„Ich bin immer das, was ich gerade denke“ – Ein Porträt über die Literatin Miedya Mahmod

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Die Bochumerin Miedya Mahmod macht postmoderne Lyrik für junge und „erwachsene“ Menschen. In ihren Gedichten verarbeitet sie psychische Krankheiten, Rassismus-Erfahrungen und vermeintlich kleine Situationen des Alltags. In der STROBO:Story stellen wir euch Miedya vor.

Poesie, sprachverdichtete Texte in Versform, ist eine künstlerischere Ausdrucksform, die viele nur mit der Gedichtanalyse im Deutschunterricht oder mit verstaubten Lyrikabenden gut situierter alter Menschen verbinden. Lyrik ist nicht wirklich „cool“ oder „angesagt“. Miedya Mahmod allerdings, 23 Jahre alt und aus Bochum, macht Lyrik für ein junges Publikum wieder erfahrbar. Mit ihrem unkonventionellen Stil hat sie so viel Erfolg, dass der etablierte Literaturbetrieb auf sie aufmerksam wurde, sie einlädt und auszeichnet – eben, weil sie in kein Korsett einer literarischen Schule passt. Dabei wollte sie nie Autorin sein, oder um es in ihren Worten zu sagen: „Ich bin immer das, was ich gerade denke.“  

Miedya Mahmod: Jugend und Resignation

In den stilistisch vielschichtigen Texten verarbeitet sie ihre eigenen Erfahrungen, die wie Narben für gesamtgesellschaftliches Versagen stehen. Mit Sprachwitz, überwältigender Ernsthaftigkeit und der beeindruckenden Fähigkeit, beim Lesen und Hören ihrer Texte mit Nachdruck aufgerüttelt zu werden, geht es um Gefühle und Psyche, Rassismus und Sexualität, Strukturen und Organisationen. Alles Schlagwörter, die viele mit Meinung, doch nur wenige mit Erfahrung füllen können.

„Es ist damals niemand auf die Idee gekommen, dass es mir nicht gut gehen könnte. Denn die Leistungen haben ja gestimmt.“

Miedya Mahmod

Miedya kann das auf extreme Art und Weise und tut dies auch auf der Bühne. Da wäre zum Beispiel die Beziehung zu ihren Eltern, die aus dem Irak nach Deutschland gekommen sind und viel arbeiteten, damit es ihr und ihrem Bruder einmal besser geht, oder ihre Hoffnung in und die Resignation vor dem Hagener Jugendamt. „Es ist damals niemand auf die Idee gekommen, dass es mir nicht gut gehen könnte. Denn die Leistungen haben ja gestimmt“, reflektiert sie heute.

Das Leben mit Label, Quoten und wie es Kultureinrichtungen besser machen können

All diese Erfahrungen sind Teil von Miedya. Kreatives Schreiben gibt ihr das Werkzeug, die Vergangenheit zu verarbeiten: „Ich beschäftige mich viel mit Identität, mentalen Erkrankungen, aber wenn es mir doch die Möglichkeit gibt, wer wäre ich, das nicht zu nutzen?“ Zudem bezieht sie gegen jedes Label offensiv Stellung: „Ich will mir nicht auf die Fahne schreiben, dass ich migrantisch bin. Ich will mir auf die Fahne schreiben, dass ich auch eine Künstlerin bin. Es ist nicht mein fucking unique selling point, aber ich habe das Gefühl, viele Menschen wollen daraus meinen unique selling point machen.“ Am liebsten wäre sie einfach nur Mensch.

Doch nicht so offene Kulturbetriebe?

Doch auch im sich nach außen hin weltoffen gebenden Kunstbetrieb, wird sie, wie viele andere Künstler:innen mit Migrationshintergrund das Gefühl nicht los, wegen einer Quote eingeladen zu werden: „Ich erhebe den Anspruch, aber ich habe nicht mehr die Erwartung, dass ich irgendwann ein Mensch bin für Menschen.“ Es ist und bleibt ein Dilemma – nicht eingeladen zu werden, erzeugt das Gefühl von Missachtung durch den weißen Kulturbetrieb, doch eingeladen zu werden als „Quotenfrau“, einen weltoffenen Kulturbetrieb vor- und darzustellen.

Doch gibt es auch Gegenentwürfe für Line-Ups, wie zum Beispiel das 100pro-Festival: Ein postmigrantisches Festival im Mülheimer Ringlockschuppen, dass Miedya moderiert hat und ohne weiße Protagonist:innen ausgekommen ist. Mit „Deutschland schön reden“ arbeitet sie aktuell an einer eigenen Formatidee, in dem sie nach dem Motto „Trick the Whities“ ebenfalls nur BIPOC-Menschen (BIPOC: Black and Indigenious People of Colour) zu Wort kommen lassen möchte: „Ich wünsche mir viel öfter Formate, in denen ich sowohl meine Kunst vortragen kann, als auch thematisieren darf, dass ich mit einer Unsicherheit auf die Bühne gehe, weil es ein weißer Raum ist und ich mit weißen Blicken konfrontiert werde.“

Durch Zufall und Poetry Slam auf die Bühne gekommen

Literatin Miedya Mahmod. Foto: Ole Meier.

Wie viele jungen Literat:innen, ist Miedya über Poetry Slam zur Lyrik gekommen – und das auch nur, weil sie bei einem Workshop ihres Freundes Cem Bozdoğan im Düsseldorfer Zakk die Liste mit ihrer Unterschrift füllen wollte. Dort lernte sie den Slammer Jay Nightwind kennen und stand selber das erste Mal auf einer Bühne. Der Poetry Slam ermöglichte ihr den Eintritt in eine vollkommen neue Szene, die ihr plötzlich Bestätigung für ihre Lyrik schenkte.

