Christian Drosten hatte er nicht nötig: Torben Kassler wird mit Waran zur Twitter-Ikone

Mein Bild

Der Dortmunder Torben Kassler veröffentlichte im April 2021 den für lange Zeit vermutlich erfolgreichsten deutschsprachigen Tweet überhaupt und wurde über Nacht zum Star. Zum Jubiläum blicken wir zurück auf ein Jahr voller Ruhm, Anerkennung, Intrigen und Zerstörung, das sein Leben für immer verändern sollte. Eine satirische Auseinandersetzung.

Was für das goldene Zeitalter des Kinos die Filmstars sind, sind für die Internet-Ära die Twitter-Ikonen.
Sie, die sie es vermögen in nur 280 Zeilen Genialität auszudrücken, für die Thomas Mann knapp 800 Seiten brauchte. Sie, die uns diktieren, über was wir zu denken und zu lachen haben. Sie, die sie das Gehalt der Redakteure von „The Best of Social Media“ und „Dressed like Machines“ sichern. Sie sind die Schillers und Woolfs unserer Zeit. Eine von diesen Twitter-Ikonen ist Torben Kassler. 

Aber er ist nicht nur irgendeine Ikone – Kassler hatte lange Zeit den vermutlich erfolgreichsten deutschsprachigen Tweet aller Zeiten. Den Tweet ziert ein Video, in dem ein riesiger Waran ein Supermarkt-Regal senkrecht hinauf klettert. Die einkaufenden Personen reagieren geschockt und verängstigt. Als Kassler das Video entdeckte, sah er die Chance mit einer witzigen, pointierten, leicht zu verstehenden und doch zugleich enorm tiefen Überschrift das Video zu einem Meilenstein der Tweetgeschichte werden zu lassen: „Ich, wenn im Supermarkt einer ohne Maske auftaucht“ – Ein Video, das an sich kaum Unterhaltungswert bietet, wird durch Kasslers unvorstellbares Ausmaß an Kreativität zu einem Internet-Hit mit über fünfzig tausend Likes. Dieser Wahnsinns-Erfolg hat sich nun zum ersten Mal gejährt. Ein Grund, Kassler zu treffen und mit ihm über seinen Ruhm zu sprechen.

Dortmunder Torben Kassler: Mit Echsenpost zum Twitter-Star

Rund 20 Minuten nach vereinbarter Uhrzeit trifft Kassler in einer Dortmunder Kneipe mit den Worten „Sorry, dachte wir treffen uns woanders“ ein. Er setzt sich auf einen Stuhl und nimmt ungefragt einen Schluck von dem dort stehenden Bier. Die Kneipe wirkt gar unangemessen für einen Star seines Kalibers – es muss so sein, dass ihn neben Witz und Intelligenz auch ein unfassbares Ausmaß an Bescheidenheit auszeichnet. 

„Ich habe das Video von irgendeiner Internetseite runtergeladen und dann verwendet. Natürlich ohne Quellenangabe, wie sich das gehört. Das schöpferische Moment liegt ja unbestreitbar in dem begleitenden Text“, erzählt Kassler. 

Diverse Kolleg:innen sehen das jedoch anders: Unbestätigten Gerüchten zu Folge kam es auf einer Cocktailparty der nationalen Internet-Gemeinschaft im Berliner Adlon Hotel zu einem Handgemenge zwischen Kassler und dem Twitter-Star „El Hotzo“. Augenzeugen zufolge wedelte Hotzo mit dem Olivenspiess seines Martini-Cocktails aggressiv vor Kassler herum und schrie dabei die Worte: „Mit einem geklauten Video einer Echse viral zu gehen, ist der billigste Schrei nach Aufmerksamkeit den ich je gesehen habe. Es konterkariert den künstlerischen Anspruch, den echte Twitter-Artists wie ich vertreten.“

Auf seinen angeblichen Streit mit Sebastian Hotz (alias El Hotzo) angesprochen, erwidert Kassler nur: „Kritik interessiert mich nicht von Leuten, deren Daseinsberechtigung davon abhängt, dass verunsicherte Erstsemester ihre platten Humorvorlieben durch Instagram-Storys zum Ausdruck bringen wollen.“ Tatsächlich könnten einige bereits gelöschte Anti-Waran-Tweets Hotzo’s auf die übermäßige Eifersucht des gescheiterten Großusers schließen lassen.

Torben Kassler: Christian Drosten folgte ihm auf Twitter

Von den Neider:innen lässt sich Kassler jedoch wenig beeindrucken. Verständlich, wenn man sich die lange Liste an Unterstützer:innen und Fans anschaut. Kurz nach dem Tweet folgt ihm Deutschlands bekanntester Wissenschaftler Christian Drosten. Nach zwei Tagen zieht er sein Follow jedoch zurück. Doch solche Bekanntschaften hat Kassler gar nicht nötig.

Was danach folgt, ist nämlich die Lehrbuchgeschichte eines fulminanten Aufstiegs: Der Follow eines berühmten US-amerikanischen Basketballspielers, dessen Name sich Kassler nicht merken konnte, und Anfragen asiatischer Fernsehsender sind nur einige der Eckpfeiler seiner plötzlichen Berühmtheit – Kassler war in aller Munde und sein Waran-Tweet das Gesprächsthema Nummer eins. 

Was könnte darauf noch folgen? Vielleicht eine Absage an Lars Weisbrod zu einer Podcast-Debatte über Maskenpflicht und Chaos-Magie oder ein Vorschlag einer britischen Marketingagentur Kassler zum Gesicht der Kampagne „Save the Waran“ zu machen oder eine Scheidung, ein Biopic und Einladung zum Bilderbergtreffen. Aber nein. 

Was wäre eine große Erfolgsgeschichte ohne den Niedergang des Monuments. Einige Tage nach seinem Lebenswerk bekommt Kassler eine Mail von Twitter: „Wir haben Urheberrechtsverletzung festgestellt, die Medien wurden gelöscht.“  Die Rede ist vom Waran-Video. 

Waran-Tweet nur noch in unvollständigen Teilen zu sehen

So ist dieses Wunderwerk der menschlichen Erfindungs- und Gestaltungskraft nur noch in unvollständigen Teilen zu sehen – ähnlich wie die Akropolis. Nachkommende Generation werden nur noch in Erzählungen oder Abbildungen von der Meisterhaftigkeit Kasslers berührt werden.

Doch wer hatte den Hinweis zur Urheberrechtsverletzung gegeben? War es El Hotzo? War es Christian Drosten? War es Lars Weisbrod? Als Genie hat man viele Feinde. Die schlimmsten Neider bringen unsere Held:innen aus Eifersucht zum Erliegen. Weil sie wissen, dass ihr eigenes Werk nicht im Ansatz das Werk wahrer Held:innen erreichen kann. Das wissen wir bereits von Jesus. 

Nun bleibt Kasslers Tweet uns nur noch in Erinnerung erhalten, neben dem Screenshot, der als Hintergrundbild sein Handy ziert. Die Erinnerung an ein deutschsprachiges Kunstwerk, das es geschafft hat Sprachbarrieren zu überwinden und Nationen zu verbinden. Auf englisch kann jeder berühmt werden, aber mit deutscher Sprache international viral zu gehen – das ist nur wahren Größen vorbehalten.

Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Musical-Sterben: Warum es kaum noch Musicals im Ruhrgebiet gibt

Dieser Artikel wurde gefördert durch den Regionalverband Ruhr.

Mein Bild
Mein Bild