Stapeltor Duisburg: Mit langem Atem zur Kultur-Baustelle

Seit den 80er Jahren hatte Duisburg kein selbst verwaltetes sozio-kulturelles Zentrum mehr. Doch 2020 erhielt eine Initiative nach jahrelangen Protesten den Förderzuschlag. Ein Besuch auf einer Baustelle, die ab dem Sommer allen Menschen Raum zur kreativen Entfaltung geben soll.

„Wo geht denn noch mal das Licht an?“, fragt Max von der Öffentlichkeitsarbeit einen Kollegen in Arbeitskleidung, der augenscheinlich auf dem Weg an die frische Luft ist. Bereits am Eingang verläuft der Weg an unterschiedlichen, aufeinandergestapelten Baumaterialien entlang, ehe er in einem großen, dunklen Raum endet, der bald Platz für rund 200 Menschen bieten wird. Es duftet nach Baustelle. 

„Das wird später unser Veranstaltungsraum. Hier kommt dann das DJ-Pult hin, dort die Bar“, erzählt er und zeigt dabei ins Nichts, nachdem provisorisch Baustrahler den Raum erhellt haben. Es braucht zwar Vorstellungskraft, aber es ist sich leicht auszumalen, dass dieser Raum in kürzester Zeit zum kulturellen Wohnzimmer Duisburgs werden kann. Weil die Stadt sich lange Zeit bemühte, Duisburg ein Image als ‚Metropole im Rheinland‘ zu verleihen, anstatt die freie Kulturszene zu unterstützen, mangelt es schlichtweg an Alternativen.

Der 47.e.V., der gemeinnützige Verein rund um das Stapeltor-Kollektiv, hat es sich zur Aufgabe gemacht, daran etwas zu ändern. Teilweise angefangen mit Outdoor-Raves oder Universitätsgruppen, haben die 47er erste Erfahrungen mit Kultur- und Kommunalpolitik durch das Ladenprojekt 47 gesammelt, ein ehemaliges Ladenlokal in der Duisburger Innenstadt, das als solidarischer Ort für interkulturellen Austausch umfunktioniert wurde. „Immer sind Leute hinzugekommen und wieder weggezogen.“

Den Teufelskreis durchbrochen

„Es war wie ein Teufelskreis, der nicht durchbrochen werden kann, wenn es diesen Ort nicht irgendwann gibt“, erinnert sich Christian, Koordinator und Vorstandsmitglied des basisdemokratischen Vereins. Aufgewachsen im Rheinland, kam er für das Studium nach Duisburg. Nur die Aussicht auf Veränderung hat ihn motiviert, zu bleiben.

Viele der bis heute bestehenden soziokulturellen Zentren sind durch Hausbesetzungen in den 70ern entstanden, die sich mit der Zeit zu staatlich geförderten Kultureinrichtungen entwickelt haben. Heutzutage Stadtverwaltungen davon zu überzeugen, Leerstand für soziale und kulturelle Zwecke zu nutzen, erfordert Überzeugungskraft und einen langen Atem.

Nachdem Besetzungen in den letzten Jahren erfolglos verliefen, war für Viele klar: „Wenn wir hier etwas etablieren wollen, müssen wir den kooperativen, kommunalpolitischen Weg einschlagen“, erzählt Christian, für den die Anbiederung an kommunalpolitische Bürokratie und Standortpolitik Mittel zum Zweck gewesen ist. Nichtsdestotrotz hat er mit seinen Mitstreiter:innen mehr als zwei Jahre gekämpft, bis sie im Sommer 2020 eine sechsstellige Förderungssumme im Rahmen einer „Erprobungsphase“ für das Stapeltor erhielten, das etwa 10 Gehminuten vom Hauptbahnhof gelegen seit Jahren leer stand.

Wir haben uns gefühlt wie Asterix und Obelix.”

