwortlich und wissen intuitiv, dass wir auch zur Verantwortung gezogen werden. Das ist gesellschaftlich gemacht und auch gewollt, denn wir sorgen dafür, dass das Zusammenleben funktioniert, unbezahlt und ohne uns zu beschweren. Aber unsere Schultern sind beschwert. Auf ihnen liegt die doppelte Last, da wir alles auffangen und tragen, was männlich sozialisierte Personen vermeintlich nicht leisten können. 

Doch damit hört es nicht auf. Emotionale Care-Arbeit muss auch intersektional gedacht werden. Insbesondere mehrfach diskriminierte Menschen, die häufig selbst stark belastet sind, fühlen sich für die Emotionen der anderen besonders verantwortlich. So wird von BIPOC erwartet, immer auch Rücksicht auf die Gefühle weißer Menschen zu nehmen, wenn sie beispielsweise rassistisches Verhalten kritisieren. Auch queere Menschen werden permanent damit konfrontiert, Verständnis für das Unverständnis anderer Menschen aufbringen und ihre Gefühle mitdenken zu müssen.      

Wir sollten endlich aufhören, es als selbstverständlich zu betrachten, dass uns diese emotionalen Aufgaben zufallen. Stattdessen sollten wir uns immer wieder sagen, dass wir uns nicht selbst aufopfern müssen, um liebenswert zu sein. Wir sollten uns nicht schuldig fühlen, wenn wir keine Kraft oder einfach keine Lust mehr haben, diese Last allein zu tragen. Es ist endlich an der Zeit, Verantwortung abzugeben, denn geteilte Arbeit ist bekanntlich halbe Arbeit.    

Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Feminismus im Pott im Interview: „Es geht uns um Empowerment“

Mein Bild
Mein Bild