Unterwegs mit einer Azubi am Aalto-Theater Essen 

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Medial werden Ausbildungen meist mit Berufen wie Klemptner:in, Elektrotechniker:in oder Maler:in verknüpft. Doch im Kulturbereich gibt es ebenfalls verschiedene Ausbildungsberufe, die unter den Begriff Handwerk fallen. STROBO-Autor Max hat beim Aalto-Theater Essen vorbeigeschaut und mal einer Azubi aus der hauseigenen Schneiderei über die Finger geschaut. 

„Die Bretter, die die Welt bedeuten“ hieß es von Friedrich Schiller 1803 in seinem Gedicht „An die Freunde“. Dieser Ausdruck wird bis heute mit großer Freude im Theater-Kontext verwendet, wenn es um extrovertierte Schauspieler:innen geht, die mit akkurater Schminke in feinen Kostümen vor einem angespannt sitzenden Publikum ihrer Rolle den Stempel aufdrücken. „Bretter, die die Welt bedeuten“ suggeriert ehrwürdige Theatersäle mit roten Sesseln, Goethe-Neuinterpretationen und jede Menge Drama. Was hinter den Kulissen geschieht, damit die Bretter die Welt bedeuten können, bleibt im Verborgenen. Davon kriegt der Gast nichts mit. 

Wie ein Behörden-Keller 

So betrete ich an einem Mittwochmorgen das Aalto-Theater in Essen durch einen unscheinbaren Seiteneingang, der mich mit seinem verglasten Empfangs-Vorraum so gar nicht an den Glanz der Hochkultur, sondern vielmehr an eine Behörde erinnert. Dort werde ich abgeholt, erst in einen Fahrstuhl und dann durch mehrere sperrig beleuchtete Flure geführt. Tageslicht? Fehlanzeige. Das Theater wirkt auf einmal wie ein Behörden-Keller, wo hinter schweren Türen jede Menge Aktenschränke Dokumente aus vergangenen Zeiten lagern. Ein Labyrinth, aus dem nur Eingeweihte wieder herausfinden. Schließlich sehe ich Tageslicht am Ende des Flur-Tunnels. Wir passieren ein vollgestelltes Büro mit zwei Schreibtischen. Wie ich später erfahre, handelt es sich um die Abteilung, die sich um die Organisation der Kostüme kümmert. Im nächsten Raum fallen mir die ersten Nähmaschinen ins Auge, an denen konzentriert arbeitende Mitarbeiter:innen sitzen – die Herrenmaßschneiderei. Schließlich verbirgt sich hinter der letzten Tür unser Ziel: die Damenmaßschneiderei. 

Hier arbeiten in einer lichtdurchfluteten Werkstatt ca. 13 Frauen jeglichen Alters an den Kostümen für die kommende Premiere von Macbeth. Schnittmuster aus Papier, Stoffe mit weißen Kreidestrichen und schon fast fertige schwarze Röcke in einer Paperlook-Leinen-Optik liegen auf den Tischen. Daneben jede Menge Scheren, Fäden, Lineale oder Maßbänder. Lockere Gespräche, das kurzzeitige Klackern einer Nähmaschine, das Dampfen eines Bügeleisens und vieles mehr vervollständigen sich zu einer angenehmen akustischen Atmosphäre. Ich habe Angst im Weg zu stehen, was mir prompt passiert, als ich Anna begrüße. 

Unterwegs mit Anna

Anna, 20 Jahre alt, kommt eigentlich aus der Nähe von Bayreuth und ist für die Ausbildung zur Maßschneiderin nach Essen gezogen. Irgendetwas handwerklich-künstlerisches wollte sie machen. Durch ein Praktikum kam sie zum Nähen, ehe sie sich an allen staatlichen Theatern Deutschlands bewarb. Doch der Andrang auf die wenigen Ausbildungsplätze sei groß, verrät sie mir später. Das Aalto-Theater stellte sie schließlich ein, das erste Ausbildungsjahr ist fast vorbei und ihre Motivation nach wie vor groß: „Ich habe tolle Mitarbeiter, wir haben eine tolle Atmosphäre und es macht einfach sehr viel Spaß.“ 

