„Wir präsentieren den elektronischen Sound des Ruhrgebiets” – das Kollektiv Eurorack Ruhr stellt sich vor

Mein Bild

Ähnlich wie in einer Telekommunikationsstelle sieht es bei Lukas Hermann in seinem Gelsenkirchener Proberaum aus: Große Schränke, Koffer und tausende Kabel. Statt Telefonate entstehen dort elektronische Sounds. Er spielt das Eurorack und ist Gründer des Kollektivs Eurorack Ruhr. Im Interview erzählt er vom Kollektiv, das Menschen und elektronische Musik auf Events miteinander verbinden will.

Patchen – das ist in der Telekommunikation die Verbindung zweier Punkte durch ein Kabel. Telefonist:innen leiteten so Ende des 19. Jahrhunderts Anrufende weiter an die gewünschten Empfänger:innen. Auch Lukas Hermann patcht, und zwar das Eurorack. Angefangen hat Lukas mit den Euroracks, weil andere Instrumente ihm musikalisch zu wenig Möglichkeiten bieten. Das eint die Musiker:innen, die das Eurorack spielen. Wenn sie die Kabel nach dem Spielen aus dem Gehäuse ziehen, wird es die Klänge in dieser Einzigartigkeit danach nicht mehr geben. In die Vielfalt des Instruments können sich Musiker:innen nerdig hineinfuchsen und auf Kleinanzeigen nach Einzelteilen suchen. Man kann sich aber auch mit einem Anfängerkoffer, inklusive allen notwendigen Modulen, hineinfühlen und intuitiv ausprobieren, was sich gut anhört. Das Kollektiv Eurorack Ruhr bietet eine Plattform für den Austausch.

STROBO:Inside: Eurorack

Wie ein kleines Keyboard, so sieht ein normaler Synthesizer aus, der elektronische Musik erzeugt. Bei einem Keyboard sind die Tastenklänge schon vorbestimmt, beim Synthesizer dagegen können zahlreiche Sounds erstellt und editiert werden. Das Eurorack, auch modularer Synthesizer genannt, baut auf den regulären Synthesizern auf und gibt Musiker:innen nahezu unendlich viele Sound-Möglichkeiten.

Wie das funktioniert? Beim Eurorack suchen sich die Musiker:innen die Bestandteile selbst aus. Mittlerweile gibt es über 6000 Module mit unterschiedlichen Funktionen: Die einen können Sounds selbst erzeugen, die anderen transportieren Klänge zum Aufnahmegerät und wieder andere belegen Sounds mit einem Klangeffekt. Wenn man sich für Elemente entschieden hat, baut man sie in ein Gehäuse ein, das kann zum Beispiel ein Koffer oder eine riesige Schrankwand sein. Die Kombination der Kabel und Einstellungen der Module erzeugt dann einen Sound, der in diesem Moment einzigartig ist und der beim Herausnehmen wieder verschwindet.

Wie Eurorack Ruhr Verbindungen schafft

STROBO: Der Titel eures Kollektivs Eurorack Ruhr verknüpft Eurorack und Ruhrgebiet. Welche Verbindung habt ihr zum Ruhrpott?

Hermann: Wir wollen die elektronische Musikszene im Ruhrgebiet intensiver vernetzen. Im Ruhrgebiet gibt es viel zu viele alleinstehende lokale Musikszenen, Möglichkeiten und kulturelle Situationen, die alle unterschiedlich sind. Jede Stadt hat ihren eigenen Kulturbetrieb, aber wir wollen diese Orte miteinander in Verbindung bringen. Menschen aus allen großen Städten des Ruhrgebiets sind bereits Teil unseres Kollektivs. Unser mittelfristiges Ziel ist es jetzt, in allen Ruhrpott-Städten Events zu veranstalten. Wir machen gerade primär Sessions in Gelsenkirchen, planen aber auch Abende in Mülheim und wollen überstädtisch Bühnen bespielen.

Außerdem haben wir vor einem Jahr ein digitales Label gegründet, das eine Veröffentlichungsplattform für Künstler:innen bietet. Alle Einkünfte kommen dabei den Artists zugute. Im Herbst jeden Jahres veröffentlichen wir dann eine Compilation mit elektronischer Musik mit modularen Synthesizern aus dem Ruhrgebiet. Wir präsentieren so den elektronischen Sound des Ruhrgebiets.

STROBO: Wie hat sich Eurorack Ruhr gegründet?

