„Ich will nicht an großen Häusern spielen, ich will auf die Kacke hauen“ – Künstler:in Joyce Thumb im Porträt

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Joyce Thumb macht in Bochum mit niederschwelliger Aktionskunst, Punkrock, Rap und Jazzmusik auf die Probleme im kapitalistischen System aufmerksam. Joyce ist Kunstschaffende, Schauspielernde, Musiker:in und spricht mit uns über Ruhe, Hierarchien und Pilze.

Es ist heiß. Die Sonne knallt auf die wenig bedeckte Haut. Unter den Bäumen des Friedhofes in Bochum Hamme ist es angenehm kühl. Der Weg ist gepflastert, die Blumen blühen und ein paar Menschen flanieren über die Wege. Joyce lächelt und winkt mit einer Hand – mit der anderen hält Joyce ein altes Fahrrad fest. Unter dem Arm klemmt eine Yogamatte mit bunten Motiven. Das Fahrrad stellt Joyce am Wegrand ab und grinst breit. „Soll ich dir meinen Lieblingsplatz zeigen?“

Kurze, dunkelblonde Haare hängen in Joyce kantiges Gesicht. Die schimmernde, blaue Culotte und das schwarze Top sitzen locker am Körper. Einen kleinen Weg hinauf und hinter Büschen und Grabsteinen ist eine kleine Lichtung. Joyce’ Lieblingsplatz. Dass wir auf einem Friedhof sind, wird nebensächlich. „Es ist hier einfach schön. Ich brauche einen Ort, wo ich mal richtig runterkommen kann.“ 

Es zwitschern ein paar Vögel. Schmetterlinge und Bienen schwirren ab und an vorbei. Gras umringt die Yogamatte, die Joyce als Sitzfläche dient. „Und das Beste ist: Immer, wenn ich hier bin, sehe ich mindestens ein Tier“, ergänzt Joyce lachend. In der Natur fühlt sich Joyce wohl. Yoga und Meditation helfen der Künstler:in auch sich zu sammeln: „Voll klischeehaft – ich weiß.“ 

Systemkritik mit Kinderbuch

Neben der Arbeit als Freie:r in Schauspiel und Musik studiert Joyce Theaterwissenschaft und allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft. „Zeitweise habe ich es richtig ernst genommen. Aber meistens habe ich mich auf die Kunst konzentriert.“ Dieses Jahr beendet Joyce den Bachelor. Was danach kommt, ist noch unklar. Reisen, Schauspiel oder neue und aktuelle Projekte weiterführen. 

Ein Herzensprojekt ist jedenfalls das Kinderbuch, an welchem Joyce seit einigen Jahren arbeitet. „Dafür brauche ich aber richtig Ruhe.“ Dann geht es auch mal zu der Tante und den Schafen auf den Hof. In dem Buch möchte Joyce die Absurdität der Umweltzerstörung aufweisen. Dabei kämpft ein Pilzkind gegen die zerstörerische Zivilisation. „Pilze sind sehr omnipräsent in meinem Leben, weil ich interessant finde, wie sie alles zusammenhalten. Sie sind dafür verantwortlich, dass Leben entsteht, und verarbeiten auch Totes zu Leben.“

„Als Kinder sind wir alle irgendwie Künstler:innen.“

Die Liebe für Kunst und Musik entdeckte Joyce schon in der Kindheit. Aufgewachsen im dörflichen Ehrstädt in Baden-Württemberg, mit zwei Schwestern und den Eltern, gab es viel Freiraum. „Ich bin sehr privilegiert aufgewachsen. Dafür bin ich auch richtig dankbar.“ In der Kindheit konnte Joyce alles ausprobieren. Schlagzeug, Schauspiel, Schreiben. Etwas Bestimmtes zu erreichen, war aber Nebensache.

Das Schauspielern begann Joyce in der Grundschule mit dem Stück „The wild swan”. Danach vergingen Jahre, in denen Joyce die Kunst aus den Augen verlor. „Doch die Samen, die ich in der Kindheit gesät habe, haben hier in Bochum Früchte getragen.“ Der Weg zurück zur Musik gelang durch Jamsessions. Mit zitternden Beinen saß Joyce dann wieder am Drumset. „Da habe ich wieder richtig Blut geleckt.“ Darauf folgten viele weitere Jamsessions. Joyce entdeckte dabei auch das Singen. 