Sie lernte Deutschland ebenso wie jede Menge Gleichgesinnte kennen und landet prompt im U20 NRW Slam-Finale. Ihren Erfolg spielt sie aber herunter: „Es ist nur Poetry-Slam!“. Dabei ordnet sie sich auch dem Format unter: „Die Slamer:innen sind nicht das, was dieses Format groß gemacht hat. Das Format ist das, was dieses Format groß gemacht hat. Es steht über allen Dingen, alle gehen wegen Slam zum Slam.“ Das einzige was sie mit ihren Slam-Texten bewirken möchte: Inspiration.

„Richtig Hardcore-Weirde-Postmoderne Lyrik“ beim Treffen junger Autor:nnen

Nichtsdestotrotz war und ist der Poetry Slam der Türöffner für ihre Literatur-Karriere, die eigentlich keine sein soll, und dennoch ihren Weg nimmt. Sie reichte nach der Deadline beim Treffen junger Autor:innen des Festspielhauses ihre Texte ein, „Richtig Hardcore-Weirde-Postmoderne Lyrik“, und wurde ausgezeichnet. „Ich habe diese super sensible, sehr nah an meinen Emotionen liegende Seite, aber bei vielen Dingen bin ich auch hart rational. Ich versuche voneinander zu trennen, Gefühl, Konstrukt oder Logik. Beim Schreiben weiß ich nicht, was mich bewegt, so zu denken.“ Gegen die Festschreibung auf „Postmoderne Lyrik“ arbeitet sie mit Projekten an, die sie in ihrem eigenen Netzwerk schafft – wie das Literatur-Magazin „Lytter“, eine Sammlung aus poetischen Tweets. In der Verweigerung von stillstellenden Bezeichnungen schafft sie sich so eine große künstlerische Freiheit.

„Eigentlich würde ich mich als Wissenschaftlerin sehen. Das ist mein Traum.“

Miedya Mahmod

Fluide Ausdrucksformen – kein Werk, sondern Slam, Tweets und Captions

So kann sie ihre Ausdrucksformen ständig ändern. Mal ist es ein Slam-Text, mal ein Gedicht. Es können aber auch Tweets oder poetische Instagram-Captions sein, über die sie „kleine Dots ins Universum streut und kleine literarische Fingerprints im Universum hinterlässt.“

Lyrik im 21. Jahrhundert ist nicht mehr gedrucktes Werk und zwischen zwei Buchdeckeln. Sie entsteht in unmittelbarem, digitalem Publizieren – frei von üblichen stilistischen Formen: „Ich habe nicht eine Sache, an der ich krass lange arbeite. Ich bin dankbar dafür, dass es so viele merkwürdige Orte im Internet gibt, um Gedanken rauszuschmeißen, damit der Kopf frei ist.“ Inspiration findet Miedya dabei im Beobachten, in der Begegnung, in der Tiefe unspektakulärer Situationen, in denen zugleich Großes passiert – wie als ihr die Mutter ein 10×10 Pack Kondome schenkt. 

Wie sie arbeitet, weiß nicht einmal Miedya selbst

Doch wie genau @socialmiedya, wie sich Miedya bei Twitter nennt, das leere Blatt füllt, weiß sie auch selbst nicht so recht: „So wie ich denke ist selten A B C D. So wie ich denke, ist so als würde eine Person das ganze Alphabet auf einmal sagen“, und führt aus: „Wenn ich versuche, mir meiner eigenen Gedanken bewusst zu werden, ist es so, als würde ich in einen Nebel treten und vor mir her greifen. Und wenn ich Glück habe, erwische ich einen Gedanken und kann versuchen, ihn manifest zu machen. Sehr oft bleibt es jedoch gasförmig.“

Wie also ihre Texte entstehen, bleibt auch für sie ein Geheimnis und angesichts der Themen ein ständiger Kraftakt, in dem monatelang die Seiten weiß bleiben, bis es aus ihr heraussprudelt. „Ich beschäftige mich sehr ungern damit, wie ich schreibe. Ich ertrage es kaum, mir andere Werke anzusehen, weil ich Angst vor dem Kopieren habe. Was ist, wenn ich danach nie wieder einen Stift anfassen kann, weil ich mich unwürdig fühle? Deswegen meide ich sehr viel direkte Konfrontationen mit ähnlichen Sachen.“ Diese Unvoreingenommenheit ist der Kern ihres Schaffens, die sie sich immer bewahren möchte.

Literatin der Gegenwart, Wissenschaftlerin der Zukunft?

Miedya Mahmod ist vieles: Lyrikerin, Slamerin, Aktivistin, manchmal auch Vorkämpferin. Das prägt ihren Stil und führt sie auf viele Bühnen – mal in der Subkultur, wenn Tweets und Instagram-Captions zu poetischen Pausen in der digitalen Welt werden, mal in der Hochkultur, wo Bund und Land Veranstaltungen finanzieren.

Sie nimmt kein Blatt vor dem Mund, spricht bei Demonstrationen, will Emotionen wieder groß machen. Sie ist, was sie gerade denkt und möchte dennoch ganz wo anders hin: „Eigentlich würde ich mich als Wissenschaftlerin sehen. Das ist mein Traum.“

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