Die Ruhr Games sind ein Festival für Sport und Kultur. STROBO-Autor Jerrit Schlosser hat für einen Tag hinter die Kulissen geschaut, mit vielen interessanten Menschen gesprochen und das Kulturprogramm abgecheckt – auch abseits von den Headliner Shows.
Menschen laufen kreuz und quer, eine Staubwolke liegt über ihren Köpfen. Rundherum ragen Bauwerke empor, Riesen aus Stahl umzingeln das Gelände. Die Szenerie gleicht einer großen Industrieruine, fast wie aus einem Endzeitfilm. Der Geruch von Sonnenmilch und Schweiß liegt in der Luft. Direkt über dem Eingang des Landschaftsparks Duisburg Nord hängen Flaggen in hellblau: „RUHR GAMES 23“.
Die Ruhr Games sind ein Festival, organisiert vom Regionalverbund Ruhr. Es ist das größte Jugend-Sport- und -Kultur-Festival in Europa. Jugendliche aus über 30 Ländern reisen von Donnerstag bis Samstag an, um Sportwettkämpfe in verschiedenen Disziplin auszutragen. Als Highlight des Kulturprogramms sind Giant Rooks und Leoniden angekündigt. Über den Tag werden außerdem Workshops und Aktionen angeboten. Aber was bieten die Ruhr Games noch an Kultur, abgesehen von den Headlinern? Wie bereiten sich die Künstler:innen auf die Konzerte vor und wie nehmen die Menschen das Angebot wahr?
Ein erster Rundgang: Überforderung, Orientierungslosigkeit und Reizüberflutung
Um 14 Uhr steht die Sonne im Zenit. Eine große Karte am Eingang erklärt nur grob, wo die einzelnen Programmpunkte stattfinden. Ein genauer Weg zum Cowperplatz, der die Kultur-Programmpunkte beheimatet, ist nicht eingezeichnet. Nach ein paar Minuten herumgehen merke ich: Man kann sich leicht verlaufen auf dem weitläufigen, verwinkelten Gelände der Ruhr Games. So kommt es, dass ich auf meinem Weg zum Kulturbereich auf einem Basketballplatz lande. Dort findet gerade ein drei gegen drei Turnier statt. Auf dem Rückweg verlaufe ich mich in einer Boulderhalle und kriege mit, wie eine junge Frau den Wettbewerb für sich entscheidet. Schließlich gerate ich auf den richtigen Weg, laufe an einem Hochsprung-Wettkampf vorbei und lande am Cowperplatz.
Den Cowperplatz umzäunen Bauwerke, sodass ein viereckiger Kessel entsteht. Der erste Blick fällt auf einen Bildschirm, der an einer Wand hängt und weit über die Köpfe der Menschen ragt. Wellenartige Formen und Farben bewegen sich darauf. Davor stehen Besucher:innen und laufen, springen, tanzen. Die Formen auf der Leinwand verändern sich, je nach Bewegung der Menschen. Die Aktion vereint die zwei Kernelemente der Ruhr Games: Bewegung und Kunst. Sport und Kultur. Und nicht nur das. Auch ältere Menschen trauen sich auf das Podest und malen durch ihre Körperbewegungen auf der Leinwand. Kunst und Bewegung, Jung und Alt geben sich hier die Hand. So entsteht ein Kunstwerk, das nie gleich bleibt.
Ein Treffen mit Stina Holmquist
Mittlerweile ist es 15:30 Uhr und mein Treffen mit Stina Holmquist naht. Stina ist eine Singer-Songwriterin aus Duisburg. Zusammen mit ihrer Band produziert sie Indie-Pop-Lieder. Verträumte Melodien und ruhiges Tempo kennzeichnen die Songs. Die 21-Jährige sitzt im Artist-Bereich, ein Iso-Sportgetränk in der Hand. Um kurz nach sieben wird sie vor tausenden Menschen auf der Bühne stehen und das erste Konzert des Abends spielen – vor den Leoniden und vor Giant Rooks. „Ich hab voll Bock, ich bin heiß“, erzählt sie lächelnd.
Für Stina und ihre Band ist es der erste Festival-Sommer mit größeren Auftritten. In den kommenden Wochen spielen sie auf dem Traumzeit-Festival neben Größen wie Edwin Rosen oder Roy Bianco. Auch das Traumzeit-Festival findet in Duisburg statt – Stinas Heimatstadt: „Meine Band und ich, wir sind stolze Pott-Kinder. Es ist schön, hier spielen zu dürfen.“ Die Ruhr Games gefallen der 21-Jährigen, weil sie Menschen aus verschiedenen Bereichen, wie Sport und Kultur, zusammenbringen. „Der Ruhrpott ist ja auch bekannt für seine Vielfalt und ich glaube, das spiegelt sich gut in den Ruhr Games“, findet Stina.
Mit dem Kotburschi-Kollektiv beim Graffiti-Workshop
Um 16 Uhr startet am Cowperplatz der Graffiti-Workshop. Eine weiße Leinwand steht bereit, um mit Sprühdosen verziert zu werden. Kinder und Jugendliche strömen herbei, zeichnen Motive vor und werden dann mit Sprühdosen bewaffnet. Die Jungs vom Kotburschi-Kollektiv leiten den Workshop. Um 17 Uhr ist der offiziell vorbei, aber weil der Andrang so hoch ist, wird weiter gesprüht.