Seelenheil in der Musik 

Nachts um vier, mit ein paar verbliebenen Menschen. Einfach irgendwas singen, improvisiert, was raus musste, nach den ganzen Jahren ohne Musik. „Meine Mutter hat mal gesagt, dass ich die Musik brauche für mein Seelenheil.“ Joyce spielt mal hier, mal da. Musikalisch mittlerweile im Rap, Soul, Jazz und Punkrock und am liebsten mit „Freundschaftsmenschen“ im Kollektiv – ohne Hierarchien, ohne feste Rollen.

Joyces Wohnung ist nur fünf Minuten vom Friedhof entfernt. Eine Dachgeschosswohnung. Trotzdem ist es angenehm kühl. „Ich habe extra aufgeräumt. Nur den Schreibtisch nicht. Da ist immer Chaos.“ Joyce gießt immer als Erstes die Pflanzen. Das ist ein Ritual. An die sechs stehen allein in der Küche. Dazu eine Couch, ein kleiner Tisch, zwei Stühle. 

Wer hier zu Besuch kommt, kriegt grünen Tee wahlweise mit oder ohne Hafermilch serviert. Die Wände der Küche sind selbst bemalt. Große Bäume mit getupften Blättern in Orange und Rosa. Joyce ist gerne kreativ und gestaltet die eigene Wohnung um. Eine selbst konzipierte Aufnahmekabine im Schrank, bemalte Bilder, Vorhänge, die von der Decke hängen. Die verschiedenen Interessen spiegeln sich in jeder Ecke der Wohnung wider. 

„Ich will nicht an großen Häusern spielen, ich will auf die Kacke hauen.“

Das kollektive Arbeiten entdeckte Joyce erst in den letzten Jahren. Davor liegen jahrelange Vorsprechen an großen Schauspielschulen. „Ich dachte, wenn ich Schauspieler:in werden möchte, ist das der einzige Weg.“ Immer wieder schaffte es Joyce in die letzten Runden der Auswahlverfahren. „Dann nicht genommen zu werden, ist besonders schmerzhaft.“ 

Heute ist Joyce froh, diesen Weg nicht gegangen zu sein. „Ich will nicht an großen Häusern spielen, ich will auf die Kacke hauen.“ Die Denkweise und die Vorsprechen hat Joyce irgendwann losgelassen, lässt die Dinge nun auf sich zukommen und vertraut sich selbst.

Joyce wirkt ruhig, ausgeglichen, lacht viel. Aber die Wut ist eine große Inspiration. „Ich freue mich tatsächlich, wenn ich wütend bin, weil ich das so lange unterdrückt habe.“ Die Wut entdeckte Joyce erst richtig beim Verkörpern einer wütenden Rolle. „Wut ist etwas Aktives und das Aktive wandle ich gerne in Kunst um.“ Wütend auf etwas sein zu können, wie ein System, sei auch ein gewisser Trost.

Zwischen Technomusik und Maleranzügen 

Die Systemkritik findet sich auch in den Performances des Künstler:in. „Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern wir stellen eher dar, wie wir uns in diesem System fühlen.“ Als Unfug-Kollektiv, mit Freundesmensch Katarina Fröhlich, hat Joyce 2021 im Rahmen der Bobiennale eine Schaufenster-Performance namens „BÄM BÄM BÄM“ organisiert. „Wir waren Performer:innen, Regie, Autor:innen – alles gleichzeitig sozusagen und haben alles zusammen entschieden.“ 

Im Vordergrund des Schaufensters liefen leuchtende Leinwände und Bildschirme mit bunter Werbung und Videospielen, Joyce und Kathi schleppten in Maleranzügen Sand von Eimer zu Eimer und Technomusik untermalte die Situation. Acht Stunden lief die Performance im Loop. „Eine absurde Tätigkeit, die an nichts Bestimmtes erinnern sollte, nur an Arbeit irgendwie. Aber die Arbeit verschwand hinter den Bildschirmen und dem ganzen Konsumgeschrei. Sie war zwar da, aber auch irgendwie nicht.“ 

Für dieses und die nächsten Jahre plant das Kollektiv, mit weiteren Performances „etwas aus den Fugen zu bringen“. Geplant ist noch mehr Menschen in die Projekte zu integrieren. Thematisch soll es dann zusätzlich um Rassismus, Diskriminierung und Privilegien gehen.

Die „BÄM BÄM BÄM“ wird auf dem Zeitzeug Festival 20. – 23.Oktober 2022 noch einmal zu sehen sein. Dort ist Joyce live zu sehen.

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