„Etwas, was nicht in einem Standard-Hollywoodfilm passieren würde“ – Kira Hummen bei den STROBO:Sessions

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Kritisch, nachdenklich, melancholisch. Kira Hummen schreibt Songtexte, die immer etwas mehr bedeuten als nur eine persönliche Auseinandersetzung. Ihr fluffiger Bedroom-Sound steht da manchmal im Kontrast. Für die STROBO:Sessions haben wir bei Kira Hummen nachgefragt, was hinter manchen Songzeilen steckt und was passieren müsste, damit sie wirklich keine Songs mehr über Liebe schreiben würde.

STROBO: Mit deiner Musik willst du weibliche Stärke mit Melancholie verbinden. Was bedeutet das?

Kira Hummen: Im weitesten Sinne kann man jetzt Weiblichkeit so auslegen, dass weibliche Personen eher schwächer sind und die ganzen typisch weiblichen Attribute, die unsere Gesellschaft weiblich konnotiert, eher Schwäche widerspiegeln. Das möchte ich umkehren: In diesen Attributen liegt total viel Power und Energie.

STROBO: Hast du das Gefühl, dass sich Sängerinnen in ihren Texten eher verletzlich zeigen?

Kira Hummen: Der grundlegende Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Künstlern ist, dass sie komplett denselben Song schreiben und performen könnten. Er würde dennoch sehr unterschiedlich wahrgenommen werden.

Kira Hummen bei den STROBO:Sessions. Hier gibt’s das Video.

STROBO: In „My Body Is The Only Place” geht es um Sexismus. Wie entstand der Song?

Kira Hummen: Der Song ist aus diesem Gefühl entstanden, was man hat, wenn man allein nachts unterwegs ist. Das ist eine Zeit, in der niemand unterwegs ist, außer Leute, die gerade von einer Party oder so nach Hause kommen. Dann liegt einfach eine krasse Stimmung in der Luft. Aber wie eigentlich jeder Frau wurde aber mir immer schon vermittelt, dass ich das nicht machen kann. Natürlich haben Männer keinen Patronus, der über ihnen erscheint. Aber die Ängste, mit denen wir Frauen uns herumschlagen, und Dinge, mit denen wir konfrontiert sind, sind ganz andere Themen. Ich finde es ein Unding, dass das so ist.

Das sind manchmal schon die kleinen Dinge: Zum Beispiel, wenn du an einer Gruppe von Männern vorbeiläufst und dir Sachen hinterhergerufen werden. Das ist einfach dieses grundsätzliche Gefühl, dass man nirgendwo sicher ist. Der Gedanke „ich will einfach nur in meinem Körper sicher sein.“ Das würde mir schon reichen.

STROBO: Ist es dir schwergefallen, diese Gedanken in einen Songtext zu bringen?

Kira Hummen: Nein, überhaupt nicht. Das sind Themen, mit denen ich mich im Alltag auch viel auseinandersetze und über die ich auch viel mit anderen spreche.

STROBO: Welche Rolle spielen denn generell Alltagsbeobachtungen oder Alltagsgefühle in deinen Texten und in deinem Schaffensprozess?

Kira Hummen: Einzigartige Momente oder irgendwie komische Momente landen bei mir oft in Songs oder führen zu welchen. Irgendetwas, was auf keinen Fall in einem Standard-Hollywoodfilm so passieren würde.

STROBO: Und die Melancholie? In welchen Momenten zeigt sich bei dir im Alltag Melancholie?

Kira Hummen: Ich sehe mich oft in Situationen, wo andere dann einfach voll drin sind, während ich in meinem Inneren dann ein bisschen die Situation von oben betrachte. Ich werde zum Beispiel melancholisch, wenn ich abends auf eine Party gehe. Man ist in der Stadt unterwegs und alle werden langsam betrunken. Parallel dazu trifft man auf Leute, die Flaschen sammeln. Man sieht so krasse Kontraste. Ich kann dann oft nicht in der Situation bleiben und klinke mich aus. Vielleicht ist das diese Melancholie im Alltag, die ich meine.

Kira Hummen mit Band bei den STROBO:Sessions. Foto: David Peters.

STROBO: Machst du dir in solchen Momenten direkt Notizen?

Kira Hummen: Es kommt drauf an. Vor allen Dingen in Hochphasen, in denen ich sehr viel schreibe, habe ich immer ein kleines Notizbüchlein dabei. Manchmal schreibe ich auch Sachen ins Handy. Das finde ich aber ein bisschen unsexy.

STROBO: Dein Song „I Wanna Give Up“ ist eher nicht melancholisch. Dort singst du “In a world in which art is dying, a silent virtual death” – Wie kam es zu dieser Zeile?

Kira Hummen: Wie über vieler Musik, die jetzt gerade erscheint, schwebt auch über meinem Album der Schatten der Pandemie.

STROBO: Warum nennst du das einen Schatten?

Kira Hummen: Rückblickend sehe ich auch die Vorteile für mich. Zum Beispiel ist es schön gewesen, dass ich in Einsamkeit das Album produzieren konnte. Sonst wäre sehr viel Intimität nicht so entstanden, wie sie jetzt entstanden ist. Gleichzeitig will ich es jetzt auch nicht schönreden. Es war eine Scheißzeit – auch für viele Künstlerinnen in meinem Umfeld.

STROBO: Und was steckt hinter dem „silent virtual death“?

Kira Hummen: Den Song habe ich im Sommer 2020 geschrieben. Da sind wir alle einmal kurz aufgetaucht, bevor es dann in den nächsten Lockdown ging. Bevor dieses Auftauchen kam, habe ich diesen Song geschrieben. Da war ich persönlich an meinem absoluten Tiefpunkt, der zum Glück sehr früh in der Pandemie war und da hatte ich diese Gedanken. Diese ganzen Onlineformate und diese Onlinekonzerte waren naja. Es war auch schon vorher so, dass Musik immer mehr aus der echten Welt verschwunden ist und sehr viel für Musik bei Instagram passiert.

Kira Hummen bei den STROBO:Sessions. Foto: David Peters.

STROBO: Was müsste passieren, damit du wirklich aufhörst, Songs über Liebe zu schreiben? So wie du es im Song angekündigt hast.

Kira Hummen: Ich glaube, dafür müsste ich sterben.

STROBO: Vor kurzem ist dein neues Album erschienen. Was ist dieses Mal anders?

Kira Hummen: Beim ersten Album war es noch viel mehr der Singer-Songrwriter-Angang. Ich hatte alle Songs am Piano und an der Gitarre fertig geschrieben und bin dann ins Studio gegangen. Wir hatten zwar noch einen Bassisten und Schlagzeug dazugeholt, aber das Album ist größtenteils mit der Produzentin Harriet Gold in Zweisamkeit entstanden.

Das war einfach cool, mit einer Frau zusammen daran zu arbeiten. Jetzt dachte ich, dass ich wieder nur Demos produziere, mir andere dazu hole und die ihren Touch dazugeben. Es hat sich aber richtig angefühlt, das ganze Ding allein fertig zu produzieren, dass ich es einfach bis zum Ende durchgezogen habe. Man hört einfach keinen Ton von irgendjemand anderem auf diesem Album als von mir.

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