Warum Figur Lemur Bock auf „Scheiß-Slots“ auf Festivals haben

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Die Poprap-Band Figur Lemur arbeitet zurzeit an ihrem Debütalbum. Im STROBO:Talk erzählen sie, wie die Pandemie ihre Arbeit beeinflusst hat, wie der Sound auf ihrem Album klingen wird und warum Peter Fox für sie besonders wichtig war.

STROBO: Ihr habt mit Figur Lemur 2020 drei neue Songs veröffentlicht, die unter anderem eure Gefühle zu der Coronapandemie ausdrücken. Wie sehr hat die Situation eure Arbeit beeinflusst?

Ben: Unsere musikalische Arbeit ist davon wirklich krass beeinflusst worden. Wir haben uns vorher heftig als Live-Band definiert und plötzlich hatten wir ganz viel Zeit, die wir nicht mehr zum plumpen Proben gebraucht haben. Oder um Songs für die Bühne ready zu machen. Dadurch haben wir Writing, Studioarbeit und Producing als Band eigentlich erst letztes Jahr so richtig gelernt. Die Zeit hat uns also extrem geprägt. 

Basti: Corona hat aber offensichtlich auch unsere Musik selbst beeinflusst. Zumindest „Maskerade“ und „Stereoton“ thematisieren das auch ganz eindeutig.

STROBO: Ist das ein Stoff, der sich auch in weiteren Songs von eurem Debütalbum finden wird? Das soll ja Ende des Jahres erscheinen. 

Basti: Wir haben danach nicht immer weiter Pandemiesongs geschrieben. Das auf keinen Fall. 

Joscha: Vielleicht waren diese Songs auch ein Ventil. Das einmal in einen Song zu verpacken und dann loszulassen. 

Ben: Wir haben für das Album jetzt krass viele neue Songs geschrieben und da findet das Thema so direkt wie in „Maskerade“ oder „Stereoton“ nicht mehr statt. Deshalb stimmt wahrscheinlich, was Joscha sagt. Einmal rausgelassen, einmal ausgekotzt, und jetzt ist auch wieder gut. 

STROBO: Ben hat ja gerade gesagt, dass ihr euch vor allem als Live-Band versteht. Ihr habt euch trotzdem dagegen entschieden wie am Anfang der Pandemie Sitzkonzerte zu spielen. Woher kommt dieser Widerspruch?

Jonas: Wir versuchen mit unserer Musik eine tanzbare Energie rüberzubringen. Wenn die Leute dann in kleinen Gruppen weit entfernt voneinander sitzen, springt einfach nicht der Funke über. Das wird beiden Seiten nicht wirklich gerecht – vor allem den Zuschauer:innen. Sie können nicht erleben, was wir sie erleben lassen wollen. Es müssen nicht viele Leute vor der Bühne sein, aber sie müssen nah beieinander sein, und sich bewegen können. Die Energie muss sich irgendwie transportieren können.

STROBO:Inside

Figur Lemur sind die beiden Brüder Ben (26, Rapper) und Jonas (30, Synthies und Vocals), Joscha (27, Synthies und Drums) und Basti (27, Gitarre und Vocals). Die vierköpfige Poprap-Band kommt ursprünglich aus Witten. Mittlerweile leben sie in ganz NRW verstreut, ihren Proberaum haben sie in Bochum. 1999 haben Ben, Jonas und Joscha angefangen, zusammen Schlagzeug zu spielen, seit 2008 sind sie mit Basti in einer Band. Als Figur Lemur machen sie seit 2017 zusammen Musik.

STROBO: Ihr habt unter anderem beim Juicy Beats in Dortmund oder auf der 1Live-Bühne beim Bochum Total gespielt. Wo würdet ihr gerne einmal einen Gig spielen, wenn ihr es euch aussuchen könntet?