Nach dem Ende zieht sich das Kollektiv in Liegestühle zurück, abgeschirmt vom Rest des Festivals. Im Gespräch werde ich schnell mit der Gruppendynamik vertraut. Es wird sich liebevoll unterbrochen, wild reingerufen und vor allem: viel zusammen gelacht. Das macht das Gespräch inhaltlich aber nicht albern. „Heute war der Andrang schon echt groß. An unserem Spot laufen viele vorbei und da möchte jeder mal ‘ne Dose in die Hand nehmen“, so das Kollektiv.
Auch an den anderen Tagen bieten sie ihren Graffiti-Workshop an. Ziel sei dabei, dass die Teilnehmer:innen sich frei entfalten und Spaß haben: „Oft werden Kinder gebremst oder limitiert. Im schönsten Fall ist hier ein Ort, wo man sagen kann: ‘Ey, nimm mal ne Dose, Style egal, Farben egal. Es geht nur um Ausdruck. Hab ´ne gute Zeit’.“ Das ist dem Kollektiv laut eigenen Aussagen am ersten Tag geglückt. Das bestätigt auch ein Blick auf das Ergebnis. Denn die verschiedensten Motive, Formen und Farben schmücken die Leinwand.
Ausgelassene Stimmung beim Soundcheck mit PATINA
Kurz nach fünf treffe ich die Musiker:innen von PATINA Records. Die Dortmunder Rap Crew hat am Samstag ihren großen Auftritt – eine einstündige Show. Am Donnerstag spielen sie einen Song und eröffnen den Konzertabend. Die Crew steht vor der Bühne. Im Hintergrund hat Stina Holmquist ihren Soundcheck. Danach ist PATINA dran. „Wir haben einen Song extra fürs Festival geschrieben damit man sehen kann: PATINA kann auch representen, also extra öffentlichkeitsfreundlich“, erklärt Yako. „Samstag scheißen wir dann rein. Dann wird richtig abgerissen.“
Das Kollektiv steht vor der Bühne und albert herum. Alle reißen Witze, machen Wortspiele und wirken ausgelassen. Von Anspannung keine Spur. „Wir haben Bock. Guck dir mal die Bühne an“, so Tarri. Für die Crew ist es mit Abstand der größte Auftritt bisher. „Das ist jetzt erstmal der Peak“, erzählt Nikita. Alle lachen. Dann wird Calli von Katanna aufgefordert, einen Hip-Hop-Dance-Move zu machen und alle versuchen sich beim Imitieren. „Heute wollen wir die Leute anheizen für den Abend, am Samstag wollen wir dann ein neues Level für uns einläuten“, erklärt Calli anschließend, „ab jetzt geht es um die richtigen Moves.“
Das Finale von Tag eins
Mittlerweile wandert die Sonne Richtung Horizont und eine angenehme Kühle schleicht sich ein. Da, wo tagsüber Kinder mit ihren Eltern rumgelaufen sind, stimmen sich jetzt junge Erwachsene auf die Konzerte ein. Die einen am Bierwagen, die anderen bei den Foodtrucks. Um 18 Uhr ist es soweit und der Einlass in die Konzertlocation beginnt. Noch eine Stunde warten, dann treten die Moderator:innen auf die Bühne und eröffnen den Abend. Nach ihnen zählt ein Countdown von 10 Sekunden runter. Bei 0 springen Calli und Isa von PATINA auf die Bühne und performen. Es folgt der Rest der Crew. Das Publikum springt, die Konfetti-Kanonen schießen und für drei Minuten haben alle eine gute Zeit. Dann ist die Show von Patina vorbei. Der Auftritt war kurz und macht Lust auf die einstündige Performance am Samstag.
Jetzt tritt Stina Holmquist auf die Bühne. Auch sie sorgt für gute Stimmung. Nicht nur beim Publikum, auch bei sich selbst. Ein breites Grinsen liegt der Künstlerin auf den Lippen: Sie und ihre Band fühlen sich sichtlich wohl auf der Bühne. Die Leoniden beginnen ihre Show mit einem großen Knall. Die Band ist gekommen, um abzureißen und gibt von Minute eins an alles. Der erste Moshpit wird schnell geöffnet und kommt nicht mehr zur Ruhe, bis die Leoniden die Bühne verlassen.
Es folgt das große Finale des Abends: anderthalb Stunden Giant Rooks. Die Band aus Hamm nimmt das Publikum mit auf eine Achterbahn der Gefühle. In ruhigen Momenten leuchten die Scheinwerfer auf den Sänger Fred Rabe, dann wird wieder aufgedreht und die ganze Band springt umher. Das Publikum schwankt zwischen Moshpits und gefesseltem Zuschauen. Zwischen Melancholie und Euphorie. Als Closer spielt die Band ihren Hit „Watershed“. Für den Höhepunkt der Show springt Fred ins Publikum und schwimmt auf den Händen der Menschen. Zurück auf der Bühne leitet er das Ende ein. Ein letztes Mal rumspringen. Passend zum glorreichen Finale schießen die Konfetti-Kanonen und das Publikum feiert ausgelassen. Mit einem lauten Knall beenden die Giant Rooks den ersten Tag der Ruhr Games.
Mittlerweile scheint der Mond auf die Stahlgebäude im Landschaftspark. Die Menschen strömen nach Hause: Entlang des Cowperplatzes. Entlang der vielen Pavillons, Foodtrucks und Sportplätze, die am nächsten Tag wieder zum Leben erwachen.
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