Wer sich das Line-Up von Rock am Ring oder dem Hurricane anschaut, der muss nach weiblichen Personen oft lange suchen – auch hinter den Kulissen. Das Netzwerk musicNRWwomen* will dagegen etwas tun und leistet Pionierarbeit. Wir haben mit SÆM von Jason Pollux über die Anfänge und die Arbeit von musicNRWwomen*gesprochen.
STROBO: musicNRWwomen* hat sich 2018 im Rahmen des c/o pop gegründet. Warum habt ihr die Notwendigkeit für so ein Netzwerk gesehen?
SÆM: Die Initialzündung kam aus Hamburg, wo es mit musicHHwomen* auch das erste Netzwerk für Frauen bzw. FLINTA+ in der Kreativwirtschaft gab. FLINTA+ steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans- und agender Personen, die wir mit unserem Netzwerk sichtbarer machen wollen. Die Idee ist, dass es bundesweit diese Netzwerke geben soll. Die Notwendigkeit ergibt sich daraus, sich die Szene einmal anzuschauen und zu sehen, wie wenig FLINTA+-Personen repräsentiert sind. Auf Festivals spielen selten über 20 % weibliche Acts.
STROBO: Schaut ihr auch hinter die Kulissen?
SÆM: Ja! Bei uns können alle mitmachen, die in der Musikwirtschaft tätig sind. Wir sind nicht nur Musiker:innen sondern auch Musik-Journalist:innen, Booker:innen, Veranstalter:innen – alles durch die Bank weg. Wir würden gerne noch mehr Tontechniker:innen haben, aber das fehlt irgendwie noch bei uns. Es sind alle willkommen, die durch die patriarchalen Strukturen in der Musikindustrie benachteiligt werden, weniger sichtbar sind und daran etwas ändern wollen.
Wie musicNRWwomen* zusammenarbeitet
STROBO: Was ist seit der Gründung passiert?
SÆM: Wir haben ein Konzept entwickelt, bei dem wir uns nach innen gegenseitig als Netzwerk verstehen, über Empowerment Themen sprechen und uns gegenseitig die Bälle zuspielen. Nach außen wollen wir Politik und Co. darüber aufklären: Warum sind FLINTA+ so wenig sichtbar? Was sind genauen Zahlen? Dafür sind wir dann in Radiointerviews, sprechen auf Festivals oder veranstalten selbst Konzerte, bei denen wir im Vorfeld noch mit einer Podiumsdiskussion über Missstände sprechen.
STROBO: Wie arbeitet ihr zusammen?
SÆM: Wir treffen uns jeden ersten Sonntag im Monat zu unserem Meet-Ups, die finden in der Regel in Köln oder Düsseldorf statt. Dort gibt es dann meistens einen Impulsvortrag zu einem bestimmten Thema und sonst dient es vor allem dem netzwerken. Ansonsten haben wir verschiedene Arbeitsgruppen und Projekte wie zum Beispiel unsere Sichtbar-Konzertreihe wo wir FLINTA+-Acts auf die Bühne holen oder unseren Producing Co-Workingspace.
musicNRWwomen*: Mit Zahlen, Daten und Fakten zum Umdenken bewegen
STROBO: In eurer Instagram-Story zum Weltfrauentag hattet ihr das Ungleichgewicht zwischen Männer und Frauen sehr plakativ, aber mit Zahlen und Grafiken belegt. Wo gibt es überall Luft nach oben?
SÆM: Es ist durch die Bank weg Luft nach oben. Keychange zum Beispiel ist eine Stiftung von der Institution in Großbritannien, die mit der GEMA in Deutschland vergleichbar ist. (Anmerkung der Redaktion: Keychange wurde von PRS foundation und gehört mittlerweile zum Reeperbahn-Festival) Die haben sich zum Ziel gesetzt, dass alle Unternehmen in der Musikwirtschaft Parität haben – 50:50 Männer und FLINTA+. Die haben angefangen mit Festivals und auch da sind wir immer noch nicht höher als 20% – vor allem bei Rock- und Elektro-Festivals. Es gibt auch viel weniger FLINTA+ in Führungspositionen von Musikunternehmen. Da liegt die Quote bei weniger als 10%. Diese Glasdecke zeigt sich in allen Bereichen der Wirtschaft, aber eben auch in den Musikwirtschaft. Es gibt keinen Bereich in der Musikindustrie, wo nicht Luft nach oben ist, was die Beteiligung von Frauen bzw. FLINTA+-Personen angeht.
STROBO: Wie sieht es denn für weiblich identifizierende Personen im Ruhrgebiet aus?
SÆM: Also ich glaube nicht, dass es jetzt im Vergleich zu anderen Städten schwieriger ist als FLINTA+-Person. Dieselben Herausforderungen wie FLINTA+-Personen in anderen Städten haben, haben sie auch im Ruhrgebiet. Ich habe aber das Gefühl, dass das immer mehr Thema wird. Wenn ich mit Menschen aus den Kulturbüros in Bochum oder Dortmund spreche, ist das Thema total auf dem Schirm. Ich habe positive Erfahrungen auf Festivals gemacht – zumindest was die Awareness angeht. Nichtsdestotrotz bleibt immer Luft nach oben.
Playlist: Diese FLINTA*-Acts aus NRW solltet ihr auschecken
STROBO: Es herrscht also Aufbruchsstimmung bei euch?
SÆM: Es gibt zwei Seiten, aber ich bin eher auf der Seite der Aufbruchsstimmung. Ich habe Bock, hier etwas zu machen. Ich bin in einer Bürogemeinschaft mit lauter Kreativen und wir überlegen uns andauernd, was wir hier anders, besser mehr machen können. Durch die günstigen Mieten, die vielen coolen umgewandelten Industrie Orte und Clubs können wir hier einiges bewegen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version war an manchen Stellen lediglich von Frauen und nicht ganzheitlich von FLINTA+-Personen die Rede. Außerdem gehört „Keychange“ mittlerweile zum Reeperbahn-Festival. In Absprache mit SÆM haben wird die Passagen im Text bearbeitet.
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