Jonas: Stand jetzt: egal, irgendwo. (lacht)

Joscha: Hättest du uns vor einem Jahr gefragt, hätten wir gesagt „Bochum Total: 1Live-Bühne“. Diesen Traum haben wir schon erlebt, was rückblickend sehr surreal ist. 

Ben: Es gibt sowas wie eine zweite Liga an Festivals, wo wir mit hoher Wahrscheinlichkeit letztes Jahr reingekommen wären und dann die Nachmittagsslots gespielt hätten. Wie das Hurricane oder das Frauenfeld. Und wir würden gerne die ganzen Scheiß-Slots auf diesen Festivals spielen. Natürlich auch gerne die guten, aber wir bleiben mal realistisch.

STROBO: Rap ist häufiger gesellschaftskritisch, während Deutschpop ja immer noch eine gewisse Belanglosigkeit und ein Unpolitisch-Sein zugeschrieben wird. Ihr selbst macht Poprap. Wie geht ihr mit diesen sehr unterschiedlichen Anforderungen an die beiden Genres um?

Joscha: Wir haben das jetzt beim Writing gemerkt. Unser Produzent hat uns auf der Hinfahrt ins Studio gesagt, dass wir ja schon krass eine politische Band seien. Das haben wir vorher nicht so sehr für uns wahrgenommen. Weil wir immer dachten: „Na, wir sagen schon was uns wichtig ist, aber wir wollen auch nie den moralischen Zeigefinger erheben.“ 

Und jetzt sind schon einige Songs entstanden, die sehr klar unsere politische Meinung nach außen tragen. Pop verstehen wir mehr als ästhetisches Gewand mit einer gewissen Soundästhetik und einer Anziehungskraft, die von der Musik ausgeht. Das Gefühl, den Song unbedingt nochmal hören zu wollen. Aber was die politische und gesellschaftliche Positionierung angeht, sind wir sehr im Rap verortet.

STROBO: Hat Musik generell in den letzten Jahren den Anspruch bekommen, politischer zu sein? 

Ben: Ich glaube generell, dass sich die Jugendkultur grundsätzlich stärker politisiert hat, aufgrund der ganzen Probleme, die zurzeit hochkochen. In noch viel stärkerem Maße gab es aber schon immer politische Kunst, nur jetzt mit dem Unterschied, dass die jetzt popkulturell große Kunstform eine politische ist. Jetzt gerade ist Rap das absolute Ding. Und Rap war schon immer politisch. Und vor zehn Jahren war Rap halt nicht das absolute Ding. Vielleicht fällt es deshalb eher auf.

STROBO: Was kann man von eurem Debütalbum musikalisch erwarten?

Ben: Unsere Musik ist auf eine Art poppiger geworden, in dem Sinne, dass es schon klassische Pop-Refrains gibt, die Ohrwürmer sind. Wir sind aber auch gleichzeitig mutiger geworden, mit Sounds anzuecken. Unsere Musik bleibt Poprap aber momentan lieben wir es, da den 90er-Grunge reinzuholen. Oft ist bei unseren Songs noch eine dirty Gitarre dabei.

Jonas: Wir haben auf jeden Fall mehr Gitarren als früher. Wobei sich das generell abzeichnet, dass im Pop, im Rap und Hip-Hop die 90er-Jahre Gitarrenästhetik zurückkommt. 

STROBO: Was ja auch wieder ein Stilmix ist. Gibt es trotzdem eine:n Künstler:in oder Band, die euch als Band stark beeinflusst?

Ben: Wir haben krass unterschiedliche Musikgeschmäcker und sind gar nicht auf ein Genre festgelegt. Ich glaube momentan findet fast die krasseste Beeinflussung gar nicht durch eine andere Band statt, sondern durch unseren Produzenten Fayzen. Der interpretiert uns ja auch in einer Form.

STROBO: Wenn ihr sagt, dass ihr alle einen ganz unterschiedlichen Musikgeschmack habt: Von wo bis wo reicht der?

