Sebastian23, was hat Poetry Slam eigentlich mit Hip-Hop zu tun?

Der Bochumer Sebastian23 ist einer der bekanntesten Slam-Poeten Deutschlands. Das gesprochene Wort gefällt ihm auch dann ziemlich gut, wenn ein Beat drunter gelegt ist. Wir haben mit ihm über seine beiden Leidenschaften Poetry Slam und Hip-Hop/Rap sowie ihre Gemeinsamkeiten gesprochen.

STROBO: Sebastian, auf der Lesebühne Unendlich viele Affen, die ihr von Wortlautruhr regelmäßig vor Corona veranstaltet habt, warst du auch öfter für die Musik zuständig und hast regelmäßig Rap gespielt – kann man sagen du bist ein großer Fan des Genres?

Sebastian23: Ja, kann man auf jeden Fall sagen. Und vor allem auch ein alter, denn ich habe vor gut 30 Jahren meine erste Hip-Hop-CD, die älteren erinnern sich noch an CDs, gekauft.

STROBO:Inside

Sebastian23 wurde vor knapp 42 Jahren in Duisburg geboren. In seinen bisherigen Lebensjahren machte er sich einen Namen als bekannter Slam-Poet und Buchautor. Zudem moderiert er diverse Slam-Wettbewerbe und -Veranstaltungen im Ruhrgebiet, unter anderem die monatlich stattfindende Lesebühne Unendlich viele Affen. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Bochum.

STROBO: Was war deine erste Hip-Hop-CD?

Sebastian23: MC Shan, ein gar nicht so wahnsinnig bekannter amerikanischer Rapper. Hip-Hop hat mich eigentlich von Anfang an begeistert, obwohl ich da erst zwölf war oder so. Und seitdem hat es mich nicht verlassen. Auch wenn ich heute keine CDs mehr kaufe.

STROBO: Wie bist du damals auf Rap gestoßen? Es gab ja noch kein Internet. 

Sebastian23: Die Fantas liefen natürlich im deutschen Radio. Wenn man etwas darüber hinaus hören wollte, musste man eher suchen. Bis dann jemand sagte: „Ey, es gibt auch Advanced Chemistry“. Und dann hat man die Unterschiede zwischen Smudo und Torch herausfinden können. Und was amerikanischen und englischen Rap anging, den konnte man damals sehr gut hören über BFBS, den British Forces Brodcasting Service, weil damals noch sehr viel mehr englische Soldaten in NRW stationiert waren. 

STROBO: Hast du auch mal darüber nachgedacht, selbst zu rappen? 

Sebastian23: Also ich habe das mit 18 schon auch mal probiert. Die Sachen, die ich gemacht habe, sind mal aufgenommen worden und dann, wie weite Teile der Hip-Hop-Geschichte der 90er-Jahre, irgendwo auf einem Tape verloren gegangen. Aber das war nicht gut – das kann ich zur Beruhigung sagen. Ich würde jetzt im Nachhinein sagen, dass das definitiv erste Schritte gewesen sind, die dazu geführt haben, wie sich mein Schreiben weiterentwickelt hat. Aber ich war jetzt nicht so ein MC Rene, der schon mit 14 irgendwie hervorragend reimen und rappen konnte. Vor allem war ich auch nicht so selbstbewusst, mich damit auf eine Bühne zu stellen. Das hätte ich mich nicht getraut. 

STROBO: Jetzt traust du es dich aber schon seit einigen Jahren.

Sebastian23: Ja das sind mittlerweile 20 Jahre, die ich auf Slam-Bühnen stehe. Und da läuft man noch deutlich mehr Gefahr, dass die Leute genauer hinhören, was man sagt. Aber das Publikum ist wahrscheinlich freundlicher. (lacht) Wenn man beim Rap-Battle verkackt, dann wird man ausgebuht. Das liegt vielleicht auch daran, dass bei Hip-Hop, gerade bei Battles, das Publikum zu 90 Prozent aus Leuten besteht, die selber denken, dass sie auch Rapper sind.

STROBO: Das ist beim Slam ein bisschen anders?

Sebastian23: Da sind auch sehr viele Leute im Publikum, die selber schreiben, aber es ist glaube ich nochmal eine andere Publikumsstruktur. Das haben wir auch gemerkt, als wir versucht haben, Rap und Slam zusammenzubringen. Ich habe eine Weile lang unter der Bezeichnung „Word!“ eine Veranstaltungsreihe in der Rotunde in Bochum gemacht, bei der immer der halbe Abend aus Slamer:innen bestand und die andere Hälfte aus Leuten aus der Rapszene. Da ist einfach oft die Hälfte des Publikums in der Pause der Veranstaltung gegangen, und andere Leute sind dazugekommen. Das Publikum wurde dann in großen Teilen ausgetauscht. Was natürlich schade war (lacht), weil ich ja gerade die Überschneidungen zwischen diesen Kunstformen so gut fand.

STROBO: Was sind denn die Überschneidungen?

