Die Straße ist ihr Museum – Das XX-Kollektiv

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Kleinkunstbühne, Philharmonie und Museum: All die Orte, an denen man normalerweise Kunst bewusst konsumiert, liegen im Coronaschlaf. Anders sieht es bei StreetArt aus, denn sie ist von keinem dieser Orte abhängig. Die Künstler:innen brauchen keine Bühne, keinen Orchestergraben und keine Vernissage. Sie platzieren ihre Kunst mitten in der Stadt, für alle sichtbar. 

Wer sich aufmerksam durch die Städte des Ruhrgebiets bewegt, sieht Kunst an fast jeder Ampel, an Laternen und Stromkästen. Überall dort, wo normalerweise grau vorherrscht, setzen Street Art-Künstler:innen Akzente. Die Straßen werden zu einem Museumsflur – mit den Geräuschen der Stadt als begleitendem Audiokommentar.

Das XX-Kollektiv, 2018 als Zentralkomitee Straßenkunst gegründet, ist eine Gruppe von vier Street Art-Künstler:innen aus Essen und Umgebung, die regelmäßig Ausstellungen und Kunstprojekte im Ruhrgebiet organisiert, um Aufmerksamkeit für junge und aufstrebende Talente zu schaffen. 

Der Reiz den öffentlichen Raum mitzugestalten

Zwar können aufgrund der Pandemie Ausstellungen im Moment nicht stattfinden, doch das Kollektiv hat kreative Wege gefunden ihre Kunst zu präsentieren: Sie schicken Interessierte auf eine Art Schnitzeljagd durch ihren Stadtteil.

Mr. Beanz, 0ae, anxt und eleto (gleiche Reihenfolge Titelbild) sind seit einigen Jahren befreundet und haben sich teilweise gegenseitig dazu inspiriert ihre Kunst auf die Straße zu bringen. Ihre Einflüsse und Ausdrucksformen sind unterschiedlich, doch alle vereint die Freude am künstlerischen Schaffen und der Reiz der öffentlichen Sichtbarkeit als Streetartist.

Paste-Ups von anxt, oae, Mr. Beanz, eleto, (v.l.n.r.). Foto: privat

Denn Street Art ermöglicht es Künstler:innen, sehr niedrigschweillig ihre Kunst einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, weit entfernt von der Exklusivität eines Museums, einer Vernissage oder des Rundgangs an der Düsseldorfer Kunstakadamie.

„Man erreicht schnell ein großes Publikum, kann teilweise den öffentlichen Raum mitgestalten. Vielleicht schafft man es sogar den Leuten auf dem Weg zur Arbeit ein kleines Lächeln ins Gesicht zu zaubern”, sagt eleto. Sie ist eigentlich Bühnenmalerin und arbeitet, nach Anfängen im Graffiti, vor allem mit Stickern und sogenannten Paste-Ups. Das sind oft aufwendige und großflächige Papierschnitte, die man mindestens zu zweit und mit viel Kleister an Wänden befestigt, oder aber auch kleinere Plakatkunst.

Laut Mr. Beanz, die ihre Illustrationen meist zu Stickern verarbeitet, gibt es nicht viel Kontakt zu den Menschen, die ihre Kunst betrachten. „Wenn man aber sieht wie Sachen, die man teilweise vor Jahren aufgehangen hat immer noch hängen und zu sehen sind, wenn man um diese eine Ecke in Mülheim geht, ist das auch eine schöne Rückmeldung.” Ansonsten bekommen die Künstler:innen direktes Feedback hauptsächlich über ihre Instagram-Kanäle.

Das XX-Kollektiv will nicht die Nachbar:innen verärgern

Nun findet Street Art mit ihren an Wände gesprühten Stencils und verkleistertem Pappmarché nicht immer im Bereich des Legalen statt. Es gibt jedoch Mittel und Wege das Risiko zu minimieren wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt zu werden, betont 0ae. So könne man beispielsweise mit Kreide arbeiten oder Werke nicht direkt auf eine Wand auftragen, sondern mit Kabelbindern arbeiten.

Auch das sogenannte Projection Mapping ist eine Möglichkeit. Dabei werden Bilder per Beamer auf Gebäude projiziert und man hinterlässt keine Spuren. So hält es auch der überwiegende Teil der Gruppe. Denn „am Ende repräsentieren wir mit unserer Kunst eine ganze Szene und erhoffen uns eine breitere Akzeptanz von Street Art in der Gesellschaft. Da muss man sich schon überlegen inwiefern es uns da weiterhilft Anwohner:innen oder offizielle Stellen gegen uns aufzubringen”, so eleto.

