Words Don’t Come Easy – Zu Besuch bei den Brave New Voices mit Sivan Ben Yishai

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Sivan Ben Yishai ist zu Gast bei Brave New Voices, die Literaturreihe der Ruhrtriennale. Im Gespräch mit der Moderatorin und Autorin Fatima Khan werden Schreibprozesse aufgerollt und Zukunftslandschaften abgebaut. Ob Sivan Ben Yishai ein Komet am Firmament der Literaturlandschaft ist und warum man sich das fragen muss – STROBO-Autorin Anastasia war vor Ort und hat zugehört.

Mit „Brave New Voices“ finden sich internationale Stimmen zeitgenössischer Literatur im breiten Kulturprogramm der diesjährigen Ruhrtriennale ein. In der Jahrhunderthalle in Bochum finden die Talks zur Literaturreihe statt. An diesem Sonntag ist Sivan Ben Yishai zu Gast. Sie ist eine vielfach renommierte Theaterregisseurin und Dramatikerin. Geboren wurde sie 1978 in Tel Aviv, aber sie schreibt nicht auf Hebräisch. Seit 2012 lebt sie in Berlin, aber sie schreibt auch nicht auf Deutsch. Ihr Vertrauen steckt sie in ihre Übersetzerin. Auf ein sprachliches Flanieren käme es ihr nicht an. „Ich bin eine Schriftstellerin, die stottert“, sagt Sivan. 

2023 gewinnt sie den Theaterpreis Berlin. Die Begründung der Jury: Sivan sei „am Firmament des deutschsprachigen Theaters erschienen wie ein Komet“. Es war das erste Mal, dass dieser Preis einer Künstlerin verliehen wurde, die nicht auf Deutsch schreibt. Sivan selbst fragt sich, wie dieser Komet abstürzen wird.

„That’s the thing. Vermutlich werden wir bleiben.“ – Sivan Ben Yishai bei den Brave New Voices

Wenn Sivan redet, fallen immer wieder deutsche Worte in ihren englischen Sätzen. Sie sitzt auf der Bühne mit Fatima Khan und einer „echten german Eiche“, als wäre es ein Bühnenbild von Samuel Beckett. Sivan liest einen Text vor, den sie erst gestern geschrieben hat: „That’s the thing. Vermutlich werden wir bleiben.“ Es ist wie eine Rohfassung, wie ein Ausschnitt aus ihrem nächsten preisgekrönten Theaterstück. Dass sie den Monolog in zwei verschiedenen Sprachen hält, fällt kaum auf. Es wird aber denjenigen vertraut vorkommen, die selbst auch mehrsprachig aufgewachsen sind. In der Verwendung dieser Mischsprache steckt eine Aussage, für die ein Nischenadjektiv nicht gereicht hätte. Sie bringt zum Ausdruck, welche Entkörperlichung in einer oft unfreiwilligen Migration steckt. „Vermutlich werden wir bleiben“, wiederholt Sivan und hinterlässt dabei eine Gleichzeitigkeit von Willensstärke und Ohnmacht.

Sivan Ben Yishai erzählt bei der Ruhrtriennale von Identität, Familie und ihrem kometenhaften Aufstieg. Foto: Heinrich Brinkmöller.

Fatima Khan bemerkt eine Gemeinsamkeit in ihrem eigenen Schreiben, dem des vorigen Gasts Édouard Louis und Sivan: Sie schreiben alle über ihren Vater. Das sei unvermeidbar für Sivan, denn die Vaterfigur taucht in jedem Sektor auf. Sowohl in der nuklearen Familie als auch in politischen Organisationsformen erkennt die Theatermacherin ihren Vater wieder. Sivan nennt es „the feminist reality: writing about daddy“. 

Damit erzielt die Dramatikerin immer wieder Erfolge. Für ihr Theaterstück „Nora oder Wie man das Herrenhaus kompostiert“ erhielt Sivan in diesem Jahr zum zweiten Mal den Mülheimer Dramatikerpreis. Sie verrät den Anwesenden, dass sie ihre Texte am Küchentisch schreibt. Die letzten neun Monate fiele ihr das freie Schreiben jedoch schwer. Die Schreibblockade in ihrer freien Schaffensphase beschreibt die Schriftstellerin als „a Spielplatz where there was a Loch“.

„Find a way to be here. Don’t write the script for tomorrow“ – Sivan Ben Yishai bei Brave New Voices

Die Ruhrtriennale spricht in diesem Jahr mit dem Leitfaden „Longing for Tomorrow“ eine Zukunftssehnsucht aus. Für Sivan Ben Yishai kein nachvollziehbares Verlangen: „Longing for Tomorrow – really?“. Die Dramatikerin möchte keine Zukunftsskripte verfassen. Die eigentliche Herausforderung sei es sich mit dem Moment auseinanderzusetzen. „Wir bauen diese Landschaften, nur um zu sehen, wie sie einstürzen, und planen dann, sie wieder aufzubauen. Lasst uns in den Ruinen leben“, fordert sie.  Mit dem wiederkehrenden Impuls des Wiederaufbaus sei eine Ideal-Vorstellung eines Normalzustands verbunden. Darin liege bereits der Trugschluss, denn die alten Blaupausen würden immer wieder zu Ruinen führen. „Die Veränderung selbst wurde zum Produkt“, bemerkt Sivan. Der Wandel hingegen würde kein neues Produkt werden.

Sivan Ben Yishai im Gespräch mit Fatima Khan. Foto: Heinrich Brinkmöller.

Was von den Brave New Voices bleibt

Nach rund 90 Minuten kommt das Gespräch zwischen der Theaterregisseurin Sivan Ben Yishai und Moderatorin Fatima Khan in der Bochumer Jahrhunderthalle zum Abschluss. Sie ziehen ein Fazit: „Identitätspolitik ist tot. Aber wir wären nicht hier ohne sie“. Die beiden Autorinnen teilen eine Nahbarkeit, in die das Publikum unweigerlich einbezogen wird. Wenn Sivan nicht gerade theaterreife Monologe aus dem Ärmel schüttelt, fängt Fatima Khan die Basics der Gesprächssituation auf und fragt auch mal nach dem Gemüt. Es ist ein Zugewinn, bei diesem Gespräch zuhören zu dürfen.

Jeden Sonntag finden um 12 Uhr weitere interessante Talks der Reihe Brave New Voices statt. Am 01.09. folgen Fatma Aydemir, die Autorin von Dschinns, und Hengameh Yaghoobifarah, Autor*in und DJ. Am 08.09. gibt es ein Gespräch mit Jeremy O. Harris und am 15.09. schließt Cemile Sahin die Reihe ab.

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