Sebastian23: Es gibt viel mehr als man denkt. Naheliegend ist natürlich, dass Hip-Hop auch eine textlastige Kunstform ist. Keine, die rein auf der Sprache basiert, da kommt eigentlich fast immer ein Beat dazu, aber es geht bei beiden darum, das gesprochene Wort künstlerisch zu gestalten. Nach unterschiedlichen Regeln. Und eine andere Parallele, die vielleicht nicht so offensichtlich ist, zwischen Hip-Hop und Poetry Slam, ist, dass die Szenen strukturell ähnlich sind. 

STROBO: Inwiefern?

Sebastian 23: Das sieht man, wenn man sich zum Beispiel das Lied “KopfSteinPflaster” von RAG aus 1998 anhört. Das fängt mit der Line „Sprengsätze für Fahrtkosten und Pennplätze. Weil ich für solche Anlässe, Trends und das letzte Hemd setze“ an. Das ist natürlich eine Beschreibung der Hip-Hop-Szene zu dieser Zeit, aber es könnte auch eins zu eins von Poetry Slam handeln. Es geht darum, Sprache zu gestalten und dann für Fahrtkosten und Pennplätze, also ohne viel Geld unterwegs zu sein. Einfach weil man Bock hat bei irgendwelchen Shows aufzutreten und als Szene eine gute Zeit zu haben mit dem Publikum. Also das ist einfach das Gleiche. Manche Leute aus der Rapszene dissen aber auch den Poetry Slam. 

RAG

RAG steht in der Rapszene für die Crew “Ruhrpott AG”. Gerade ihr Album “Unter Tage” von 1998 (auf dem auch KopfSteinPflaster ist) machte sie bis heute zu einer der einflussreichsten Rap-Crews im deutschsprachigen Hip-Hop. Rapper wie Jan Delay, Kool Savas oder Marteria haben sich öffentlich als große Fans geäußert. Die Crew bestand aus den Mitgliedern Aphroe, Mr. Wiz, Pahel und Galla. Galla verstarb vor 10 Jahren. Die Crew trennte sich 2003, zwei Jahre nach Veröffentlichung ihres zweiten Albums. Ihre Geschichte wurde in der 2020 erschienenen Dokumentation “We almost lost Bochum” verfilmt.

STROBO: Woher kommt das? 

Sebastian23: Das machen nur Leute, deren Publikum auch weiß, was das ist und eventuell auch mal zu Poetry Slams geht. Oder aber Leute, denen das mittlerweile vielleicht nicht mehr so angenehm ist, dass sie früher mal Poetry Slam gemacht haben. Wie Maeckes oder auch Fatoni, wobei bei Fatoni natürlich immer alles mit der typischen Ironie versehen ist. Ich glaube gar nicht, dass er Poetry Slam komplett scheiße findet. Fatoni ist auch mit Keno von Moop Mama neben frühen Auftritten als Rap-Crew mit Creme Fresh auch viel bei Poetry Slams aufgetreten. Die waren vielleicht 16 als sie das gemacht haben. Die haben den allerersten U20-Poetry-Slam in München zusammen gewonnen.

STROBO: Verträgt sich Hip-Hop einfach generell nicht mit Poetry Slam?

Sebastian23: Das ist eine spannende Frage, weil Poetry Slam und Hip-Hop in den USA zum Beispiel viel näher aneinander dran sind. Da gibt es keine Berührungsängste. Das sieht man auch daran, dass die größte Poetry Slam-Fernsehsendung “Def Poetry Jam” vom Rapper Mos Def moderiert wurde. Da sind auch wahnsinnig viele Leute aus der Hip-Hop-Szene aufgetreten, obwohl klar war, dass es sich um eine Poetry Slam und Spoken Word-Bühne handelt.

STROBO: Noch eine abschließende Frage: Wenn du die Möglichkeit hättest und du zwei Karten für ein Konzert eines Hip-Hop-Künstlers oder einer -Künstlerin deiner Wahl bekommen könntest, egal ob tot oder lebendig: Wen würdest du gerne sehen? 

Sebastian23: Ich muss ja sagen, dass ich mich nach wie vor auf kleinen Jams wohler fühle als auf Riesenveranstaltungen. Natürlich würde ich gerne sehen, was ich in den 90ern verpasst habe: 2Pac oder Advanced Chemistry. Und ich würde gerne nochmal zu Beatz aus der Bude gehen, was ne Reihe von Rap-Sessions war, die in Köln stattgefunden hat. Da war alles neu und es wurde wahnsinnig viel gefreestylt, es kamen auch bekannte Leute. Ich wäre wahnsinnig gerne bei dem Beatz aus der Bude dabei, bei dem KKS (Anm. d. Red.: Kool Savas war früher unter dem Namen King Kool Savas (KKS) bekannt) aufgelaufen ist.

Der hat mit so einer Sprachgewalt das Haus abgerissen. Dazu muss man natürlich sagen, dass da teilweise eine Sprache verwendet wurde, die heute glücklicherweise niemand mehr oder fast niemand mehr nutzt. Da wäre ich gerne dabei gewesen. Aber dazu bräuchte man ein Ticket zurück nach 1996 oder 1997.

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