Joscha: Letztes Jahr habe ich sehr viel Tame Impala gehört.

Ben: Und ich find Hafti mega geil. Das ist vielleicht ein ganz guter Kontrast.

Jonas: Bei Benni und mir ist es auf jeden Fall mehr so die Hip-Hop Richtung. Ich feiere Rin zum Beispiel total, höre aber auch ganz viel amerikanischen Hip-Hop. Seltsamerweise mag ich dann aber auch solche 90s-Sachen wie Nirvana.

STROBO: Könnt ihr euch auf gewisse Künstler:innen und Bands trotzdem einigen?

Ben: Bei Billie Eilish können wir uns auf jeden Fall darauf einigen, dass sie eine richtig gute Mischung aus Coolness, ihrem eigenen Ding, und krassem Pop macht. Und tatsächlich war vor vielen Jahren unsere Go-To-Band-Mukke Peter Fox. Damit haben wir jetzt gar nichts mehr zu tun. Aber das war für uns vielleicht sogar wieder der Beginn, in Richtung Deutschrap zu gehen. 

Joscha: Peter Fox hat losgetreten, dass sich etwas bei uns geflippt hat. Wir waren vorher wirklich Indie-Narren. Wir waren vom Schlag, dass alles handgemacht sein muss, Gitarrenmusik und bloß kein Computer. 

STROBO: Eure Musikvideos macht ihr ja auch selbst. 

Joscha: Weil wir noch nicht von der Musik leben können, haben wir alle noch „Brot und Butter Jobs“ nebenbei – und Ben und Jonas arbeiten freiberuflich im Filmbusiness. Deshalb haben wir mittlerweile ein großartiges Netz an Leuten um uns, die uns unterstützen. Wenn wir merken, dass wir ein neues Musikvideo brauchen, können wir jederzeit auf diese Freund:innen zurückgreifen und sagen: „Komm wir machen jetzt hier ein besonderes Projekt.“

Jonas: Es hat natürlich auch pragmatische Gründe, weil ein Videodreh immer viel Geld kostet. Und wenn wir das selbst machen können, liegt es natürlich auch nahe, dass es in unserer Hand bleibt. 

Ben: Beim Dreh zu „Lauf“ waren wir bestimmt 20 Leute am Set. Aber es war trotz der großen Crew total familiär, weil die engsten Kumpels von uns allen dabei waren. Der Dreh zum „Lauf“-Musikvideo hat uns krass Energie gegeben, obwohl er auch auslaugend war. 

STROBO: Zum familiären Gefühl, das Ben gerade angesprochen hat: Ihr vier kennt euch seit dem Kindesalter – wie beeinflusst das eure Zusammenarbeit? 

Jonas: Das macht einige Prozesse einfacher und andere schwieriger (lacht). Wir wissen genau, woran wir beieinander sind. Wir können super ehrlich sein und haben ein Grundvertrauen in uns selber, weil wir uns ultralang kennen. Andererseits sind über die Jahre auch Muster entstanden, die vielleicht nicht immer hilfreich sind. Wir diskutieren zum Beispiel immer viel. Aber eigentlich ist es nur was Gutes.

Ben: Wir haben auch Themen, über die wir gemeinsam Kunst machen können. Es war jetzt auch ein, zweimal der Fall, dass ich Texte geschrieben habe, in denen es nicht um meine Gefühlswelt ging. Sondern eher darum, wie ich zum Beispiel Joschas Gefühlswelt als enger Freund von ihm interpretiere. 

Basti: Im Prinzip ist es genau das – man hat halt den Vorteil, dass man mit den besten Freunden zusammenarbeitet. Man hat aber auch den Nachteil, dass man mit den besten Freunden zusammenarbeitet. 

Joscha: Ohne dass wir darüber sprechen mussten, habe ich sofort gemerkt, dass Ben gerade einen Song über etwas geschrieben hat, das ich letztes Jahr erlebt habe. 

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