Im für Außenstehende doch eher hektischen Treiben führt mich Anna unmittelbar in den Kosmos einer Theaterschneiderei ein. Die Aufgabe für heute: Anna zeigt einer Praktikantin, wie man ein dreifarbiges Knopfloch mit der Hand nähen kann. Ich verstehe nur Bahnhof, könne das aber auch mal versuchen, schlägt Anna vor. Schweißgebadet lehne ich freundlich ab. Ich denke an den Textilunterricht in der Schulzeit. Daran, wie sich eine Mitschülerin mal mit der Nähmaschine in den Finger nähte und wie ich manche Aufgaben meiner Mutter gab, damit ich eine gute Note bekomme. So sitzen wir zu dritt an der Werkbank. Ich schaue den beiden über die Schulter, während Anna und die Praktikantin mit einer Nadel dünne Fäden entlang eines Knopfloches stechen, die wir zuvor gebügelt haben, damit diese sich nicht knoten – für mich ein Pro-Tipp. 

Trubel vor den Sommerferien 

Wir kommen ins Gespräch. So kurz vor den Sommerferien sei hier immer viel los. Denn dann schließe das Theater, danach beginnen die ersten Proben. Bis dahin müssen alle Kleider fertig sein. Für die Produktion von Macbeth wären das für Männer- und Frauen zusammen ca. 60 Kleider bestehend aus Rock, Oberrock und Oberteil – maßgeschneidert wohlbemerkt – und da sich die Körper der Schauspieler:innen auch mal ändern können, muss auch immer wieder noch einmal nachjustiert werden. Richtig stressig würde es meist nur werden, wenn aufgrund von Krankheitsfällen nachbesetzt werden muss. Ansonsten hat Anna geregelte Arbeitszeiten. Sie kommt um 7:30 Uhr und geht um 16:00 Uhr. 

Foto: Max Ortmann

Zwar verstehe ich von den handwerklichen Details des Schneider:innen-Berufs nur wenig, angefangen von den Definitionen einzelner Schnitte bis hin zum Entstehungsprozess eines Kleides. Dennoch bin ich fasziniert davon, mit welcher Schnelligkeit hier auf den Millimeter passgenaue Kostüme entstehen. Alles eine Sache der Erfahrung, das weiß auch Anna, die für einen Rock derzeit ca. eine Woche braucht. Nicht nur in der Schneiderei, sondern auch in all den anderen Abteilungen, wie Maske, Bühnenbau und -Malerei oder sogar in der hauseigenen Schlosserei wird auf jedes noch so kleine Detail geachtet. Am Ende soll für die Aufführung alles perfekt sein. Allein an den Kostümen für die Bühne mitarbeiten darf Anna noch nicht. Nur wenn es eng wird, unterstützt sie da, wo sie gebraucht wird. Das tue für sie aber nichts zur Sache, meint sie. „Es ist ein schönes Gefühl, am Ende die fertige Arbeit auf der Bühne zu sehen.“ Meistens schaue sie sich die Generalprobe an, vom Theater bekommt sie darüber hinaus ein kleines Kontingent an Freikarten für die richtigen Vorstellungen. 

Mit dem ÖPNV zur Berufsschule nach Düsseldorf

In den drei Lehrjahren muss sie jede Art von Kleidungsstück einmal selbst geschneidert haben. Später im Fundus wird sie mir noch das Korsett zeigen, was sie selbst gemacht hat. Mit den Augen des dahinterstehenden Handwerks betrachtet, eine sehr anspruchsvolle Arbeit. Während sie und die Praktikantin weiterhin einen Stich neben den nächsten setzen, befrage ich Anna zum schulischen Teil der Ausbildung. Neben den drei Tagen Arbeit am Theater, die ihr – wie sie mehrmals betont – am meisten Spaß machen, fährt sie im ersten Ausbildungsjahr die anderen beiden Tage zur Berufsschule nach Düsseldorf – mit dem ÖPNV.

