Poetin Lisa Brück: „Auf Videos habe ich niemanden gesehen, der so aussah wie ich”

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Lisa Brücks Texte sind oft kritisch und politisch, doch bleiben sie immer poetisch. Die Duisburgerin kämpft für mehr Sichtbarkeit von BIPOC-Künstler:innen in der mehrheitlich weißen Slam-Szene. Wie sie diese Strukturen in der Szene aufbrechen will, erzählt sie im STROBO Interview.

STROBO: Lisa, du bist in Duisburg geboren und aufgewachsen. Welche Poesie steckt in der Stadt?

Lisa Brück: Wenn man Duisburg betrachtet, ist es eine ehrliche, taffe Stadt mit Ecken und Kanten.

STROBO: Wo findest du dort Inspiration?

Lisa Brück: Inspiration bekomme ich also viel durch Unterwegs sein. Ich fahre oft 20-30 Minuten Bahn. Da schreibe ich viel während der Bahnfahrten. Außerdem gehe ich gern an der Sechsseenplatte spazieren. 

STROBO: Wann hast du angefangen, Dinge aufzuschreiben?

Lisa Brück: Ich war immer die Nerdige, die im Unterricht heimlich Bücher gelesen hat, anstatt am Handy zu sitzen. Irgendwann habe ich dann angefangen, Kurzgeschichten zu schreiben. Mein Traum war es schon immer, ein Buch zu veröffentlichen. Zum lyrischen Schreiben bin ich 2014 gekommen. Ab da haben sich dann Worte gereimt.

STROBO:Inside

Lisa Brück ist 22 Jahre alt und lebt in ihrer Heimat Duisburg. Sie studiert Soziale Arbeit in Essen und ist seit 2018 als Poetin auf verschiedenen Bühnen und Plattformen unterwegs. Ihre Text sind oftmals sehr ehrlich, kritisch, nicht selten politisch und trotzdem poetisch.

STROBO: Welche Wirkung hatte das Schreiben für dich, bevor du den Schritt auf die Bühne gewagt hast?

Lisa Brück: Schreiben ist für mich immer sehr therapeutisch gewesen. Bevor ich aufgetreten bin, hatten alle meine Texte, den Sinn und Zweck, Dinge zu verarbeiten und Dinge abzuschließen. Oft schreibe ich gerne, um Themen aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Man sagt immer: Wenn man tief in einer Sache drinsteckt, sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Schreiben ist ein Werkzeug für mich, um rauszuzoomen und meine Gefühle besser einordnen zu können.

STROBO: Welche Entwicklung haben deine Texte vollzogen? Welche Unterschiede gibt es zur Lisa als Schülerin und zur Lisa, die heute schreibt?

Lisa Brück: Ich habe viel leichter, viel oberflächlicher geschrieben. Abgesehen von meiner Kindheit, handelten meine Texte über Liebe und Schwärmereien – also klassische Jugendthemen. Je mehr ich mir bewusst über mein Leben und meine Hautfarbe geworden bin, desto ernster wurde ich. Mittlerweile sehe ich es als Auftrag, ernste Themen anzusprechen und meine Stimme zu nutzen.

STROBO: Wann und wie hast du gemerkt, dass du deine Texte einer breiteren Öffentlichkeit zeigen möchtest?

Lisa Brück: Es ist ein bisschen verrufen, aber ich habe damals einen Text von Julia Engelmann gehört, bei dem ich mir sofort dachte: Das möchte ich auch machen. Damals habe ich schon geschrieben, aber mich nie getraut. Irgendwann meinte eine Freundin zu mir: „Ey Lisa, du musst auf die Bühne.“ Also habe ich nach Bühnen gesucht.

STROBO: Das Format Poetry Slam ist ein recht junges. Miedya Mahmod hat mal gesagt, dass der Einstieg niedrigschwellig ist. Hast du das auch so empfunden?

Lisa Brück: Auf der einen Seite ist Poetry Slam sehr offen. Du kannst theoretisch machen, was du möchtest – egal ob Lyrik wie ich, Kurzgeschichten, oder wie Felix Lobrecht früher Comedy. Auf der anderen Seite habe ich es so wahrgenommen, dass die Szene sehr weiß war. Auf Videos habe ich niemanden gesehen, der so aussah wie ich. Das hat mich abgeschreckt.

Zum Teil werden überall dieselben Leute eingeladen, weswegen es schwierig ist, in die Strukturen hereinzukommen. Da muss erst sehr viel von einem selbst kommen, bevor die Szene dir etwas zurückgibt.

STROBO: Hast du dich herausgefordert gefühlt, in weißen Räumen aufzutreten?