Foto: Samir El Hannaoui

Es wurden Demonstrationen organisiert, Unterschriften gesammelt und eine medienwirksame Kampagne mit zahlreichen Akteur:innen aus der regionalen Kultur- und Politiklandschaft gestartet. Sie haben immer wieder die Gespräche mit dem Stadtrat gesucht, sind immer weiter in den lahmen Verwaltungsapparat vorgedrungen und haben sich den Mythos um das Eschhaus zur Eigen gemacht, das für viel Unterstützung aus den (mittlerweile) bürgerlichen Teilen der Kulturszene gesorgt hat. „Wir haben uns gefühlt wie Asterix und Obelix, die auf der Suche nach dem Passierschein A38 immer woanders hingeschickt wurden.“

Politische Initiativen und Co-Working

Im „Stapelhoch“ (der 1. Stock), wie Christian und Max es nennen, sollen später politische Initiativen Treffen abhalten, Freischaffende im Co-Working-Space zusammenarbeiten oder Theatergruppen proben können. An einer Wand am Ende des Raumes hängt auf Pappe geschrieben die erste Wochenplanung für das Eröffnungs-Programm des Stapeltors: „Montag, Dienstag frei, Mittwoch etwas gemütliches und dann von Donnerstag bis Sonntag großes Programm“, fasst Max die Ergebnisse der Planungsrunde zusammen. Später sollen dann eigene Formate und die der anderen Gruppen für das Veranstaltungsprofil des Stapeltors sorgen.

Das Ziel, einen Ort für kreative Entfaltung und Zusammenkunft aller Interessierten Duisburger:innen zu schaffen eint das Kollektiv, das sich seit dem Ladenprojekt aus verschiedenen Freundeskreisen und Gruppierungen gebildet hat. Jede:r bringt Fähigkeiten oder Kontakte mit, die das Stapeltor stetig voranbringen. Während die einen sich um eine moderne Außendarstellung des Vereins kümmern, übernehmen die anderen einen Großteil der handwerklichen Aufgaben. „Es ist interessant zu sehen, was Leute können, ohne dass es auf dem Papier steht. Wir haben für alles irgendjemand gefunden oder kannten dann über zwei Ecken jemanden, der das kann.“ Natürlich wäre dann auch mal eine Tür falsch bestellt worden, aber das mache ja auch den Reiz des Doityourself-Vibes aus, erzählt Christian.

Duisburger Stapeltor will Diversität auch in innere Strukturen bringen

Trotz der unterschiedlichen Menschen, die sich mit ihren individuellen Kompetenzen beteiligen und engagieren, wird das Stapeltor ebenfalls vor der Aufgabe stehen, es auch in der Realität für interkulturellen Austausch öffnen zu können. Dass dabei nicht nur weißgelesene Menschen Veranstaltungen besuchen und sich einbringen, ist leichter gesagt als getan. Das weiß auch Christian: „Auch wir sind, wie so viele in der Kulturarbeit, sehr weiß dominiert. Es ist eine zentrale Herausforderung, es zu schaffen, dass nicht nur das Programm, sondern auch unsere inneren Strukturen diverser werden.“ Mit kritischen Reflektionsprozessen, gezielten Programmpunkten sowie aktiver Vernetzung wollen sie das strukturelle Problem angehen.

Foto: Samir El Hannaoui

Das zeigt auch, dass das Stapeltor ein:e wichtige:r lokalpolitische Akteur:in und keineswegs nur „Soli-Disco“ sein will. Schon vor dem eigentlichen Start laufen politische Aktionen. Seine gewonnene Aufmerksamkeit nutzt es für Aufrufe gegen rechte Politik und für die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria und Bihac. Zudem werden regelmäßig kostenlose FFP2 Masken an die Nachbarschaft verteilt und gebrauchte Handys für Geflüchtete im Norden Griechenlands gesammelt.

Das erste selbstverwaltete soziokulturelle Zentrum Duisburgs seit Ende der 80er Jahre ist zwar gerade noch eine Baustelle mit vielen offenen Fragen. Ob es eine langfristige Förderung erhält, wird sich erst nach der Erprobungsphase entscheiden. Auch wenn die Beteiligten eigentlich die Spielregeln von Politik und Wirtschaft nicht akzeptieren wollen, so haben sie sie dennoch verstanden und spielen das Spiel mit – um Duisburg und sich selbst wieder ein kulturelles Wohnzimmer zu schenken. 

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