Kids aus’m Pott: Hip-Hop-Crew OTPendia im Portrait

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Als OTPendia veröffentlichen die Artists OT, Cany75 und Bella Bazz am 08. September ihr erstes Mixtape „Kids aus’m Pott“. STROBO erzählen die drei Freunde von dem Gemeinschaftsgedanken und der Mentalität hinter ihrer Musik, mit der sie das Ruhrgebiet representen wollen. 

Roter Backstein, alte Fassaden und teils zerschlagene Fenster – der Anblick des langgezogenen Baus auf dem Zechengelände Lohberg in Dinslaken täuscht. Die ehemalige Zechenwerkstatt ist mittlerweile eine Eventhalle. Durch verstaubte Gänge und über Gitterrosttreppen gelangt man außerdem ins komplett renovierte Studio der Hip-Hop-Crew OTPendia. Hier arbeiten OT, Cany75 und Bella Bazz ständig an neuen Tracks. Ihr aktuellstes Projekt ist das Mixtape „Kids aus’m Pott“, inspiriert von ihrer Heimat Dinslaken. Noch mehr als den Sound selbst repräsentiert ihre Lieder die Art, wie sie leben, sich fühlen und Musik produzieren. 

OT, Bella Bazz und Cany75 releasen als OTPendia ihr Mixtape „Kids aus’m Pott“. Foto: Luis Frederik.

Ihr Kellerstudio als Safe Space

Vor ein paar Jahren fängt OT aka Tim an, auf Free-Youtube Beats zu freestylen. Er gibt sich damit aber nicht zufrieden: „Ich dachte, das muss doch noch krasser gehen.“ Zu seinem Glück ist sein Onkel Tontechniker und leiht ihm passendes Equipment. Bei den anderen beiden von OTPendia, Cany75 aka Melik und Bella Bazz aka Joris, läuft es ähnlich ab – nur eben ohne Tontechniker in der Familie. Tims Zuhause spricht sich als Treffpunkt zum Musikmachen herum. „Irgendwann kamen auch Leute von außen aus unserer Stadt zum Aufnehmen, bis wir irgendwann acht bis 10 Leute in meinem Kinderzimmer waren. Meine Eltern meinten, so geht das nicht weiter“, erzählt er. Die Lösung: Ein Kellerraum wird zum neuen Sammelpunkt. 

Hier haben die drei sich immer wieder zusammengefunden und Musik ohne Ende produziert – aus Spaß und Langeweile: „Wir haben jeden Tag drei Tracks gemacht, weil wir nichts anderes zu tun hatten“. Der Keller wird zu einem extrem wichtigen Safe Space während des Lockdowns, erzählt Melik: „Da war alles scheiße, da ging nichts. Aber im Studio war immer diese Wohlfühlzone und gute Stimmung.“ 

OTPendia: „Scheiß mal drauf, ob’s anstrengend ist und scheiß mal auf’s Geld.“

Durch die ständige Zeit miteinander und mit Musikmachen wird die Freundschaft zwischen ihnen immer enger. Und nicht nur das: Innerhalb von vier, fünf Monaten machen sie riesige Fortschritte. Sie verschicken ihre Tracks an Freund:innen und merken bald: Das wird richtig gefeiert. Der Einfachheit wegen wollen sie die Songs für ihre Feund:innen auf Streamingplattformen releasen. Dafür fehlt allerdings noch ein Künstlername. Sie wollen mit reinbringen, was sie und ihren Sound ausmacht und kommen auf OTPendia. Denn das verbindet alles Wichtige: Den Künstlernamen OT, weil eben alles in seinem Kellerstudio stattfindet und alles, wofür dieser Wohlfühlspace steht. Vor allem eine Art Utopie und Independence.  

Unter OTPendia zählen die drei Artists nicht nur sich allein, sondern den engen Kreis an Menschen, die absolut hinter dem Projekt stehen: „Das alles ist nur entstanden, weil wir wirklich Bock drauf haben. Scheiß mal drauf, ob’s anstrengend ist und scheiß mal auf’s Geld.“ Jasper macht die Musikvideos und fotografiert, Emre das Management – und alle kennen sich untereinander von irgendwo her schon. Deals und Zusammenarbeiten werden auch gerne mal um halb vier morgens auf Hausparties beschlossen. Für OTPendia irgendwie normal: „Das ist halt dieses typische Ruhrpott-Ding, dass sich alle kennen und connecten. Vor allem auch in dieser Kleinstadt Dinslaken.“ Das Projekt OTPendia ist entstanden aus Zufällen und Planung, Glück und Arbeit. „Ich würde sagen, organisch“, findet Melik, „es hat einfach alles perfekt ineinandergepasst“.

