Theaterregisseurin Emel Aydoğdu im Porträt

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Die Bochumer Theaterregisseurin Emel Aydoğdu schreibt Stücke über Themen wie Identität, Frausein und Rassismus. In ihrem Stück „Das Herz liegt begraben“ hat sie einen starken Kommentar zu den Ungerechtigkeiten des Prozesses und der NSU-Mordserie geschaffen. STROBO:Autorin Meltem hat sich mit ihr getroffen.

Als ich die Theaterregisseurin Emel Aydoğdu das erste Mal anspreche, bin ich ein wenig nervös. Als türkeistämmige Person habe ich mich unendlich gefreut, als ich ihren Namen im Programm vom Theaterfestival „Favoriten“ in Dortmund gesehen habe. Für mich war klar, ich muss mich mit ihr unterhalten.

Persönlich treffe ich sie nach ihrem Theaterstück und der Diskussionsrunde zu „Das Herz liegt begraben“. Zuvor hatte ich mich emotional gewappnet. Ich war mir sicher, dass ich weinen würde, geht es doch um die sogenannten NSU-Morde, die von 2000 bis 2007 von der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund in verschiedenen Städten verübt worden sind.

„Das Herz liegt begraben“ von Emel Aydoğdu: Stück über NSU-Morde

Die Theaterregisseurin Emel Aydoğdu arbeitet in dem Stück insbesondere die Geschichte der Familie Kubaşık aus Dortmund und den Prozess um Mehmet auf, verknüpft diese aber auch mit ihrer eigenen Geschichte als Migrantin und Frau. Sie hat sich dafür mit Elif, der Frau von Mehmet Kubaşık und ihrer Familie getroffen und zur Vorbereitung unzählige Seiten an Gerichtsprotokollen durchkämmt.

Ich bin gespannt, was für eine Person Emel ist, habe ich doch zuvor gelesen, dass sie zum Beispiel Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung und des NRW-Nachwuchsstipendiums war und mehrere Auszeichnungen und Preise für ihre Werke erhalten hat. Das schüchtert mich ein. 

Turns out: Emel ist super entspannt, hat an der Ruhr Universität studiert und ist sogar in Bochum auf meine Nachbarschule gegangen. Sie gibt mir ihre Nummer für ein Interview.

Theaterregisseurin Emel Aydoğdu. Foto: David Peters.

Ein Cappuccino mit Theaterregisseurin Emel Aydoğdu

Wir treffen uns einen Monat später an der Ruhr Universität Bochum, wo wir auf das Café Edwards zusteuern. Es ist sehr laut, es herrscht Gedränge, ich stehe eine halbe Stunde an. „Cappuccino, du bist mir sympathisch“, sagt Emel, als ich ihr das Getränk mit Hafermilch endlich auf den Tisch stelle. 

Emel erzählt mir, dass sie sich freut, die Ruhr Universität wieder so belebt erleben zu können. Sie war eine Weile nicht mehr wirklich in Bochum, obwohl sie hier aufgewachsen ist. Sie hat in Düsseldorf hospitiert und war dann zwei Jahre Regieassistentin am Theater Oberhausen, wo sie unter anderem in Kooperation mit Geflüchteten „Existent! – Ein Performancestück“ und „Existent Teil 2 – Narben“ aufgeführt hat. Jetzt hat sie sich selbstständig gemacht.

In Bochum hat sie im Bachelor zunächst einmal Religionswissenschaften und Kunstgeschichte studiert. Auf die Frage, weshalb sie nicht direkt in die Regie gegangen ist, antwortet sie: „Ich wusste von vornherein, dass ich eigentlich unbedingt Regie machen wollte. Ich habe nämlich bereits mit dreizehn angefangen, richtig Theater zu spielen. Allerdings wollte ich auch erstmal überhaupt irgendwas studieren und einen Abschluss haben. Es ist super schwierig, auf Regieschulen aufgenommen zu werden.“

Theatermachen ist Bildung für mich.

