Bei den STROBO:Stimmen vom literaturgebiet.ruhr und STROBO schreiben junge Schriftsteller:innen aus dem Ruhrgebiet über ihre Perspektiven zum Leben. Die Autorin und Poetin Lisa Brück hat im Dezember für uns die Frage beantwortet: Was beschäftigt dich?
Es ist Dezember. Mal wieder. Das Jahr geht zu Ende und jeder blickt für sich auf sein Jahr zurück. So auch ich. Für mich war es kein normales Jahr.
Dieses Jahr war eins der härtesten Jahre meines bisherigen Lebens. Wenn mich dieses Jahr eine Sache beschäftigt hat, dann das Thema Gesundheit.
Ich bin krank. Chronisch krank. Schon seit einigen Jahren. Und nur Menschen, die mich besser kennen, wussten das auch schon lange vor diesem Jahr. Ich möchte nicht detaillierter über meine Diagnosen sprechen – auch aus dem Grund, weil einige Dinge noch ungeklärt sind und ich selbst noch auf Antworten warte.
Ich wollte ein normales Leben führen und mich einfach nicht mit meinem kranken Körper auseinandersetzen. Vor allem, weil ich halbwegs gesund war. Ich konnte das meiste tun ohne Probleme. Ich habe mein Leben gelebt so gut ich es konnte und wollte.
Seit dem 15. Dezember letzten Jahres kann ich nicht mehr sicher alleine laufen oder wirklich stehen. Ich sitze zu 90% der Zeit im Rollstuhl. Ich bin auf die Hilfe meines Umfelds angewiesen. Ich war in mehreren Krankenhäusern, bei verschiedenen Ärzten und ich war drei Monate in Reha. Ob und wie es besser wird, steht ein bisschen in den Sternen. Ich kann und darf nicht arbeiten. Ich habe einen Pflegegrad und einen Schwerbehindertenausweis.
Vor einem Jahr habe ich gearbeitet. Ich war auf verschiedenen Bühnen unterwegs, habe veranstaltet, Workshops gegeben und meinen Abschluss gemacht. Ich habe Nächte durchgetanzt. Ich war dauernd unterwegs. Ich bin ausgegangen. Ich bin viel gereist (und glaubt mir, reisen ist sooo viel einfacher ohne Hilfsmittel) und habe viel mit meinen Freund*innen unternommen. Ich habe mein Studium beendet und einfach immer weitergemacht. Zu viel. Rückblickend weiß ich jetzt, dass mein Körper mir damals schon viele Signale gesendet hat, die ich nicht sehen oder spüren wollte.
Gesundheit ist alles. Ich weiß, dass klingt kitschig und banal und schon tausendmal gepredigt, aber es stimmt leider. Nichts ist wichtiger. Nichts bringt einen so schnell auf den Boden der Tatsachen zurück wie der Kontrollverlust über den eigenen Körper.
Ich glaube, wir denken oft (vielleicht) unbewusst, wir seien unantastbar. Dabei kann es jeden jederzeit treffen.
Seit diesem Jahr habe ich immer Angst, dass es gesundheitlich noch schlimmer kommen kann oder wird. Ich bin jetzt 24. Mein Körper fühlt sich an wie der einer älteren Frau. Oft frage ich mich, wie das wohl mit 30, 40, 50 oder 60 sein wird.
Wird es immer so sein wie jetzt?
Eigentlich war alles ganz anders geplant.
Eigentlich bin ich Künstlerin. Uneigentlich bin ich das immer noch irgendwie – nur halt nicht auf Bühnen. Ich gebe keine Workshops.
Ich trete nicht auf. Ich veranstalte und organisiere nicht. Ich schreibe keine Bühnentexte mehr. Und jetzt gerade arbeite ich nicht. Jedenfalls nicht so, wie sich der ein oder andere das vorstellt oder die Gesellschaft es von einem verlangt.
Ich arbeite daran, dass es meinen Körper wieder besser geht. Ich lerne ihn besser kennen und tue alles dafür, dass ich mich vielleicht irgendwann wieder ohne Rollstuhl bewegen kann. Das ist auch Arbeit. Nur dafür kriege ich kein vernünftiges Gehalt und noch längst keine Pause. Denn davon gibt es keine Pause.
Chronisch krank sein fühlt sich ein bisschen so an, als wäre man auf einer endlosen Achterbahn.
Ich kann mir keine Pause von meinem eigenen Körper nehmen.
Ich kann nirgendwo hingehen, um kurz Abstand zu gewinnen oder um durchzuatmen, weil mein Körper immer da ist. Alles kann zu viel sein. Nicht nur die vermeintlich schlimmen Sachen wie Alkohol und Menschenmengen. Auch ein schöner Abend mit Freund*innen hat seinen Preis.
Oft sage ich: “Ich kann nicht.” Obwohl ich will. Oft sage ich: “Ich sage jetzt mal zu, aber wie es mir an dem Tag geht, kann ich jetzt noch nicht sagen.“
Oder: „Plant ohne mich.“
Oft schreibe ich: “Ich bin ko. Heute gehts gar nicht mehr.”
Irgendwie bin ich nicht mehr diese Lisa wie vorher oder die “Bühnen-Lisa”.