OTPendias Ruhrpott-Spirit auf einem Mixtape

Den Gemeinschaftssinn und Spirit von OTPendia, das wollen die Jungs aus dem Pott mit ihrer Musik rüberbringen. Und zwar mit dem neuen Mixtape „Kids aus’m Pott“ aus Tracks der letzten zwei Jahre plus zwei bisher unreleaste Songs. Die Zusammenstellung zeigt genau, wer sie sind und wo sie herkommen. „Wie eine Biographie unserer Musik“, erklärt Joris, „die Musik, die man macht, entsteht ja immer aus dem, was man erlebt und wo man sich am meisten aufhält – und bei uns ist das eben das Ruhrgebiet.“ 

Jeder der drei Artists von OTPendia bringt seinen individuellen Ansatz zur Musik mit. Damit machen sie zusammen ihren ganz eigenen Sound. Was sich durchzieht, ist das Familiäre, die Freund:innen und Geschichten, das Ruhrgebietsfeeling. „Wir haben uns auf kein Genre oder so geeinigt“, meinen OTPendia, „man kann zwar schon sagen, es sind überall Rap-Elemente mit drin, aber irgendwie ist das auch Einschätzungssache. Wenn wir Menschen Ü30 unsere Musik zeigen, sagen die: ‚Das ist kein Rap. Das ist kein Hip-Hop.‘“ Tims Einschätzung zum Thema Genre: „Ich glaube, Leute, die OTPendia hören, hören auch Ski Aggu, Longus Mongus, BHZ und 01099.“

Die Tracks auf dem Mixtape haben oft bouncige Beats. Mal mit Emo-Rap, mal mit Texten, in denen die Artists sich selbst nicht zu ernst nehmen. Mal emotionaler, mal atzig – ein wilder Mix, bei dem nicht alles zueinander passt. „Wir haben uns gedacht, wir nehmen dieses Durcheinander und machen das zu unserem Ding“, begründen die Musiker das Mixtape. Sie haben sich bewusst gegen ein Album oder eine EP entschieden. „Das alles hat nicht zu unserer Vorstellung gepasst“, meinen OTPendia. Ein Album wäre in nächster Zeit auf jeden Fall zwar drin, braucht aber eine Geschichte, ein Intro, ein Outro – also viel Zeit und Planung. 

Die Single „Kleinstadt“ vom Mixtape ist auf Spotify zu hören und hier auf YouTube zu sehen:

Online – offline

Vor gerade mal gut zwei Jahren haben die drei Jungs aus Dinslaken realisiert: „Da geht richtig was mit der Musik. Das feiern auch Leute außerhalb unserer Freundesgruppe.“ Im November 2021 sind sie mit ihrem Lied „Rasselbande“ auf TikTok viral gegangen – ihr erster gemeinsamer Release. „Joris hat mir bei Snapchat ein Video geschickt, wie er eine Hook rappt und ich hab ihm sofort gesagt, er soll herkommen und wir nehmen das schnell auf. Eigentlich nur so als Joke“, erzählt Tim, „als wir das Leuten gezeigt haben, meinten die: ‚Jungs, das ist total geil, ein unnormaler Ohrwurm‘“.

Ohne wirkliche Hintergedanken laden OTPendia den Song bei TikTok hoch. Am nächsten Morgen in der Schule merken sie auf einmal: „Man refresht und refresht und es kommen immer tausende Views dazu.“ Am Abend war das TikTok schon bei über 100.000 Aufrufen. „Wir haben auf einmal gecheckt, Leute interessieren sich für uns. Das ist ja ein Riesenkompliment, dass Leute das sehen und feiern“, findet Joris, „das sind Leute, die sich damit nicht auseinander setzen müssen, aber Bock drauf haben.“

Davor hatten die Künstler gar nichts TikTok zu tun. Tim zum Beispiel hatte vor zwei, drei Jahren noch seine „Ich habe mit Social Media nichts zu tun und bin nicht erreichbar“-Phase. Das heißt: keine Internetflat, kein Wlan im Kellerstudio. „Wenn man Tim geschrieben hat und es war nur ein Haken, wusste man: ‚Okay, der ist grad im Keller was aufnehmen‘ und konnte einfach vorbeigehen“, erzählen die beiden anderen. Ihre Songs vom Keller aus zu spreaden, in dem es kein Internet gibt, das ist etwas komplizierter. Einer steht dann am Kellerfenster, sucht Empfang und gibt einen Hotspot, um die Dateien zu verschicken.