Theaterregisseurin Emel Aydoğdu

Emel hat sich noch während ihres Studiums mehrere Male an Regieschulen beworben. Jedes Mal wurde sie abgelehnt, mit Begründungen wie: „Sie und ihr Migrationstheater!“ Wenn ich so etwas höre, werde ich wütend. „Ich habe da schon krass diskriminierende Erfahrungen gemacht“, sagt sie. 

Danach wurde sie  an der RUB für den Studiengang „szenische Forschung“ aufgenommen. „Da werden jährlich nur zehn Menschen aufgenommen“, erzählt sie stolz.

Theater ohne Kategorien

In den letzten Jahren hat Emel vor allem an Kinderstücken gearbeitet, dabei kommt sie eigentlich aus einer ganz anderen Sparte des Theaters. Aus einer erwachseneren, politisch, dokumentarischen Sparte. Obwohl: „Eigentlich macht man ja Theater für Menschen insgesamt und nicht irgendwelche Kategorien an Menschen“, sagt Emel und lacht. Sie findet dabei wichtig, dass gerade Personen mit Migrationsgeschichte sich in dem Bereich engagieren. 

Kinder und Jugendliche sollen nicht nur durch einen „weißen Blick“ das Theater sehen: „Als Frau mit Migrationsgeschichte weiß ich, ich habe ganz andere sprachliche Mittel auf der Bühne als Erzählformen.“ Auf die Frage hin, was genau sie damit meint, antwortet sie: „Warum muss es denn immer die gehobene deutsche Sprache sein? Warum kann es nicht auch multiple Sprachen geben, die mir doch auch etwas erzählen können? Dann kann ich auch wiederum ein Publikum erreichen, was vielleicht normalerweise eher nicht im Theater sitzt. Theatermachen ist Bildung für mich.“

Emel Aydoğdu aus Bochum. Foto: David Peters.

Emel Aydoğdu: Stücke über Rassismus, Sexismus, Frau- und Anderssein

Andere Themen, die Emel auf der Bühne verhandelt, sind Rassismus, Sexismus und Frausein. Außerdem ist ein immer wiederkehrender Teil ihrer Arbeit das Thematisieren eines Andersseins.

„Anderssein ist ein Thema, ja“, stimmt sie zu. „Das liegt auch daran, dass ich in meinem Schaffensprozess und im Theater von mir ausgehe. Ich hinterfrage bei dem, was ich erzähle, nämlich immer, inwiefern es auch mich persönlich betrifft.“ Natürlich sei sie hier aufgewachsen, wenn auch nicht hier geboren worden. „Ich bin mit sechs Jahren nach Deutschland immigriert und dann war ich erstmal in so einem katholischen Kindergarten, wo mich die Kinder schräg angesehen haben. Wo die dann von Zuhause eingetrichtert kriegen ‘Spiel nicht mit ausländischen Kids‘ und das spürst du dann“, sagt die 32-Jährige.

Auch ich kenne das, irgendwie Teil der Gesellschaft zu sein, aber gleichzeitig doch nicht ganz dazuzugehören. In der katholischen Grundschule zum Beispiel, die ich im Übrigen im spießigen und weißen Bochum Grumme besucht habe.

„Ich glaube auch, dass ich während der Pubertät voll auf einer Identitätssuche war“, erzählt Emel weiter. „Das sind deshalb auch meine Themen: Identität, Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin will ich überhaupt gehen?“

Bild der Theaterregisseurin Emel Aydoğdu.
Sie schreibt über Identität, Frau- und Anderssein: Emel Aydoğdu. Foto: David Peters.

„Das Herz liegt begraben“ von Emel Aydoğdu: Zwei Biografien in einem Stück

Ich muss wieder an ihr Stück denken, das ich in Dortmund gesehen habe, „Das Herz liegt begraben“. Emel hat sich dazu entschieden, auf der Bühne nicht nur die Geschichte der Kubaşıks darzustellen. Sie macht sich selbst sichtbar und damit ein Stück weit verletzlich, indem sie ihre eigene Vergangenheit zur Schau stellt und diese mit der Familie verbindet und Parallelen aufzeigt. 

