Bei ihren Bewegungs-Sessions läuft Drum and Bass. Die Leute tanzen, schütteln und lockern sich. So sollen sie sich selbst wiederfinden. Die Dortmunderin Aylin Ogus spricht mit STROBO über ihr ganz eigenes Konzept zur Selbstfindung.
„Mein Angebot wächst stetig“ steht beim Runterscrollen unten auf Aylins Homepage. Fast unverstellbar, denn Aylin macht schon so ziemlich alles, was man in der digitalen Berufswelt machen kann. Sie ist Podcasterin, psychologische Beraterin, DJ, Yogalehrerin oder Content Creatorin. Das sind ein paar herausgezogene Jobbeschreibungen. Auf ihrem Instagram-Account läuft dann alles zusammen: Halb Unternehmen, halb Privataccount. Ihr Feed besteht aus Videos, in denen sie tanzt oder mit Mini-Mikrofon zur Kamera spricht. Nur ein roter Faden zieht sich durch ihren Auftritt: Ein leichter Spiri-Touch.
Alles beginnt im Biologiestudium
Aylin hat eine schwierige Vergangenheit hinter sich, immer wieder hat sie mentale Probleme. Angststörungen, Essstörungen und Depression. Um zu begreifen, warum Aylin heute tut, was sie tut, muss man ihren Lebensweg zurückverfolgen.
Nach dem Abitur studiert sie Biologie und arbeitet dann einige Jahre in der Umweltindustrie. Während sie in der Woche im Büro Anträge bearbeitet, gibt sie außerhalb Yogastunden und beginnt ein Studium zur psychologischen Beraterin. Damals schon mit einer Kombination aus Körper und Kopf, wie sie betont. Also Helfen durch Reden und Bewegung.
Die digitale Selbstfindung von Aylin Ogus
Dann kommt 2020 die Pandemie und die analoge Welt wird digital. Das scheint Aylin gut zu tun und bietet den Startpunkt für ihre Wandlung. Durch ihre Ängste konnte sie manchmal nicht mal ins Yogastudio gehen. Deshalb kommt ihr schon vor Corona die Idee, ihre Yogastunden online anzubieten. Zum Beispiel für Kund:innen, die selbst soziale Ängste haben. Von heute auf morgen wird dann alles verlegt auf Zoom. Aylin führt das bis heute in weiten Teilen ihrer Angebote so weiter.
Sie umschreibt das als ersten Schritt, den man gehen kann, um einen Fuß in die Außenwelt zu bekommen. Mit dem Ziel es irgendwann dann wirklich ins Yogastudio zu schaffen. Niedrige Einstiegsschwelle. Alles, was sie damals selbst gebraucht hätte, möchte sie anbieten.
Dann wird sie coronabedingt gekündigt und arbeitet danach Vollzeit selbstständig in ihren kreativen Projekten. Es folgt eine Fortbildung als somatische Therapeutin. Therapie durch körperliche Übungen und Techniken. Jede weitere Ausbildung findet den Weg in ihre Yogastunden, die immer mehr zu spirituell-angehauchten Sessions werden. Statt Katze-Kuh formen sich ihre Stunden zu einer von Beats unterlegten Ganzkörper-Erfahrung. In der wird sich geschüttelt, ausgetanzt und Energien freigegeben. So erklärt Aylin das. Meistens kommen Frauen zu ihr. Frauen, die ihre Intuition und Sicherheit ins Leben verloren haben und sie mit Aylins Hilfe ein Stück wiederfinden wollen. Dann bewegen sie sich zu Sets, die Aylin selbst aufgenommen hat. Denn das natürlich auch sie selbst.
D´n´B und Emotionen – eine untypische Verbindung
Mit dem Auflegen fängt sie an, wie alle es tun. Zuerst lädt sie sich eine Freeware auf ihren Laptop und beginnt sich musikalisch auszuprobieren. Dann bestellt sie sich ein Deck und legt im Wohnzimmer für sich auf. Das Wohnzimmer tauscht sie schnell gegen illegale Raves im Wald. Sie beginnt mit Techno und irgendwann findet sie ihren Weg zu Drum and Bass. Viel Bass und viel Trommel. Denn Bass spürt man im Körper. Immer wieder wird sie angefragt für Gigs: Über SoundCloud, Instagram oder ihren Podcast. Nur Auflegen, das wäre aber nichts für Aylin.
Aber wie passen Drum and Bass Sounds zusammen mit tiefliegenden Emotionen?
Für Aylin ist das logisch. Emotionen laufen über den Körper. Wenn sie sich zu einem Set bewegt, lässt sie sich von der Musik tragen. Innerhalb eines Sets könne sie die Energie immer weiter hochziehen und dann loslassen. Beim Tanzen könne man seinen Emotionen anders begegnen. Auch härtere Musik könne Emotionen aufmachen, weil man sich zu ihr kraftvoll bewegt. Man solle hier den „cringe embracen“ – alle sind okay, wie sie sind. Lockern, 30 Minuten zu den Sounds bewegen, kleine Pausen zum Fühlen. Und am Ende soll sich mit der Musik die Anspannung lösen.
Aylin Ogus: „Eine moderne Hexe“?
Moderne Hexe. So nennt sich Aylin, unter anderem in einem ihrer Podcasts „wiiitchplease“. Eine Selbstbezeichnung, die ihre ganze Arbeit widerspiegelt. Es sind moderne Gen-Z-Begriffe, die sich paaren mit einer naturbelassenen Ästhetik. Eine paradoxe Mischung aus der Biologie, also der Wissenschaft, und Spiritualität. Von der Esoterik möchte sie sich jedoch klar abgrenzen. Die Hexerei sei in ihrem Sinne eher die Verbundenheit zu anderen Frauen. Eine Art feminine Intuition.
Wer in Aylins Welt abtaucht, findet sich wieder in einer sonderbaren Welt. Eine kleine Bubble, die von außen leicht, wie eine digitale, spirituelle Subkultur erscheint. Coaching, Musik, Yoga, Podcast, Selbstfindung – mehr kann ein Angebot nicht in das mediale Bild der Gen Z passen. Aber vielleicht trifft Aylin genau damit den Puls. Aylin will eben viel helfen – mit viel Angebot.
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