In der Schule lernt sie gemeinsam mit Azubis von anderen Theatern eher theoretisches Wissen wie Stoffkunde, aber auch Fächer wie Religion, Sport oder Politik stehen auf dem Stundenplan. Letztere scheinen jedoch nicht ihre Lieblingsfächer zu sein. Von anderen Auszubildenden höre sie jedoch, dass sich manche aufgrund der Arbeitsbedingungen auf die Schule freuen. Überstunden, schlechtes Arbeitsklima und wenig Lohn sei in manchen Betrieben keine Seltenheit. An den städtischen Theatern sieht das anders aus: Anna hat humane Arbeitsbedingungen und bekommt von der Stadt als Arbeitgeber:in im ersten Lehrjahr etwas mehr als 1000€ pro Monat. Zum Vergleich: In freien Ateliers bekamen Azubis vor dem Mindestlohn nur um die 200€. Lediglich die Vernetzung mit den Azubis aus den anderen Arbeitsbereichen des Hauses gestalte sich aufgrund von unterschiedlichen Arbeitszeiten etwas schwierig.

Eine Führung durch den Fundus

Das dreifarbige Knopfloch ist fertig genäht. Ich freue mich auf Annas Führung durch den Fundus. Wir verlassen die Werkstatt durch eine andere Tür und befinden uns wieder auf einem der endlos wirkenden engen Fluren. Ich habe das Gefühl, wir gehen jetzt noch tiefer hinein ins Labyrinth. Neugierig und ohne das Ziel zu kennen, laufe ich hinter Anna her. Nacheinander öffnen wir schwere Metall-Türen, hinter denen sich jeweils ein neuer Kostüm-Kosmos öffnet: Ein Raum für Kleider, einer für Anzüge usw. Es riecht nach Second-Hand-Laden. Hinter einer weiteren Tür versteckt sich das Schuhlager. Ein schlauchiger Raum mit Metallregalen, die man aufdrehen muss. Als wären sie mit einem eigenen Aktenzeichen versehen, steht dort geordnet gefühlt jedes Paar Schuhe, das es auf der Welt gibt.

Gerade die Metall-Aufdreh-Regale erinnern mich dann doch wieder an den Keller einer Behörde – nur, dass wir nicht zwischen Papierbergen stehen, sondern zwischen Schuhen. Ich frage mich, wie die Mitarbeitenden hier etwas wiederfinden. Aber dafür gibt es ja ein eigenes Büro, durch das mich Anna am Ende meines Besuches wieder führt, damit ich mich auf dem Weg zum Fahrstuhl nicht verlaufe. 

„Wenn man eine Ausbildung hat, hat man etwas sicher.”

Ich frage sie noch, warum sie sich für eine Ausbildung entschieden hat und nicht für ein Studium. „Wenn man eine Ausbildung hat, hat man etwas sicher. Du kannst immer irgendwo die Arbeit anbringen und danach kann man ja immer noch studieren.“, meint sie überzeugt. Nur im Kulturbereich wäre es schwierig, einen Ausbildungsplatz zu finden. Die Nachfrage ist hoch, auf eine Stelle kämen meist mehr als 80 Bewerbungen und viele Stellen würden nur alle drei Jahre neu besetzt werden, so Anna: „Die Leute haben Bock, aber es gibt zu wenig Ausbildungsstellen.“ Auf der einen Seite mangelt es dabei meistens an Geld, am Aalto-Theater in Essen komme noch ein Problem hinzu: In der Schneiderei fehle es schlichtweg an Platz.

Nichtsdestotrotz freut sich Anna auf die kommenden zwei Jahre, auch wenn sie mindestens einmal in der Woche für den Religionsunterricht nach Düsseldorf fahren muss. Ich verabschiede mich von Anna, melde mich in der Schneiderei mit einem lauten „Tschüss! Viel Erfolg weiterhin!“ ab und gehe so wie ich gekommen bin: Durch einen unscheinbaren Hintereingang. 

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