Lisa Brück: Am Anfang wollte ich erst einmal meinen Text vortragen. Doch dann wollte ich für mich sehen, wie weit ich gehen kann. Viele meinten zu mir „Das Angebot von BIPOC-Künstler:innen ist nicht so da“ und ich dachte mir: Wie soll das denn auch da sein, wenn sich niemand repräsentiert fühlt? Das ist ähnlich wie bei Disney-Filmen. Dort gab es keine Schwarze Prinzessin. Deswegen dachte ich auch nie, dass ich auch Prinzessin werden könnte. Einerseits müssen oder dürfen junge BIPOC Künstler:innen den Anspruch auf die Bühne erheben, aber andererseits müssen da auch viel mehr Angebote geschaffen werden.

STROBO: In deinen Texten siehst du dich immer als Teil der Gesellschaft, nicht als jemand, der über die Gesellschaft schreibt. Verarbeitest du eher oder klagst du an?

Lisa Brück: Das ist so eine Mischung aus beidem. „Sag mir weißer Mann“ zum Beispiel ist ein Anklage-Text. Da haben mich Menschen gefragt, wieso ich anklagen würde. Das würde keine Veränderungen anstreben. Ich sage: Man muss wirklich schlimme Dinge Leuten zuerst vor Augen halten, damit daraus Veränderung entsteht. 

Natürlich verarbeite ich auch Situationen durch meine Texte. Manche Situationen kann man aber nicht verarbeiten, weil sie sich wiederholen. Ich bin eine Schwarze Frau. Ich bin sowohl von Rassismus als auch von Sexismus betroffen. Das kann man nicht vollends aufarbeiten, weil das immer hochkommt. Solche Themen werden immer wieder neu gedacht und gefühlt.

STROBO: In „Alle“ geht es um Deutschrap MeToo, ein sehr aktuelles Thema, das viel diskutiert wurde. Welche Bedeutung haben aktuelle Aufhänger für dich und dein Schreiben? Kultur Ruhrgebiet

Lisa Brück: Es gibt jeden Tag etwas, worüber ich schreiben könnte. Das ist auch manchmal schwierig, weil es ja auch nicht meine Aufgabe ist, über jede schlimme Sache zu berichten. Manchmal schaue ich auch keine Nachrichten und mache eine Pause, weil ich merke, dass mich das sonst erdrücken würde.

Bei „Alle“ war es mir aber wichtig, meine Gedanken auszusprechen. Es hat nicht nur mich, sondern auch mein Umfeld beschäftigt. Es ist ein Text, der aus vielen Gesprächen entstanden ist und nicht nur meine, sondern auch die Einflüsse meines Umfelds beinhaltet. Hier klage ich zum Beispiel auch mich selbst an – als Teil einer Gesellschaft, die nicht selten wegschaut, wenn es unbequem wird.

STROBO: Setzt sich das unter Druck, dass du eigentlich jeden Tag einen Text schreiben könntest?

Lisa Brück: Manche Leute schreiben mir und fragen mich: „Kannst du darüber schreiben?“, „Hast du das von den Uiguren gehört?“, „Wir machen ein Demo zu Kuba. Kannst du da auftreten?“. Da muss ich auch oft absagen, weil ich nicht immer persönlich betroffen bin. Da gibt es andere Leute, die betroffen sind und die mehr zum Thema zu sagen haben. Es hat sich einiges verändert, seit ich nicht mehr nur für mich schreibe und das setzt mich unter Druck.

STROBO: Gerade während Corona wurden gesellschaftliche Diskussionen im Internet geführt. Das kulturelle Leben hat sich ins Digitale verlagert. Wie hast du die Zeit erlebt? Kultur Ruhrgebiet

Lisa Brück: Einerseits war die Zeit sehr lehrreich, weil ich das Gefühl hatte, dass ich davor durch das Leben gerauscht bin. Ich habe mir zu viel auf einmal vorgenommen. Corona hat dafür gesorgt, dass ich ein bisschen herunter gekommen bin. und mich und meine Kunst auch noch einmal anders betrachten konnte.

Andererseits hat mich die Zeit mehr ins Internet gebracht. Davon habe ich mich zwischenzeitlich aber immer wieder versucht, zu distanzieren. So viele Einflüsse sind nicht gut für die eigene Kreativität. Es ist auch dort noch einmal schwieriger, nicht immer im Hinterkopf zu haben, was jemand dazu sagen könnte. Ich gebe Leuten viel mehr die Chance, mich zu kritisieren, weil meine Wort im Internet permanent sind.

STROBO: Wie war dein erster analoge Auftritt nach der langen Zeit? Kultur Ruhrgebiet

Lisa Brück: Ich bin auch bei digitalen Formaten aufgetreten, aber das ist etwas ganz anderes. Dieses Gefühl, wenn man auf die Bühne tritt, einmal tief durchatmet und weiß „Jetzt geht’s los“ ist unbezahlbar.

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