Zum Beispiel kommen sowohl sie als auch Elif Kubaşık aus dem südostanatolischen Gaziantep, „dort, wo es das beste Baklava gibt“, wie es im Stück heißt. „Es hat sich durch die Umstände so ergeben, dass ich meine eigene Geschichte mit reinnehme. Es war von Anfang an eigentlich eher mein Ziel, nur die Familie in den Fokus zu rücken“, erklärt Emel. 

Ihr Stück ist im Rahmen des bundesweiten Theaterprojekts „Kein Schlussstrich“ zur Aufklärung der NSU-Mordserie entstanden: „Ich habe mich unheimlich gefreut, als ich gefragt wurde, ob ich Lust hätte, etwas auf die Bühne zu bringen“, sagt Emel. 

Es habe alles einfach gut gepasst, denn ihre eigenen Texte hatte sie schon Monate zuvor geschrieben, ohne es zu wissen, weil sie gerade an einem autofiktionalen Roman arbeitet. „Die habe ich dann als Grundlage genommen und geschaut, wie ich diese beiden Biografien miteinander verknüpfen kann. Mir erschien es in dem Moment richtig, zwei Generationen abzubilden, Frau Kubaşık könnte meine Mutter sein.“ 

„Es hätte genauso gut meinen Vater, meinen Onkel oder meinen Bruder treffen können“

Das Stück wurde das erste Mal an einem 5. November aufgeführt, einem Tag, der auch immer wieder in den Protokollen des Prozesses von Mehmet Kubaşık auftaucht. Dieser dauerte fast fünf Jahre und wird im Stück immer wieder eingeblendet. Schauspieler:innen lesen Ausschnitte aus der Mitschrift vor und werden dabei per Video gleichzeitig geloopt.

Emel Aydoğdu, Theaterregisseurin. Foto: David Peters.

„Ich habe auch eine Motivation und eine Wut und Ohnmacht in mir, wenn ich mich in die Situation der Familie hineinversetze“, sagt Emel. Auch aus diesem Grund habe sie sich dazu entschieden, das Stück zu schreiben. „Diese Menschen“, und damit meint sie die Mörder:innen, „sind durch das ganze Land gezogen und haben Leute aus rassistischen Motiven heraus ermordet. Das hätte genauso gut meinen Vater, meinen Onkel oder meinen Bruder treffen können.“ Wir schweigen eine Weile. 

„Das ist auch der Grund, weshalb ich Theater mache. Es passieren so viele Ungerechtigkeiten, die muss man aufdecken, aufklären und verarbeiten durch die Medien, Theater, Schrift und Film“, sagt sie schließlich.

Aber es reicht nicht nur, Stücke zu schreiben und anderen Erzählungen und Geschichten Raum zu geben. Es müssen sich auch strukturelle Dinge im Theater ändern. Leider sind Regisseur:innen wie Emel noch immer eine Ausnahme, das weiß auch ich. 

Vielfalt auf der Bühne

„Ich fordere immer, wenn ich irgendwohin eingeladen werde, dass ich mindestens eine BIPOC-Person auf der Bühne sehen möchte. Mindestens eine Person brauche ich, nicht nur, weil ich diese Geschichten erzähle, sondern auch weil ich für mich keinen Safe Space schaffen kann, wenn ich nicht die Gewissheit habe, dass ich da Verbündete habe. Wenn diese Gesellschaft vielfältig und divers ist, dann muss ich das eben auch auf der Bühne sehen”, sagt Emel. 

Gerade deshalb habe ich mich gefreut, als ich mich nach „Das Herz liegt begraben“  im Theatersaal umgesehen habe. Überall waren Menschen, Menschen wie ich. Wir haben gemeinsam geweint und gefühlt und wir hatten unsere Meinungen, die wir in den Space und darüber hinaus getragen haben. Langsam werden unsere Stimmen hörbar.

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