Wieso es notwendig ist, für eine gerechtere Zukunft auf die Straße zu gehen

Was bringt es eigentlich für die Zukunft auf die Straße zu gehen? Viel, findet Lena von Feminismus im Pott. In ihrer Kolumne erklärt sie, wieso Demonstrationen wichtig sind.

Regelmäßig ertappe ich mich dabei, wie ich nahezu unbewusst durch meinen Instafeed scrolle, eine Schreckensbotschaft nach der anderen an mir vorbeizieht und ich mich frage: Was kann ich neben dem üblichen Teilen, Liken und – wenn es das Portemonnaie erlaubt – spenden, überhaupt tun? Ist irgendwem damit geholfen, wenn ich meinen Unmut gegen all diese Ungerechtigkeiten auf die Straße trage?

Diese politische Hilflosigkeit treibt, wie ich schnell feststellen musste, nicht nur mich um, sondern beschäftigt auch mein nahes Umfeld. Es ist für mich und viele meiner Freund:innen selbstverständlich zum Beispiel gegen Rassismus, Sexismus und Klimaungerechtigkeit auf der Straße zu protestieren. Dennoch erfasst uns manchmal der Zweifel nach der Sinnhaftigkeit unserer Demonstrationen. 

Demonstrationen: Wieso niemand einen Wandel von der Couch aus erreicht

Diese aktivistische Krise verleitete mich also kurzerhand dazu, in mich zu gehen und darüber nachzudenken, wie ich mit meiner eigenen politischen Verantwortung umgehen soll und vor allem, ob mein intuitiver Gang auf die nächste Demo wirklich etwas bringt oder lediglich mein eigenes Gewissen beruhigt. Schließlich kam ich aber doch zu dem Ergebnis: Sozialer Wandel lässt sich zwar nicht von heute auf morgen erreichen. Um ihn ins Rollen zu bringen, bedarf es aber eines kollektiven Problembewusstseins. Das lässt sich nicht ausschließlich vom Sofa aus erreichen – dafür muss ich weiterhin auf die Straße und mich mit anderen verbünden! 

Vor kurzem zeigte sich in den medienwirksamen Protesten gegen den Abriss des Ortes Lützeraths zur Ausweitung des dortigen Tagebaus des Energiekonzerns RWE, dass viele sich mit dieser Situation nicht zufriedengeben und ein passives „zu spät“ nicht akzeptieren wollen. Mit erstaunlichem Durchhaltevermögen demonstrierten dort etliche Menschen generationsübergreifend und ließen sich zum Teil auch nicht von dem gewaltsamen Vorgehen der Polizei einschüchtern.

Dass es dabei nicht nur um den Fortbestand eines nordrhein-westfälischen Ortes, ja nicht einmal nur um die Verfehlung des Pariser Abkommens ging, brachte Greta Thunberg in ihrer kurzen Ansprache treffend auf den Punkt: „This is only a part of a much larger global movement – a movement for climate and social justice and racial justice“. 

Doch hinter diesem anschlussfähigen Satz verbirgt sich ein unüberschaubares Netz ineinandergreifender Probleme, das nicht von einem Tag auf den anderen durchschaut und schon gar nicht angegangen werden kann. Sexismus, Rassismus und Klimaungerechtigkeit sind keine isoliert laufenden Zahnräder, sie bilden das Getriebe unserer und vieler anderer Gesellschaften. Die Mühlen des politischen Systems mahlen langsam – vor allem, wenn bislang unhinterfragte ‘Betriebsabläufe’ zur Diskussion gestellt werden.

Was bringen Demonstrationen?

Diese Unübersichtlichkeit gepaart mit politischer Untätigkeit und kapitalistischen Alleingängen ist es, die immer noch viele davon abhält, ihr politisches Anliegen auf die Straße zu bringen oder Menschen wie mich an dieser Protestform zweifeln lässt. Die Tatsache, dass sich Erfolge nicht unmittelbar einstellen, spielt dabei eine Rolle. Auch die sintflutartigen Nachrichtenströme von weiteren Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen können sich negativ auf die Demonstrationsmotivation auswirken.

Was juckt es Politiker:innen, ob ich nächsten Freitag auf einer Friday’s for Future Demo mitlaufe? Diese Bedenken stellen sich einmal mehr, wenn es sich um Protestaktionen handelt, die die Lebensgrundlage der Demonstrierenden nicht unmittelbar betreffen, sondern sich auf soziale Ungerechtigkeiten in anderen Weltregionen richten (wie z.B. die Demos gegen die Unterdrückung von Frauen im Iran). Wird der Inhaftierung und Hinrichtung von Protestierenden im Iran ein Ende gesetzt, nur weil wir 5000 km weit entfernt ein Demoband in die Höhe gehalten haben? Zu diesen Fragen gesellt sich dann nicht selten ein Gefühl von politischer Ohnmacht. 

Plädoyer für den Gang auf die Straße!

Diese Bedenken sind völlig normal und befallen wohl früh oder später jede:n Aktivist:in. Nach meinen eigenen Bedenken bin ich aber überzeugt, dass sie von einem falschen Ausgangspunkt ausgehen und schnell aus dem Weg geräumt werden müssen. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels lassen sich bereits seit Jahrzehnten nachvollziehen. Trotzdem war es unter anderem die Friday’s for Future-Bewegung, die nicht nur flächendeckend auf sie aufmerksam machte, sondern auch mit dem Missverständnis aufgeräumt hat, die jüngeren Generationen würden sich aus unpolitischen, egoistischen Nicht-Wähler:innnen zusammensetzen. Die öffentliche Präsenz einer vernachlässigten Generation hat für Schlagzeilen, Irritation und – am wichtigsten – für ein neues Problembewusstsein gesorgt.

Es geht nicht nur um Lützi oder die Feinstaubbelastung vor der eigenen Haustür. Es geht darum, wie es sich in Zukunft auf dieser Erde leben lässt: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“

Die Zukunft jeder Person steht auf dem Spiel. Sie ist bedroht durch bevorstehende oder bereits eingetretene Umweltkatastrophen. Aber eben auch durch rassistische Grenzpolitiken und misogyne Menschenrechtsverletzungen durch autokratische Staaten. Das alles mag nicht alle in gleicher Weise betreffen, aber die Gefährdung der Handlungsfreiheit einer:s andere:n gefährdet auch die eigene.

Die bundespolitische Agenda des „Immer weiter so“ lässt sich nur aufrechterhalten, wenn keine:r was dagegen sagt oder tut. Also raus aus den Federn der politischen Müdigkeit und ab auf die Straße! Nur so kann ein Gefühl gemeinschaftlicher Betroffenheit erlangt und ausgestrahlt werden. Und nur so ist ein Wandel zu erreichen! Und apropos: Am 3. März ist globaler Klimastreik!   

Bock auf mehr STROBO? Hört hier in unseren Podcast mit der Aktivistin Rageibage.

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