Nicht mehr “Ich bewege alles selbst und alleine und ich entscheide, wann ich gehe, komme oder bleibe -Lisa”. Ganz viele Lisas sind erloschen und das tut weh. Und es ist paradox, weil ich positiv sein möchte (und auch BIN) und gleichzeitig um mein “altes” Leben trauere – dass ich so in der Form nie wieder zurückbekomme, selbst wenn ich plötzlich wieder normal laufen könnte. Die Unbekümmertheit, die bekomme ich nie wieder. Und wenn man viel von sich selbst verliert oder glaubt zu verlieren, kommt man unwiderruflich zu der Frage, was da dann noch von einem selbst übrigbleibt.
Dabei möchte ich ICH sein und Freundin, Schwester, Tochter.
Ich möchte teilhaben.
Ich möchte rausgehen, wann ich möchte und einfach meine Wohnung verlassen ohne Hilfe. Ich möchte, wenn eine meiner Freundinnen mich anruft und weint, meine Sachen zusammenpacken und zu ihr fahren können. Ich möchte wieder rennen können – am liebsten auf dem Fußballplatz – und ich möchte tanzen. So richtig und ausgiebig. Im Stehen. Ich möchte auf und ab springen. Ich möchte zu einem Bus sprinten können und ich möchte entscheiden, wann wie und ob ich gehe, ohne, dass jemand mit mir gehen muss.
Ich will mich nicht anstarren lassen oder mir blöde Kommentare anhören. Ich will nicht im Rollstuhl sitzen. Ich möchte keine Medikamente nehmen müssen. Ich will nicht ständig mein Leid beweisen müssen und Angst davor haben, dass es nicht „ausreichend“ ist, weil meine Schmerzen nicht immer ersichtlich sind.
Ich will mich nicht mit der Krankenkasse oder mit dem Arbeitsamt rumschlagen müssen. Ich will nicht schon wieder hin und her telefonieren, weil noch was fehlt oder was vergessen wurde. Möchte nicht immerzu dieselben Anträge einreichen. Ich will umziehen können ohne fragen zu müssen, ob das wirklich notwendig ist (JA DAS IST ES).
Ich möchte mit Ärzt*innen reden können ohne, dass mir meine eigenen Symptome oder Erkrankungen abgesprochen werden. Ich möchte weder mit ihnen über meine Rechte diskutieren noch monatelang auf Termine warten, um dann in fünf Minuten abgehandelt zu werden, wobei ich gefühlt schon eine halbe Stunde bräuchte, um meine komplette Krankengeschichte auch nur anzureißen.
Ich bin dankbar für das System, in dem wir leben, weil ich weiß, dass es wesentlich besser ist als in vielen anderen Ländern. Aber ich kann dankbar sein für all das Gute und trotzdem die Hürden kritisieren, die das System für Menschen mit Erkrankungen und/oder Behinderungen internalisiert hat.
Ich bin stark und ich bin auch dadurch nochmal stärker geworden, aber ich finde nicht, dass ich hier durch gehen „musste“ oder muss.
Ich will negative Erlebnisse oder Prägungen nicht romantisieren müssen nur damit es sich leichter erzählt. Manchmal sind Dinge einfach scheiße und das Leben nicht fair. Da kann ich schreien, weinen und jammern, wie ich möchte.
Das klingt jetzt alles so, als wäre alles furchtbar gewesen in diesem Jahr, aber das war’s nicht. Ich habe tolle Menschen um mich herum, die Himmel und Hölle für mich bewegen. Die Tränen trocknen, Lachkrämpfe verursachen und die in meinem Tempo versuchen, mir Dinge zu ermöglichen. Die Wäsche waschen, Essen kochen und Einkaufen gehen. Die mich überall hinschieben würden und mich buchstäblich auf Händen tragen. Die mich begleiten und unterstützen. Die mich sehen und lieben können. Auch ohne Bühne. Auch „ohne“ Erkrankung. Das lässt mich tiefe Dankbarkeit und Demut empfinden.
Jetzt bleibt nicht mehr viel zu sagen.
Außer: auf ein neues Jahr.
Über Lisa Brück
Lisa Brück ist 24 Jahre, kommt aus NRW und ist nicht nur Poetin sondern auch Sozialarbeitern. Ende 2018 ist sie erstmalig aufgetreten, jedoch hat sie erst 2020 angefangen auf verschiedenen Bühnen und Plattformen aufzutreten. Sie nutzt das Schreiben und Auftreten dafür um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und um für sich essentielle Themen und Lebensrealitäten anzusprechen. Ihre Texte sind oftmals sehr ehrlich, politisch und trotzdem poetisch. 2022 ist sie Trizemeisterin bei dein NRW Landesmeisterschaften geworden und hat 2022 auch erstmalig bei den Deutschsprachigen Meisterschaften teilgenommen.
Aktuell pausiert sie aus gesundheitlichen Gründen.
Mehr über Lisa Brück könnt ihr in unserem Interview mit ihr erfahren.
Das Key-Visual von STROBO:Stimmen stammt von Britta Wagner.
STROBO:Stimmen ist ein Gemeinschaftsprojekt von STROBO und literaturgebiet.ruhr.
Bock auf mehr STROBO? Lest hier: STROBO:Stimmen „Zwischen Platte & Gold“ von Abdul Kader Chahin