STROBO: Jason Pollux, ihr kommt aus Hamburg und Stuttgart und macht jetzt in Witten Musik. Was hat euch hierher verschlagen?
Michael: Wir haben beide an der Universität Witten/Herdecke studiert – Ich Philosophie und Kulturreflexion, Sonja Medizin. Das ist ein Kosmos, in dem man sich mindestens vom Sehen kennt. Wenn man wie wir Musik macht, dann läuft man sich zwangsläufig über den Weg. Wir hatten über ein paar Jahre immer mal wieder Projekte gehabt und auch viel mit anderen zusammen Musik gemacht, bis wir an einem Punkt waren, an dem wir gesagt haben: Wir haben eigentlich eine coole Idee für ein gemeinsames Projekt und dann ging es los.
STROBO: Wie habt ihr den Sound von Jason Pollux entwickelt?
SÆM: Wir sind beide total die Autodidakten und nerden uns gerne in alle Facetten ein. Wenn ich zurückblicke, was wir für Songs geschrieben haben, denk ich „Oh mein Gott“. Wir haben sehr viel ausprobiert, bis wir bei dem gelandet sind, wie wir gerade klingen.
STROBO:Inside
SÆM und Michael haben sich an der Universität Witten/Herdecke im Rahmen eines Jazzimproviationskurses kennengelernt. Während SÆM schon in der Schulzeit gesungen hatte, war Michael lange Zeit in seiner Musikerkarriere Gitarrist. Auf der Suche nach einem Namen sind sie auf den Maler Jackson Pollock gestoßen, der in einem Interview gefragt wurde, warum er nicht naturalistischer malt, sondern abstrakte Kunst macht. Die Antwort, er müsse nicht naturalistischer malen, er sei Natur, hat die beiden zu einer Diskussion über das Produzieren von elektronischer Musik mit Jazz- und Singer/Songwriter angeregt. Daraus wurde dann der Name Jason Pollux.
STROBO: Eure erste EP „Escape” von 2019 hatte Einflüsse von NeoSoul, Techno und Deephouse. Wer hat welchen Stil eingebracht?
Michael: Für uns fühlt sich das immer so an, als hätten wir das zusammen entwickelt. Wir haben beide Interesse an elektronischer Musik. Gleichzeitig bringen wir aber auch den großen Rucksack an Soul, Blues und Richtungen mit, mit denen wir aufgewachsen sind.
SÆM: Das bestimmen auch die Instrumente. Deine analogen Synthesizer bringen automatisch eine Wärme. Ich habe mich irgendwann in das Rhodes verguckt. Das hat auch einen warmen Sound. Meine Stimme bringt auch eine Farbe in die Musik. Das macht rein technoide, elektronische Musik gar nicht möglich. Das ist immer die Suche, auf der wir sind.
„Wir beide mögen es, das Düstere und die Abgründe des Menschen auszuloten.“
STROBO: Bei euren Tracks schwingt immer etwas Melancholisches mit. Wie beeinflusst euch diese Stimmung?
SÆM: Wir beide mögen es, das Düstere und die Abgründe des Menschen auszuloten. Das fasziniert uns. Mich inspiriert da die Metalszene. Die nehmen kein Blatt vor dem Mund. Auch wenn Metal musikalisch nicht so ganz meins ist, find ich die Haltung spannend. In der Musik darf alles gesagt werden. Das ist ein Ort, wo nichts geschminkt oder geschönt wird.
STROBO: Kannst du Momente festmachen, in denen du von menschlichen Abgründen inspiriert wirst?
SÆM: Am meisten beschäftigen mich Beziehungsthemen und Interaktionen mit Menschen. In welcher Beziehung stehen wir zu unserem Planeten und seinen Ressourcen? Wie gehen wir mit Geschlechterthemen um? Es sind aber auch ganz persönliche Fragen: Welche Beziehungen hatte ich und warum sind die zu Ende gegangen? Wie wichtig ist uns Selbstverarsche, damit wir uns besser fühlen? Das ist in sehr vielen Songs Thema.
STROBO: Ist es für euch einfacher, traurige Songs zu schreiben?