Hermann: Erstmal habe ich Gleichgesinnte gesucht und es hat sich schnell ein harter Kern von Menschen gefunden, die coole Formate entwickeln wollten und es bis heute tun. Wenn man Eurorack spielt, ist Austausch super wichtig. Es gibt so viele Möglichkeiten, mit dem Eurorack Musik zu machen: von Techno bis hin zu abstrakter und wilder Musik, mit oder ohne Samples. Zu unseren Treffen bringt man seine eigenen Eurorack-Schwerpunkte und die dazugehörige Technik mit. Und so entsteht ein Raum, in dem man sich über die diversen technischen und musikalischen Möglichkeiten austauschen kann. Denn man kann nie alles über das Eurorack wissen.

Lukas Hermann spielt das Eurorack. Foto: Lennart Neuhaus.

STROBO: Wie läuft ein klassisches Eurorack Ruhr Treffen ab?

Hermann: Unsere Treffen sind eine offene, ganz grandiose Sache, bei denen man networken, sich unterhalten oder einfach Musik machen kann. Es gibt unterschiedliche Formate, das zu tun. Wir haben meistens drei bis vier Musiker:innen, die in einer Session spielen. Die bringen dann ein Case mit oder andere Instrumente. Wir sind da nicht Modular-only, eher Modular-zentriert.

Dann gibt es zunächst ein kleines organisatorisches Vorgespräch. Meistens ist es aber so, dass wir bei den Sessions Musiker:innen zusammenbringen, die sich noch nicht kennen. Wir versuchen also immer wieder neue Menschen dazu zu bringen, Musik zu machen und ihre Instrumente zu spielen. Denn unser Ziel ist es, gemeinsam zu lernen und zu hören, was musikalisch möglich ist. Dadurch sind unsere Treffen ein experimenteller Raum, manchmal mit übergeordneten Musikrichtungen wie Techno oder House, an denen man sich orientieren kann. Und später kommt man dann über die Musik ins Gespräch. Alle Session-Abende sind außerdem öffentlich. Das heißt, man kann einfach reinkommen und uns auch nur bei einem Bier oder einer Limo zuhören.

Männerhobby oder massentauglich?

STROBO: Wie kann ich Teil des Kollektivs werden?  

Hermann: Jeder und jede, die Lust hat, uns kennenzulernen und Musik in diese Richtung zu hören oder zu machen, der oder die ist zu unseren Events eingeladen. Aktuell organisieren wir uns über Instagram (@eurorack_ruhr) und über Discord und teilen dort die Termine für Session-Abende in Gelsenkirchen oder Events von Mitmachenden im ganzen Ruhrgebiet. Am besten schreibt man uns eine Mail, kriegt dann einen Einladungslink zum Discord-Server und kann ab da mitmachen.

STROBO: Das Eurorack wirkt auf den ersten Blick etwas nerdig und das Material dafür kostet. Wie versucht ihr, das Eurorack „massentauglicher“ zu machen?

Hermann: Das Thema Diversity treibt uns aktuell stark um. Denn es ist einfach ein Fakt, dass das Eurorack vermehrt ein Männerhobby ist und auch die elektronischen Musikszene bleibt männerdominiert. Das liegt vermutlich daran, dass es elitär und nerdig wirkt. Das finden wir sehr schade und versuchen, Formate zu entwickeln, um mehr nicht-männliche Personen anzusprechen. Dafür hoffen wir auf Förderungen, um noch mehr in diese Projekte stecken zu können. Wir sind dran und wollen ein diverseres Bild schaffen. Denn sonst bleibt es wie jetzt: Wir sagen immer, jeder und jede ist willkommen und am Ende kommen nur Männer. Aber wenn man sich vornimmt, die ganze Szene zu vernetzen, muss man eben auch die ganze Szene vernetzen.

Das Kollektiv Eurorack Ruhr will mit elektronischer Musik Menschen verbinden. Foto: Lennart Neuhaus.

Die Bühnen des Ruhrgebiets bespielen

Im Sommer 2023 wird es einige Live-Performances geben, auf denen man Mitglieder des Kollektivs beim Eurorackspielen zuschauen kann. Diese finden überall im Ruhrgebiet statt: Am 8. Juli im „Hier ist nicht da“ in Gelsenkirchen, am 22. Juli beim flat-made Festival in Witten, Anfang August beim RKNKT Festival in Hamm und am 18. August bei der Kulturlinie Bochum.

Das noch relativ unbekannte Eurorack mit den vielen Kabeln ist, wenn man Lukas Hermann fragt, ein Improvisationsinstrument, das Bühne braucht. Eurorack Ruhr sorgt für Sichtbarkeit einer bislang noch versteckten Szene und bringt einen neuen elektronischen Klang ins Ruhrgebiet. Einen Klang, an den sich – mit Nachdruck – wirklich jede:r herantrauen darf.

Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Warum sich das PollerWiesen überschätzt hat

Mein Bild
Mein Bild