Ein Stickercluster. Foto: privat.

„Street Art entsteht, wenn man sie sieht”

Im Vergleich zu Städten wie Hamburg, Berlin oder Düsseldorf ist die Szene im Ruhrgebiet zwar noch klein, aber dafür familiär und gut vernetzt. Laut anxt ist das auch der Tatsache geschuldet, dass sich die freie Kunst- und Kulturszene hier nicht so sehr konzentriert, wie zum Beispiel in den Stadtteilen Schanze oder Kreuzberg.

„Die kreativen Menschen sind von Duisburg bis Dortmund verteilt und das bedeutet viel Netzwerkarbeit, die momentan durch die Pandemie massiv eingeschränkt ist. Und genau da versuchen wir als Kollektiv der Szene etwas unter die Arme zu greifen.”.

Ihre Ausstellungen funktionieren immer auch als Netzwerktreff für die Szene, auf denen sich junge Talente und alteingesessene Größen kennenlernen, austauschen und inspirieren lassen können. Und alle vier sind sich einig, dass eine traditionelle Ausstellung eher dabei helfe Leute zu erreichen, die sonst eine tendenziell konservative Vorstellung von Kunst und ihrer Präsentation haben. Denn eigentlich erscheint es auf den ersten Blick paradox: Kunst, die dafür gedacht ist im Straßenbild zu funktionieren, in einem Raum zu konzentrieren.

Die Szene soll wachsen

Eine Ausstellung des Kollektivs 2019. Foto: privat.

Plötzlich hängen Werke nebeneinander, die normalerweise kilometerweit voneinander entfernt an leerstehenden Häusern oder Straßenschildern kleben. „In einer Ausstellung kann man sich auf ein Werk auch mal in Ruhe konzentrieren, es wirken lassen. Das ist nicht immer möglich, wenn man vor einem Stromkasten an einer vierspurigen Straße steht und auf den Bus wartet.”, erklärt 0ae.

„Und natürlich wollen wir auch Leute für die unbegrenzten Möglichkeiten begeistern, die Street Art bietet und so einen Teil zum Wachstum der Szene beitragen.”, denn Street Art entstehe laut eleto nur dort, wo es auch zu sehen sei. 

Projekte des XX-Kollektivs

Anfang Mai 2020 organisierte das Kollektiv unter dem Titel „10,5m²” ihre erste Ausstellung in Essen-Frohnhausen – unter Coronabedingungen und unter freiem Himmel. Zu diesem Zweck entfremdeten sie alte Wahlplakate, die von verschiedenen Parteien bereitgestellt wurden und nutzten die Rückseiten als Leinwände, auf denen sich ca. 30 Künstler:innen präsentieren konnten. Zusätzlich erhielten Interessierte eine „Schatzkarte”, auf der alle Orte eingezeichnet wurden, an denen Werke zu finden sind.

In diesem Jahr plant das Kollektiv eine ähnliche Aktion: Unter dem Namen „XX-Tüten” fragen sie ca. 80 Künstler:innen an, um Kunstwerke zu spenden. Diese werden dann in kleinen „Wundertüten” überall in Essen verteilt werden, gefundene Tüten können mit nach Hause genommen werden. Eine Schatzkarte wird es dieses mal allerdings nicht geben, denn „wir wollen möglichst vielen Menschen die Chance geben eine Tüte zu finden und nicht nur denen, die sozusagen auf die Jagd gehen.” Geplant ist die Aktion in diesem Sommer.

Letztlich sollen die Projekt auch dabei helfen das XX-Kollektiv als Marke mit Wiedererkennungswert zu etablieren. Wobei alle vier betonen, dass ihr Anliegen immer ist, so vielen Kunstschaffenden wie möglich eine Plattform für ihre Kunst zu geben. Dass damit auch Orte erheblich aufgewertet werden, die man sonst nie beachten würde, ist ein angenehmer Nebeneffekt. So wird der Spaziergang im Ruhrpottkiez zu einer kulturellen Entdeckungsreise durch die Welt der Street Art.

Erreichen könnt ihr das XX-Kollektiv auf Instagram unter @xxkollektiv

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