SÆM: Ja definitiv. Wir haben uns schon ein paarmal an glücklicheren Songs versucht, aber das klappt nicht.
Michael: Da ist etwas in diesem tiefen Melancholischen, was uns einfach anzieht. Da fühlen wir uns auch klanglich lieber hinein. Wenn wir versuchen auszubrechen, dann verlieren wir schnell den Kontakt zu dem was wir eigentlich erschaffen. Es kann schon kitschig sein, aber nicht ohne den Abgrund.
SÆM: Melancholie bedeutet ja nicht nur Trauer, sondern auch Schönheit.
Alles ist wie ein Kartenhaus ineinander gefallen
STROBO: Ihr habt mit „Escape” direkt Aufmerksamkeit erlangt und hättet sogar Auftritte in England spielen können. Was hat das mit Euch gemacht?
Michael: Wir waren quasi am Hochpunkt unseres Selbstvertrauens. (lacht) Wir hatten ein cooles Booking, worauf wir lange hingearbeitet haben, hätten auf Festivals gespielt und wären Vorband von größeren Headlinern gewesen. Durch Corona ist das alles wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Dennoch halten wir uns immer vor Augen, dass wir nicht da wären, wo wir gerade stehen, wenn es Corona nicht gegeben hätte. Wir machen unser Ding und entwickeln uns weiter.
SÆM: Wir haben jetzt geile Samtoberteile. (lacht)
Michael: Es ist manchmal ein bisschen schwierig, sich das immer wieder vorzusagen, dass unsere momentane Reichweite und Entwicklung nicht dem entsprechen, wo wir ohne Corona eigentlich stehen würden.
STROBO: Seid ihr wegen Corona ins Studio gegangen, um neue Musik aufzunehmen?
SÆM: Wir haben unsere Produktion noch einmal auf ein anderes Level gebracht. Sonst hätten wir letztes Jahr schon die Tracks releast. So konnten wir noch tiefer gehen. Wir releasen jetzt die nächsten sechs Monate einmal im Monat einen Song. Im Moment arbeiten wir daran, etwas aufwendigere Musikvideos umzusetzen. Wir haben zum Beispiel gerade ein Musikvideo in Tokio gedreht, ohne da zu sein. Das machen dann Künstler:innen vor Ort.
Raufaser Kollektiv
Die Raufaser Musikgruppe ist ein Kollektiv aus verschiedenen Bands (Figur Lemur, We Will Kaleid, Mahendra, KOJ und Jason Pollux), die als Booking Kollektiv angefangen haben. Mittlerweile sind ein Label und eine Promotion-Abteilung hinzugekommen. Ziel ist es, sich gegenseitig in der Musikbranche zu unterstützen.
STROBO: Wo unterscheiden sich die kommenden Songs zu denen davor? Was ist anders?
SÆM: Musikalisch haben wir uns unter anderem an Trap orientiert. Wir sind auf die Suche nach neuen Sounds gegangen und haben viel Neues ausprobiert.
Und inhaltlich sind wir politischer geworden. „Running Out Of Time“ handelt vom Klimawandel, davon dass wir die Zeit nutzen sollten, um diese 1,5 Grad Grenze nicht zu überschreiten. Ein Song handelt davon, wie es ist als Frau abends allein nach Hause zu laufen.
STROBO: Besprecht ihr vorher genau, worum es in den Songs thematisch gehen soll?
SÆM: Wir überlegen uns vorher nicht, worüber wir schreiben wollen. Die Themen kommen im Umfeld auf. Ich könnte jetzt nicht mehr die Texte schreiben, die ich für „Escape“ geschrieben habe, weil ich an einem anderen Punkt im Leben bin. Jetzt gerade sind politische Themen so präsent.
STROBO: Wie war es für euch, wieder Musik zu veröffentlichen?
SÆM: Es ist natürlich sehr anders, weil man jetzt normalerweise Konzerte spielen würde. Da hätten wir viel unmittelbares Feedback bekommen. Und wir freuen uns über die positive Resonanz in unserer Community. Alles in allem ist es voll schön, dass die Songs an denen wir so lange gearbeitet haben jetzt endlich heraus kommen, gehört werden können und ihr Eigenleben entwickeln.
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