Musik zur Priorität Nummer eins machen

Mit dem Erfolg auf TikTok bahnt sich die Erkenntnis an: „Wir haben schon viel Mucke gemacht, aber nicht releast. Damit können wir das jetzt richtig aufziehen und professionalisieren.“ Dazu passt allerdings das Kellerstudio nicht mehr, denn so viel Freiheit der Wohlfühlspace zwar gebracht hat – ab 21 Uhr herrscht Nachtruhe. Musikmachen geht dann nur noch leise und mit Kopfhörern. Sonst beschweren sich die Nachbar:innen. Mit Emres Hilfe suchen sie nach einem Ort, an dem sie laut sein können. 

Die Räume in der Zeche Lohberg in Dinslaken sind dafür absolut perfekt. Aber erst, nachdem OTPendia sie zusammen mit Freund:innen von Grund auf renoviert haben. „Die Aufnahmekabine – da waren früher die Duschen von den Leuten, die hier gearbeitet haben. Da mussten wir noch die ganzen Fliesen rauskloppen. Und wo der Laptop jetzt steht, war die Toilette“, erinnern sich die Dinslakener.

Neben dem neuen Studio haben OTPendia mittlerweile auch einen Plattenvertrag. Mit der professionellen Unterstützung kommt die Crew im letzten Jahr an eine Aboveground Session in Berlin. „Da haben wir das Gefühl bekommen, das könnte irgendwann mal unser Beruf sein“, meint Melik. Zu dem Zeitpunkt stecken er und Tim mitten in den Abiprüfungen, schreiben einen Tag nach der Session in Berlin ihre Klausur in Dinslaken. Für alle drei steht fest, dass Musik nach dem Abi jetzt ihre Priorität Nummer eins ist. Trotzdem gesteht Joris ein: „Ich habe Schwierigkeiten damit, komplett auf die Musik zu setzen, weil ich nicht auf die Fresse fallen will. Es versuchen so viele andere Leute. Aber man muss auch an den Punkt kommen, an dem man es durchzieht. Sonst vergibt man seine Chance.“

Die Jungs von OTPendia kommen aus der Kleinstadt Dinslaken. Foto: Luis Frederik.

OTPendia: „Es ist unser Ziel, dass Leute unseren Film checken.“

Die Musik durchziehen – das bedeutet für OTPendia nicht, möglichst viel Geld zu verdienen. Im Moment ist ihr Anspruch, das eingenommene Geld wieder in die Musik, in das Equipment und weitere Projekte zu stecken. Hauptsache weitermachen.

Sie wissen aus ihrem eigenen Konsumverhalten, wie schnelllebig Musik sein kann. „Man kennt oft die Menschen und ihre Geschichte hinter der Musik gar nicht“, finden OTPendia, „deshalb ist unser Ziel, dass die Leute uns als Menschen und als Künstler kennenlernen und unseren Film checken.“ Sie sehen TikTok als Privileg ihrer Generation. Denn die Eintrittsbarriere ist nicht hoch und mit wenig Aufwand lässt sich mit Glück eine riesige Reichweite erzielen. Aber: „Wenn das Lied, das Produkt nicht gut ist, dann hilft dir auch kein Glück mehr. Das will sich dann niemand anhören.“ 

Joris stellt klar: „Für uns ist nicht wichtig, ob ein Release krass viele Views kriegt, sondern dass man darüber zeigen kann, wie man drauf ist und was man verkörpert.“ In OTPendias Fall ist das die Art, wie sie gemeinschaftlich an ihrer Musik arbeiten. Sie machen ihren Sound nicht für den Ruhrpott, sondern representen ihn damit. Denn eine Sache stört OTPendia: „Dass es im Pott noch keine Community für unsere Art von Musik gibt. Gerade kommt man noch nicht daran vorbei, nach Berlin zu gehen und sich da zu connecten.“ Sie sind überzeugt davon, dass das Potenzial dafür, eine ähnliche Bubble aufzubauen, auch im Ruhrgebiet steckt – und wollen genau daran ansetzen mit ihrem Mixtape.

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